Harburg. Von der Klinikchefin bis zum Tischfußball-Champ: Der Hamburger Süden ist fest in der Hand der Frauen. Fünf Beispiele, die inspirieren.

  • Wer sich im Harburger Süden umschaut, stellt immer wieder fest, wie viele Frauen hier am Ruder sitzen
  • Ob die Leitung eines großen Krankenhauses oder gleich des ganze Bezirks: In Harburg ist Führung erstaunlich oft weiblich
  • Das Abendblatt hat sich auf die Suche gemacht und fünf starke Frauen gefunden

Der Weltfrauentag am 8. März ist auch in diesem Jahr Anlass, einmal genau hinzuschauen, welche Aufgaben Frauen in Harburg täglich bewältigen. Da gibt es Mütter, Verkäuferinnen, Busfahrerinnen und Anwältinnen, ohne deren Engagement vieles stillstehen würde. Fünf ganz unterschiedliche Frauen, die in Harburgs Öffentlichkeit stehen, haben dem Abendblatt von ihrem Werdegang und ihren Aufgaben berichtet.

Sie ist und bleibt unantastbar: Vor bald fünf Jahren holte die Harburger Tischfußballerin Linh Tran ihren ersten Weltmeistertitel, 2022 räumte sie noch einmal ab, diesmal gleich doppelt: Sowohl im Einzel als auch mit der Nationalmannschaft wurde sie Weltmeisterin. Im vergangenen Jahr packte sie noch eine weitere Schippe drauf: Bei der „Hall of Fame Classic Tour“, einer Turnierserie in Las Vegas, gewann sie das sogenannte Pro Singles Event. Noch nie zuvor hatte eine Frau das Turnier gewonnen.

Tischfußball-Weltmeisterin Linh Tran: „Es ist ein Privileg, die Gejagte zu sein“

Wie fühlt es sich also an, als unbesiegbar zu gelten? „Es ist ein Privileg, die Gejagte zu sein“, antwortet Linh Tran. Ihr sei 2022 vor allem wichtig gewesen, sich selbst zu beweisen, dass sie den Weltmeistertitel tatsächlich holen kann. Die Stadt Hamburg bezeichnet sie als Kicker-Domäne. Auch Frauen würden hier speziell gefördert werden. Das sei nicht überall so. Bei einem Turnier seien von 200 Teilnehmenden nur zirka zehn Prozent weiblich, schätzt Tran.

Die 28-jährige Sportlerin wuchs in der Nähe von Darmstadt auf und zog 2013 für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich Kultur nach Hamburg. Sie blieb und machte Harburg zu ihrem Lebensmittelpunkt. Bevor sie zum Tischfußball kam, war Schach ihre Disziplin. „Ich kenne mich also mit männerdominierten Sportarten aus“, sagt sie lachend.

Auf Youtube verrät Linh Tran Tipps und Tricks aus der Welt des Tischfußballs

Auf ihrem Youtube-Kanal gibt sich die Weltmeisterin nahbar und kumpelhaft. Mit Witz und guter Laune gibt sie Tricks preis und berichtet von Wettkämpfen. Auf ihrer Website macht sie öffentlich, was sie anspornt: „Ich möchte beweisen, dass Frauen auch ganz oben mit spielen können und sollten.“

Tischfußball-Weltmeisterin Linh Tran aus Harburg trat in Las Vegas bei der Hall of Fame Classic Tour an.
Tischfußball-Weltmeisterin Linh Tran aus Harburg trat in Las Vegas bei der Hall of Fame Classic Tour an. © HA | Linh Tran

Als sie neun Jahre alt war, wurden die Jungs ausgelacht, die gegen sie verloren. „Wenn in einer Sportart mehr Männer vertreten sind, sind sie im Durchschnitt natürlich auch besser“, sagt Tran. Sie beobachtete, dass bei der Mix-Disziplin im Tischfußball Frauen eher die hintere Position übernahmen. Sie fragte sich: „Warum suche ich mir nicht den besten männlichen Torwart heraus und spiele selbst als Stürmerin?“

Für sie sei es immer wieder eine Herausforderung, den Grat zwischen ambitioniert und verbissen nicht zu überschreiten, sagt Tran. Seit August 2023 ist die Harburgerin Profi-Tischfußballerin. Im Moment arbeitet sie daran, ein zweites Standbein als Unternehmerin aufzubauen, um einen Plan B zu haben.

Mutter und Klinikchefin Lena Radtke: „Ich brauche Leute, auf die ich mich verlassen kann“

Lena Radtke ist Klinikgeschäftsführerin des Mariahilf Harburg.
Lena Radtke ist Klinikgeschäftsführerin des Mariahilf Harburg. © Lena Radtke | Lena Radtke

Klinikgeschäftsführerin Lena Radtke managt gerade auf mehreren Ebenen. Im vergangenen Jahr ist die Mittdreißigerin zum zweiten Mal Mutter geworden, rund ein halbes Jahr nach der Geburt nahm sie ihre Aufgaben in der Harburger Helios Mariahilf Klinik wieder auf. Zunächst zwei Monate lang in Teilzeit aus dem Homeoffice, dann aber auch wieder in Präsenz. Mittlerweile ist ihr Sohn neun Monate alt. Und sie selbst habe sich an die neue Dreifachrolle gewöhnt, sagt Radtke schmunzelnd.

Nachts stillen, tagsüber arbeiten: Als Mama sei man körperlich anders gefordert

Bei Kind Nummer zwei übernimmt gerade Lena Radtkes Mann die Elternzeit. Die Klinikgeschäftsführerin gab ihrem Mann den Vortritt, den sie zuvor bei ihrer heute dreijährigen Tochter hatte. „Wir haben in der Familie eine gute Struktur schaffen können, sodass wir auf einer gleichberechtigten Ebene sind“, sagt sie.

Trotzdem hat die zweifache Mutter aktuell mit Schlafmangel zu kämpfen. Nachts stillen, tagsüber arbeiten: Als Mama sei man körperlich eben doch anders gefordert, gibt sie zu Bedenken. Dafür dass Radtke der Spagat dennoch gelingt, sei ihr Umfeld ausschlaggebend: „Sowohl im Beruflichen als auch im Privaten brauche ich Leute, auf die ich mich verlassen kann“, sagt sie. Man dürfe sich nicht zu schade sein, Hilfe auch anzunehmen, findet Radtke.

Sophie Fredenhagen: Vom Musikstudium in die Verwaltung

Harburgs Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen hatte eigentlich in Berlin Musik und Latein auf Lehramt studiert, bevor sie ihren Mann kennenlernte, heiratete, nach Hamburg zog und drei Kinder bekam. Als ihre älteste Tochter sechs Jahre alt war, fasste sie den Entschluss, erneut ein Studium aufzunehmen: 1991 begann sie in Hamburg Allgemeine Verwaltung zu studieren.

Harburgs Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen ist die erste Frau an Harburgs Spitze.
Harburgs Bezirksamtsleiterin Sophie Fredenhagen ist die erste Frau an Harburgs Spitze. © BA Harburg | BA Harburg

„Damals war das etwas ganz Ungewöhnliches, dass eine Mutter mit drei Kindern studiert“, erinnert sich die heute 60-Jährige. Aber sie habe es unbedingt gewollt, wenngleich die Organisation schwierig war. „Ich finde, jeder Mensch, ob weiblich, männlich oder divers, hat ein Recht darauf, sich zu bilden, um schlussendlich die Möglichkeit zu haben, seinen Lebensunterhalt unabhängig zu bestreiten.“ Als Frau und Mutter sei sie immer wieder gefragt worden, ob sie das denn wirklich schaffe.

Bezirksamtsleiterin Fredenhagen ist die erste Frau in ihrem Amt

„Glücklicherweise wurde ich von meinem Partner immer in meinen Entscheidungen unterstützt“, sagt sie. Dabei arbeitete die gebürtige Berlinerin stets in Vollzeit, ob nun im Bezirksamt Wandsbek oder später als Jugendamtsleiterin in Harburg. 2018 wurde sie zur Bezirksamtsleiterin Harburgs gewählt – und ist damit die erste Frau, die dieses Amt ausfüllt.

Sophie Fredenhagen bei der Eröffnung des Sozialkontors Treffpunkt Hamburg-Süd 2023.
Sophie Fredenhagen bei der Eröffnung des Sozialkontors Treffpunkt Hamburg-Süd 2023. © Lenthe-Medien | Lenthe-Medien

Heute werde zwar viel stärker darauf geachtet, auch Frauen in Führungspositionen zu haben, dennoch gebe es bei näherem Hinschauen noch immer starke Männerdomänen, sagt Fredenhagen. „Der größte Versorgungsaufwand liegt auch heute noch bei den Frauen.“ Im Moment müsse man darauf achten, dass man keine Rolle rückwärts macht. „Die Gesellschaft sollte akzeptieren, dass man auch als Mutter großen Ehrgeiz haben kann.“

Es sei außerdem wichtig, sich Zeit für die Partnerschaft zu nehmen, Zeit für den Austausch mit Freunden, und auch Zeit für sich. Fredenhagen kommt dann zur Musik zurück. Außerdem schöpft sie Kraft aus der Bewegung im Freien, 2017 bestieg sie den Kilimandscharo. „Es ist wichtig, nicht nur in Arbeit und Familie zu denken, sondern sich auch zu fragen: Was macht mich aus?“

Houda Mbarek, Leiterin des Löwenhauses: „Das war für mich ein Sprung ins kalte Wasser“

Houda Mbarek leitet das Löwenhaus in Harburg.
Houda Mbarek leitet das Löwenhaus in Harburg. © Houda Mbarek | Houda Mbarek

Seit über zehn Jahren leitet Houda Mbarek das Löwenhaus im Harburger Phoenix-Viertel. Bevor sie die Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche in der Kalischerstraße zum ersten Mal besuchte, sei ihr nicht klar gewesen, wie groß der Bedarf an Hilfestellung in der Gegend ist: „Das war für mich ein Sprung ins kalte Wasser.“

Dabei kommt Mbarek nicht von weither, in Neugraben wuchs die 44-Jährige auf. Sie studierte auf Lehramt und kam für ihre Examensarbeit an das Löwenhaus, um sich den Alltag von Kindern anzuschauen. Als sie ein Kind nach seinen Wünschen für die Zukunft fragte, habe dieses geantwortet, dass es sich wünsche, Hartz-IVler zu werden. „Für mich war das erschreckend, wie selbstverständlich das bei den Kindern ankommt“, erinnert sich Houda Mbarek.

Am Frauentag haben im Löwenhaus die Mädchen das Sagen

Houda Mbarek (links), die kleine Elmedina. Omar, Arian und Erzieher Felix in der Löwenhausküche.
Houda Mbarek (links), die kleine Elmedina. Omar, Arian und Erzieher Felix in der Löwenhausküche. © HA | Lars Hansen

Diese Problematik habe sich während des vergangenen Jahrzehnts nicht verbessert. Im Löwenhaus lernen die Kinder, ihren eigenen Wert zu erkennen, trotz sozialer und kultureller Hindernisse die eigene Person zu sehen. „Man kann eine bessere Version von sich schaffen, man muss Mut haben und sich trauen“, sagt Mbarek.

Meist sei es nur nötig, dass die Betreffenden ein einziges Mal an die Hand genommen werden, etwa bei Behördengängen, um diese danach allein zu meistern. „Das Bedürfnis nach Hilfe muss gestillt werden, und gleichzeitig wird vermittelt: Ihr könnt es schaffen und ihr sollt es auch schaffen“, sagt Mbarek. Das alles sei allerdings ein langwieriger Prozess.

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Wie hält man bei so einem Job den Kopf über Wasser?

Am diesjährigen Frauentag haben im Löwenhaus die Mädchen das Sagen. Sie haben sich einen Kulturtag gewünscht und wollen bestimmen, was gekocht und was gespielt wird. Mbarek und ihr Team intervenieren auch dann, wenn es um Abschiebungen geht.

Gerade gab es so einen Fall. Wie hält man bei einem derartigen Arbeitsalltag den eigenen Kopf über Wasser? Nach zehn Jahren Erfahrung sei sie krisenerprobt, antwortet Mbarek schmunzelnd. Im vergangenen Jahr habe es allerdings einen Suizidfall unter den Kindern gegeben. Da habe sie nicht mehr weitergewusst. „Ich wusste nur, bis hierhin gehen meine Kompetenzen, jetzt muss ich an jemanden abgeben.“

City-Managerin Antonia Marmon: „Unterschätzt zu werden, kann ein Dämpfer sein“

Antonia Marmon, Geschäftsführerin vom Harburg Marketing e.V.
Antonia Marmon, Geschäftsführerin vom Harburg Marketing e.V. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Antonia Marmon hat sich einer großen Aufgabe verschrieben. Als Harburgs City-Managerin arbeitet sie daran, das Image des Bezirks ins Positive zu wenden. Sie möchte sogar erreichen, dass sich Hamburger aus dem Norden angezogen fühlen. Als die 33-Jährige vor rund zwei Jahren ihre Stelle antrat, machte sie sich zunächst auf die Suche nach Leerstellen.

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Es fehle Harburg an nichts, sagt sie. Stattdessen gebe es Vieles, worauf ein Marketingbüro keinen Einfluss hat: Überansiedlung beispielsweise, wenn viele Menschen auf wenigen Quadratmetern wohnen. Auf Positives stieß sie aber auch: In Harburg gebe es noch Raum für innovative Gedanken, die Technische Universität sei die Keimzelle.

Die City-Managerin lebt in Eimsbüttel – und sieht dort ähnliche Probleme

Innerhalb von zwei Jahren hat Marmon ihren Arbeitsplatz sehr gut kennengelernt und ein feines Gespür entwickelt. Vielleicht stimmt es tatsächlich, dass ihr der Abstand, aus dem sie Harburg betrachtet, hilft. Die City-Managerin lebt in Eimsbüttel – vor allem ihrer Wohnung wegen, sagt sie.

Antonia Marmon von Harburg Marketing hat 2023 die Aktion Play the Piano ins Leben gerufen.
Antonia Marmon von Harburg Marketing hat 2023 die Aktion Play the Piano ins Leben gerufen. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Einmal sei sie gebeten worden, eine Kampagne im Phoenix-Viertel zu starten, um den Anwohnerinnen und Anwohnern zu zeigen, wie Sperrmüll richtig entsorgt wird. „Dabei gehe ich jeden Tag auf dem Weg zu meiner Garage an einem riesigen Sperrmüllhaufen in Eimsbüttel vorbei“, sagt sie. Der Sperrmüll sei kein Harburg-Problem, viele Menschen hätten aber gar nicht die Möglichkeit, Sperrmüll entsorgen zu lassen.

In ihrer aktuellen Position sei ihr zu Beginn vor allem zu Last gelegt worden, dass sie gar nicht in Harburg wohnt. Man nahm an, sie könne ja gar nicht wissen, womit sie es zu tun hat. Doch diese Annahme habe sie wenig später widerlegen können – durch eine Menge Leistung und Fleiß.