Bergedorf. Ideologischer Dauerstreit in der Politik setzt sich fort: nur knappe Mehrheit für das Wohnungsbauprogramm 2024 des Bezirks.
Vielleicht liegt es an der Zahl: Die 13. Fortschreibung des Bergedorfer Wohnungsbauprogramms, frisch verabschiedet von der Bezirksversammlung, lässt so gar keine Freude mehr aufkommen: Von anvisierten 800 genehmigten Wohnungen oder Häusern pro Jahr bringt es der Bezirk in 2023 auf kaum mehr als 325. Und auch im kommenden Jahr sind selbst bei optimistischer Schätzung nicht mehr als 727 Genehmigungen zu erwarten. Nimmt die Krise auf dem Bau samt hoher Zinsen weiter ihren Lauf, sind es aber ganz sicher deutlich weniger.
Auch die politische Einigkeit lässt zu wünschen übrig und steht im krassen Gegensatz zur Euphorie der ersten Jahre nach der Premiere 2010. Damals war Bergedorf mit einem öffentlich diskutierten und beschlossenem Wohnungsbauprogramm Vorbild für ganz Hamburg und weit darüber hinaus. Heute braucht es dagegen fast jede einzelne Stimme der Koalition aus SPD, Grünen und FDP, damit das Wohnungsbauprogramm 2024 nicht Gefahr läuft, in der Bezirksversammlung durchzurasseln. Wieder votierten CDU und AfD gegen das Zahlenwerk, die Linken enthielten sich. Damit liegt die Zustimmung bei gerade noch 24 der 45 Bezirksabgeordneten oder einer Quote von kaum mehr als 53 Prozent.
Stadtentwicklung: Bergedorfs Wohnungsbau bricht ein – kaum Besserung in Sicht
Ein fatales Signal nach über einem Jahrzehnt, in dem Bergedorf wie ganz Hamburg sich der Illusion verschrieben hat, den immensen Zuzug in die Stadt und gleichzeitig die Rückkehr zu halbwegs bezahlbaren Mieten allein über Neubauten zu lösen. Dabei heißt es in der Präambel doch noch immer: „Mit dem Wohnungsbauprogramm soll zwischen Politik und Verwaltung ein verbindlicher Konsens über die Wohnbauentwicklung geschaffen werden.“ Und weiter: „Grundeigentümern, Investoren, aber auch Bürgern werden Perspektiven gegeben, wie sich der Wohnungsneubau in Bergedorf entwickeln wird.“
Der politische Konsens scheitert mittlerweile an ideologischen Gegensätzen. So lehnen CDU und Linke kategorisch den Zukunftsstadtteil Oberbillwerder, dessen Geländeaufhöhungen nördlich vom S-Bahnhof Allermöhe im Spätsommer 2024 beginnen dürften, als überdimensioniert für Bergedorf ab. SPD und Grüne hoffen dagegen, mit seinen gut 6500 Wohnungen die Hamburger Neubauvorgaben halbwegs abfedern zu können – jedenfalls ab 2027, wenn laut Wohnungsbauprogramm die ersten Baugenehmigungen ausgesprochen werden könnten.
Umbau der P+R-Parkpalette in Lohbrügge sorgt für politischen Zwist
Aber auch kleinere Projekte stoßen der CDU sauer auf, wie Fraktionschef Julian Emrich in der jüngsten Bezirksversammlung ausführte: „Wir lehnen das Überbauen der P+R-Parkpalette auf der Lohbrügger Seite des Bergedorfer Bahnhofs mit Wohnungen ab. Gleiches gilt für die Freigabe des Fritz-Reuter-Hockeyplatzes an der Justus-Brinckmann-Straße, solange die Hockeyspieler der TSG kein neues Trainingsareal haben.“ Zudem sei es unverantwortlich, die Flächen Auf dem Sülzbrack in Zollenspieker mit Wohnungsbau zu überplanen, weil sie entscheidend sind für Volksfeste und die Erweiterung der benachbarten Sportfläche.
Alternativen für den Wohnungsbau, wie etwa die Erweiterung der Dorfkerne in den Vier- und Marschlanden durch die Freigabe zentral gelegener Felder, lehnen dagegen die Grünen und damit auch ihre Koalition aus SPD und FDP mit wenigen Ausnahmen ab. Sie fürchten so, der Zersiedelung der Kulturlandschaft Tür und Tor zu öffnen.
Für 2024 stehen diverse Projekte im Wohnungsbauprogramm des Bezirks
Während alle diese Projekte frühestens 2027 mit möglichen Baugenehmigungen im Wohnungsbauprogramm auftauchen, oft sogar erst nach 2028, wirft die Zeit bis dahin viele Fragen auf. Für 2024 geht der Blick vor allem nach Lohbrügge: 105 Wohnungen sollen kurzfristig als Nachverdichtung zwischen den Genossenschaftsblocks am Max-Eichholz-Ring genehmigt werden.
Ferner sind 100 Wohnungen auf dem Areal des abgerissenen Studentenwohnheims an der Billwiese Teil der Liste, ferner 90 am Hein-Möller-Weg, wo neben Marktkauf bisher noch ein privates Parkhaus steht. 75 sollen als Nachverdichtung der Wohnanlage der Baugenossenschaft Hansa am Beensoaredder genehmigt werden und 50 auf der Fläche des ehemaligen Einkaufszentrums Rappoltweg.
Ob alle fünf Projekte angesichts der hohen Zinsen tatsächlich beim Bauamt des Bezirks beantragt werden, bleibt abzuwarten. Sicherer scheint dagegen die Prognose für das Großprojekt „Wohnen am Weidensteg“ des Investors Swiss Life, der bereits mit den Bauarbeiten für das neue Nahversorgungszentrum und insgesamt 710 Wohnungen am südlichsten Zipfel des Weidenbaumswegs am Schleusengraben begonnen hat. Für die ersten 200 Wohnungen sollen 2024 die Baugenehmigungen ausgesprochen werden.
Trotz vieler Fragezeichen steht das Stuhlrohrquartier ab 2025 im Wohnungsbauprogramm
Die weiteren folgen hier dann in den Jahren 2025 bis 2027, wenn es laut Wohnungsbauprogramm auch mit den 660 Wohnungen zwischen Neuem Weg, Bahnhof Bergedorf-Süd und Brookdeich mit dem sogenannten Bahnhofsquartier losgehen soll. Auch das Stuhlrohrquartier steht dann mit 1000 Wohnungen im Plan – obwohl das Bezirksamt hier angesichts des schon seit fünf Jahren laufenden Bebauungsplanverfahrens selbst noch Zweifel zu haben scheint.
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Weitere Zukunftsvorhaben sind der ehemalige Edeka-Markt Linow am Lohbrügger Markt samt benachbartem Haspa-Flachdachbau. Hier werden laut Wohnungsbauprogramm 2025/26 insgesamt 110 Wohnungen genehmigt. Weitere 90 stehe für 2026 auf dem Grün neben dem Moosbergheim im Plan. Und noch mal 2025/26 sind es 280 im kaum einen Kilometer entfernten neuen Quartierszentrum Bergedorf-West am S-Bahnhof Nettelnburg.
Wie fraglich die vom Bezirksamt erhofften Bauanträge angesichts der explodierenden Baukosten sind, zeigt die Aussage von Dirk Hinzpeter, Vorstand der Hansa Baugenossenschaft, die am Beensroaredder die schon für 2024 eingeplanten 75 Wohnungen bauen will: „Ich muss es ganz deutlich sagen: Nur weil wir hier ausschließlich Sozialwohnungen bauen, für die der Hamburger Senat die Förderung ab 2023 deutlich aufgestockt hat, können wir überhaupt noch bauen“, sagte er bereits im September im Bergedorfer Stadtentwicklungsausschuss. „Ob sich das aber letztlich wirklich rechnet, ist noch keinesfalls sicher.“