Hamburg. Beim Empfang im Rathaus erinnerten sich viele der 800 Gäste an ihre persönlichen Erlebnisse mit Helmut Schmidt.
Wenn der große Staatsakt für den verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt in der Hauptkirche St. Michaelis der Moment des Innehaltens und vielleicht auch des Nachdenkens über die grundsätzlichen Fragen unserer Existenz war, so bedeutete der Empfang im Rathaus danach den ersten Schritt zurück in das Leben.
Rund 800 Gäste waren der Einladung von Bürgerschaft und Senat in den Großen Festsaal und die angrenzenden Festräume gefolgt. Die meisten Trauernden hatten sich mit dem Bus vom Michel über die zum Teil abgesperrten Straßen der Innenstadt bis an das Rathaus fahren lassen. Die Staatsgäste fuhren mit ihren gepanzerten Limousinen vor. Viele Trauergäste – wie auch Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt – nutzen die Gelegenheit, um sich auf der Rathausdiele in eines der Kondolenzbücher für Helmut Schmidt einzutragen, so wie es mehrere Tausend Hamburger und Hamburgerinnen vor ihnen getan hatten.
Trauer um Helmut Schmidt
Vielleicht hätte Helmut Schmidt die hanseatisch-unprätentiöse, beinahe lockere Art der Zusammenkunft gefallen. Bei Kanapees und Getränken entspannten sich schnell zahlreiche Gespräche, die eines belegten: Die Normalität des geschäftigen Lebens hielt wieder Einzug.
Während auch die meisten Ehrengäste den Weg ins Rathaus fanden, fuhren Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mitglieder der Bundesregierung zur Kabinettssitzung sofort zurück nach Berlin. Susanne Schmidt-Kennedy und der engste Familienkreis hielten sich auch im Rathaus auf, blieben dem Empfang aber fern. Bürgermeister Olaf Scholz nutzte die Gelegenheit, um sich zu einem Gespräch mit Susanne Schmidt-Kennedy zurückzuziehen. Unter den Gästen im Rathaus war auch Ex-US-Außenminister Henry Kissinger. „Das ist ein sehr beeindruckender Mann“, sagte Scholz über den 92-jährigen, langjährigen Weggefährten von Helmut Schmidt.
Der verstorbene Ehrenbürger blieb in vielen Gesprächsrunden gegenwärtig. Es kennzeichnet einen über so viele Jahrzehnte öffentlich wirkenden Mann wie Schmidt, dass sehr viele Menschen ihre besonderen, in Hamburg gerade auch sehr persönlichen Erlebnisse mit ihm hatten. Manche Begebenheit hat der Tod des Altkanzlers überhaupt erst wieder ins Gedächtnis gerufen.
Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt, Sozialdemokratin und frühere Bürgerschaftspräsidentin, erinnert sich daran, wie Schmidt ihr im Rathaus einmal einen sehr praktischen Rat gab. „Dorothee, Du musst lauter reden!“, sagte Schmidt, ein bekennend Schwerhöriger, unverblümt nach einer Rede Stapelfeldts als Bürgerschaftspräsidentin im Rathaus. Da waren die beiden schon zum Genossen-Du übergegangen. Andererseits konnte Schmidt bei offiziellen Anlässen wie einem Senatsfrühstück sehr förmlich sein. „Frau Stapelfeldt, wie hoch ist der Migrantenanteil in Hamburg?“ konnte er dann quer über den Tisch Auskunft begehren. Ganz am Anfang, zu Beginn der 80er Jahre, war die Distanz der Jungsozialistin Stapelfeldt zum damaligen Kanzler so groß, dass sie seiner Einladung zu seinem Geburtstag nicht folgte. „Damals fand ich das unpassend“, sagt Stapelfeldt und ärgert sich heute vielleicht ein wenig darüber.
Ein geradezu dramatisches Erlebnis verbindet den früheren SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Holger Christier mit Helmut Schmidt. „Es war 1975, und Schmidt sollte ins Kirchenpauer-Gymnasium in Hamm kommen“, erzählt Pädagoge Christier. 500 Menschen hatten sich in der Aula der heute nicht mehr bestehenden Schule versammelt. „Wer nicht kam, war Schmidt. Und als er schließlich da war, klappte er in meinem Büro zusammen. Er lag auf dem Fußboden“, sagt Christier. Die Rettung war Coca-Cola, doch die war nicht gleich zur Hand, sodass Christier zum nächsten Kiosk sprintete. Das Getränk, in größeren Mengen genossen, wirkte belebend auf Schmidt. „Er stand wieder auf den Beinen, und hat drei Stunden lang geredet. Die Leute waren begeistert“, sagt Christier.
Einig waren sich alle Gäste darin, dass der Staatsakt im Michel eine sehr würdevolle und angemessene Trauerfeier war. „Das war ein absolut perfekter Staatsakt“, fasste Altbürgermeister Henning Voscherau, ein Freund Schmidts und Mitglied der berühmten Freitagsgesellschaft im Langenhorner Haus, seine Eindrücke zusammen. Und wer wollte, der konnte ein leises Bedauern darüber heraushören, dass die Würdigungen Schmidts nicht noch ein wenig persönlicher ausgefallen waren.