Hamburg. DFB-Kapitänin Alexandra Popp hat ihre Autobiografie geschrieben. Zum Kuss-Skandal um Luis Rubiales hat sie eine deutliche Haltung.
„Ich möchte einfach nur kicken.“ Ziemlich früh steht dieser Wunsch in der Autobiografie von Alexandra Popp. Und die trotzige Ansage findet sich im Titel: „Dann zeige ich es euch eben auf dem Platz“ (Droemer, 22 Euro) heißt das soeben erschienene Buch der Nationalstürmerin – und man sollte doch meinen, dass ihr beides ziemlich gut gelungen ist, das Kicken und das Beweisen des eigenen Könnens: Gerade erst wurde sie zum dritten Mal zur Fußballerin des Jahres gekürt, sie ist DFB-Kapitänin, Vizeeuropameisterin, Torschützenkönigin der Bundesliga.
Sportliche Erfolge sind derzeit allerdings nicht das Topthema im Frauenfußball, und das weniger wegen des enttäuschenden Abschneidens der deutschen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland: Nachdem der spanische Verbandspräsident Luis Rubiales die spanische Weltmeisterin Jennifer Hermoso während der Preisverleihung ohne ihr Einverständnis auf den Mund geküsst hatte, löste dies weltweit Empörung aus, die FIFA leitete ein Disziplinarverfahren gegen Rubiales ein und suspendierte ihn für 90 Tage, Tausende demonstrierten in Madrid gegen Sexismus im Fußball. Einen Rücktritt jedoch lehnt Rubiales vehement ab.
Alexandra Popp und das DFB-Team haben deutlich Stellung bezogen: „Sollte ein Funktionär und Repräsentant so etwas tun? NEIN!“, schreiben die deutschen Spielerinnen in einem offenen Brief. „Niemand, absolut niemand sollte dies als Kleinigkeit abtun.“
Eigentlich wollten wir über Fußball sprechen und über Ihre Lebensgeschichte. Jetzt drängt sich ein anderes Thema in den Vordergrund: der erzwungene Kuss.
Was da abgelaufen ist, darf so nicht ablaufen. Ich hoffe, dass daraus die richtigen Konsequenzen gezogen werden, damit so etwas nie wieder vorkommt.
Was war denn Ihr erster Gedanke, als Sie die Siegerehrung im Fernsehen gesehen haben?
Ich habe sie tatsächlich erst gar nicht gesehen, sondern es erst hinterher mitbekommen. Ich war entsetzt, ich war schockiert, sprachlos. Bei aller Euphorie – das ist eine Untergrabung der Würde der Frau.
Alexandra Popp: „Dass solche Leute auf solchen Ebenen sind, ist schon sehr schockierend“
Die spanischen Spielerinnen sind Weltmeisterinnen geworden – ihr sportlicher Erfolg steht jedoch nicht im Fokus, sondern die Debatte über toxische Männlichkeit. Macht Sie das wütend? Traurig? Erschöpft?
Alles zugleich, um ehrlich zu sein. Wütend, dass so etwas heute noch passiert. Dass solche Leute auf solchen Ebenen sind, ist schon sehr schockierend. Traurig bin ich für die Spielerinnen. Die sind Weltmeisterinnen geworden, aber kaum jemand spricht über ihren historischen Erfolg, das haben sie nicht verdient. Stattdessen wird Jenni Hermoso jetzt sogar verklagt. Es tut mir so leid, dass sie sich mit so etwas beschäftigen muss – statt sich für den Erfolg, den sie sich verdient erspielt hat, feiern zu lassen.
Sie haben mit dem Mannschaftsrat der deutschen Nationalmannschaft der Frauen inzwischen einen offenen Brief zum Vorgang geschrieben und sich darin klar mit Jenni Hermoso solidarisiert. Wie kam es dazu, wessen Initiative war das?
Im Mannschaftsrat war schnell klar, dass wir uns positionieren wollen und natürlich solidarisch unterwegs sind. Solche Zustände darf es einfach nicht geben. Je mehr Stimmen aus dem Weltfußball sich dazu äußern, desto besser.
Mehr als 80 Spielerinnen wollen in Spanien unter der aktuellen Verbandsspitze nicht mehr für ihr Land antreten, aber nur ein männlicher Nationalspieler ist vorläufig zurückgetreten. Was sagt uns das?
Ich hoffe, dass noch mehr Spieler den Mädels beistehen werden. Aber man kann es ja nicht erzwingen. Dass die Spielerinnen sich sofort so klar positioniert haben, finde ich super.
Aber Sie würden sich ein deutlicheres Zeichen der Männer wünschen?
Sagen wir mal so: Verkehrt wäre es nicht.
Gerade erst hat sich Almuth Schult geäußert: „Wir stellen uns oft die Frage, ob der Fußball in einer Parallelwelt zu Hause ist und die Realität verloren hat. Das ist definitiv nicht immer der Fall, hier schon.“ Ist der Vorgang tatsächlich ein Beispiel für Realitätsverlust – oder bildet der Skandal nicht vielmehr eine Realität ab, die wir nur gern überwinden würden?
Das ist die Frage. Wahrscheinlich spiegelt sich beides darin wider. Das ist natürlich die Realität, wie wir sie auf vielen Positionen haben. Leider. Andererseits hat Almuth auch recht, dass der Skandal diese Blase abbildet, in der solche Dinge einfach weggelächelt werden. Das ist aber kein normaler Vorgang!
Erinnern Sie sich an ähnlich übergriffige Situationen in Ihrer Karriere oder der einer Mitspielerin?
Nein. Was ein gutes Zeichen ist! Da bin ich sehr froh.
Wie hätten Sie denn reagiert, wenn DFB-Präsident Bernd Neuendorf Sie auf den Mund geküsst hätte?
Pfff! Wie ich mich kenne, hätte ich ihm wahrscheinlich eine geklatscht oder ich hätte ihn zumindest weggeschubst. Aber ich weiß auch, in welcher Ausnahmesituation Jenni Hermoso gesteckt hat. Mit so etwas rechnest du ja nicht! Sie hat ja hinterher in der Kabine gesagt, dass sie es krass fand und es nicht wollte. Und man konnte, glaube ich, ganz gut sehen, dass es nicht von der Spielerin ausging.
Kuss-Affäre: „Das zeigt dann auch, was die Frauen bei Herrn Rummenigge anscheinend für einen Stellenwert haben“
Hätten Sie sich denn von Bernd Neuendorf eine noch klarere Verurteilung gewünscht?
Je mehr Funktionäre auf diesen Posten sich in die richtige Richtung äußern, desto mehr Wert hätte das. Von daher: Ja, ein klares Statement von unserer Seite wäre cool.
Karl-Heinz Rummenigge hat sich klar geäußert – er fand den Kuss „völlig okay“.
Ich konnte im ersten Moment gar nicht glauben, dass er das wirklich gesagt hat. Das zeigt dann auch, was die Frauen bei Herrn Rummenigge anscheinend für einen Stellenwert haben, und das wäre sehr traurig.
Oft ist ja gar nicht der eigentliche Vorgang der größte Skandal, sondern der Umgang damit. Hätte Rubiales die Situation und möglicherweise auch seine Stellung retten können, wenn er sich direkt danach aufrichtig entschuldigt hätte?
Sich klar zu entschuldigen ist das Mindeste, was man da tun sollte. Ob er seinen Job damit hätte retten können? Weiß ich nicht. Noch hat er seinen Job übrigens ja. Ich persönlich würde so jemanden nicht als Präsident in meinem Verband haben wollen.
Von einer Weltmeisterschaft erhofft man sich im Frauenfußball immer einen Push, der im Idealfall durch das ganze Land geht. Schadet die Kuss-Affäre dem Frauenfußball? Oder: Hilft der Skandal vielleicht sogar insofern, als dass man nun über Dinge offen spricht, über die man lange Zeit nicht gesprochen hat?
Ich hoffe, dass das keine negativen Auswirkungen hat. Aber es zeigt eben auch klar auf, dass es noch Leute gibt, die mit ihrem Weltbild in anderen Jahrzehnten feststecken.
Alexandra Popp über den HSV: „Nur weil die Männer schlecht unterwegs waren, mussten die Frauen dran glauben“
„Dann zeige ich es euch eben auf dem Platz“ heißt Ihre Autobiografie – ein trotziger Titel. Fußball spielen war für Sie – als Mädchen, als Frau – immer auch ein Spiel gegen diese Widrigkeiten, gegen die Ungleichbehandlung. Wann wurde Ihnen das zum ersten Mal so richtig bewusst?
Wahrscheinlich so mit Anfang 20. Zu sehen, wie schwer es manche Mädels nach mir haben, zu hören, wie schwierig es für die älteren Spielerinnen war. Zu meiner Zeit gab es ja immerhin schon gemischte Mannschaften, ich durfte mit Jungs spielen. Aber noch immer gibt es das Bild bei manchen, dass Mädchen kein Fußball spielen sollten. Warum? Was bewegt Leute, Eltern ja auch, ihren Töchtern zu sagen, dass sie kein Fußball spielen sollen, weil sie Mädchen sind?
Die HSV-Frauen starten gerade in der Zweiten Bundesliga durch – nachdem der Verein das Team vor elf Jahren komplett aus der Bundesliga zurückgezogen hatte, um Geld zu sparen. Es scheiterte damals an 100.000 Euro. Ist der Erfolg jetzt eine späte Genugtuung?
Nur weil die Männer schlecht unterwegs waren, mussten die Frauen dran glauben. Ich hoffe sehr, dass so etwas nicht wieder passiert.
Alexandra Popp: „Einem Verein wie dem HSV ist es zu wünschen, dass er in der Ersten Liga zu finden ist“
Das klingt fast, als hielten Sie das für möglich?
Wenn man hört, wie manche über den Frauenfußball reden, gerade auch aus dem Männerfußball heraus, halte ich es jedenfalls nicht für unmöglich. Leider. Da ich aber weiß, dass Horst Hrubesch da seine Finger im Spiel hat …
… der auch eine Zeit lang Ihr Trainer war …
… genau. Mit ihm dürfte es schwierig werden, die Frauenabteilung so schnell wieder abzumelden (lacht)! Die machen im Moment eine sehr gute Arbeit, das kann man definitiv so sagen. Ich bin gespannt, ob sie es schon in dieser Saison nach ganz oben schaffen. Einem Verein wie dem HSV ist es grundsätzlich zu wünschen, dass er in der Ersten Liga zu finden ist.
Wenn schon die Männer da nicht auftauchen …
… und man eigentlich weiß, dass sie da ordentlich Geld investieren. Dass die den Aufstieg in den letzten Jahren nicht geschafft haben, ist eigentlich, tja, verwunderlich.
Sie schreiben in Ihrer Autobiografie, Sie fänden es komisch, über Privates zu sprechen. Privatleben sei privat. Jetzt weiß ich nach der Lektüre Ihrer Autobiografie mehr über Sie, als ich erwartet hatte. Hat Sie das große Überwindung gekostet, gab es Grenzen, die Sie gesetzt haben?
Ja, das hat Überwindung gekostet (lacht). Eine gewisse Grenze gibt es in meiner Partnerschaft, und diese Grenze wird auch weiterhin so gehandhabt. Darüber hinaus habe ich ganz schön viel erzählt.
Sie schreiben auch darüber, wie Sie schon früh Ihre Eltern finanziell unterstützt haben. Was hat diese Umkehr der Rollen mit Ihnen gemacht?
Damals habe ich das noch gar nicht so richtig verstanden. Es gab ein finanzielles Problem, und ich konnte unterstützen. Da habe ich gar nicht lange drüber nachgedacht, weil ich weiß, was meine Eltern viele Jahre für mich gemacht haben, wie viel Zeit sie geopfert haben. Ich konnte etwas wiedergeben. Mich hat das schnell reifen lassen. Verantwortung zu übernehmen, das kam in meinem Leben danach immer wieder vor.
Vorbild zu sein – war das ein Grund, warum Sie sich überhaupt dazu entschieden haben, Ihre Autobiografie aufzuschreiben?
Im Großen und Ganzen habe ich ehrlich gesagt oft gedacht: Wieso interessiert jemand anderen mein Leben? Meine Karriere ist doch noch gar nicht vorbei! Ich spiele doch noch! Aber, ja, tatsächlich war das ein Gedanke: Die Vorbildrolle kann vielleicht für viele kleine Mädchen in männerdominierten Sportarten tatsächlich eine Hilfe sein.