Hamburg. Im Michel erwiesen die politische Spitze Deutschlands und namhafte Gäste aus dem Ausland Helmut Schmidt die letzte Ehre.
So wird es sich Helmut Schmidt vorgestellt haben, als er noch zu Lebzeiten seine eigene Trauerfeier plante – professionell und bis ins Detail. Im stilvollen Rahmen, herzergreifend und würdevoll, indes ohne Prunk, nahmen seine Hansestadt und die Welt Abschied. Im Michel erwiesen die politische Spitze Deutschlands und namhafte Gäste aus dem Ausland einer Persönlichkeit, die viel mehr war als Bundeskanzler, die letzte Ehre. Er war Mensch. Gemeinsam blieb die Hoffnung, dass der im Alter von 96 Jahren Verstorbene ewigen Frieden finden möge. Und es bestand Einigkeit, dass Helmut Schmidt unvergessen bleibt. Nicht nur in seiner Heimatstadt.
Neben vielen emotionalen Momenten während der zweistündigen Trauerfeier in der Hauptkirche St. Michaelis ging eine Situation den rund 1800 Gästen besonders zu Herzen. Als sich der frühere amerikanische Außenminister und Schmidt-Freund Henry Kissinger von seinem Platz ganz links in der ersten Reihe erhob und langsam, leicht gebeugt an das Mikrofon vor dem Altarraum schritt, wurden Erinnerungen wach an große Zeiten gemeinsamer Weltpolitik.
Trauer um Helmut Schmidt
Mit rauer Stimme, bedächtig, in seiner deutschen Muttersprache, glückte es dem 92-Jährigen in fesselnder Weise, seine Gefühle in Worte zu fassen: „Unsere Freundschaft ist ein Pfeiler in meinem Leben.“ Getreu der Philosophie Immanuel Kants, der zufolge das eigene Gewissen die oberste Instanz überhaupt sei, sagte er über seinen Weggefährten: „Er war eine Art Weltgewissen.“ Und: „Er war ein großer und guter Mensch.“ Trotz einer innigen, geistvollen Verbindung habe man sich zwar beim Vornamen genannt, jedoch nicht zum vertrauten Du gegriffen. Sein Freund Helmut „wird bei uns bleiben“, auch mal perfektionistisch oder launisch.
An den Reaktionen im Kirchenschiff war zu spüren, dass der Friedensnobelpreisträger vielen Menschen aus der Seele gesprochen hatte. Umso erlösender war es, dass zweimal auch Lachen durch St. Michaelis hallte. Als Bürgermeister Olaf Scholz – erster von drei Rednern im weltlichen Teil der Zeremonie – Schmidts Zigarettenkonsum auch zu unpassenden Gelegenheiten erwähnte. Und als Bundeskanzlerin Angela Merkel Helmut Schmidts spätere Erklärung für dessen legendäres Zitat „Wer Visionen hat, muss zum Arzt gehen“ wiederholte: „Das war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage.“ Typisch Schmidt.
Bevor die Besucher im Michel Platz nehmen konnten, war eine umfangreiche Sicherheitsprozedur zu überstehen. Wohl noch nie in der Hamburger Geschichte gab es so umfangreiche Schutzmaßnahmen. Bis auf die obersten Würdenträger des Staates und die Familie mussten sich sämtliche Gäste im CCH am Dammtor einfinden. Dort gab es eine Überprüfung der Personalien anhand der Einladungslisten, Kontrollen wie am Flughafen und Sammeltransporte zum Michel. Jeder der großen Polizeibusse wurde von einem Polizeimotorrad in die Neustadt geleitet – selbst wenn es bei Rotlicht über Kreuzungen ging. Entsprechend staute sich der Berufsverkehr rund um die Innenstadt.
Die Hauptkirche, in der vor fünf Jahren auch das letzte Geleit für Loki Schmidt zelebriert wurde, war weiträumig abgesperrt. An den Außenmauern des Gotteshauses standen Beileidskränze in Reihe. Helmut Schmidts Sarg selbst war vor dem Altarraum aufgestellt – bedeckt mit der Bundesfahne. Vor ihm stand ein großer Kranz aus Sonnenblumen. Er stammte von der Familie, Helmut Schmidts Wunsch entsprechend. „In Liebe“, stand auf einer Schleife. Sie war von Tochter Susanne und ihrem Mann Brian Kennedy in Auftrag gegeben worden.
Helmut Schmidt: Die wichtigsten Zitate des Staatsaktes
Susanne Schmidt-Kennedy betrat um 10.25 Uhr den Michel, eingehakt bei Bundespräsident Joachim Gauck. Platzanweiser im Frack wiesen den Weg zur ersten Reihe. Kissinger, Olaf Scholz und Angela Merkel saßen ganz außen links, die Familie und Helmut Schmidts letzte Lebensgefährtin Ruth Loah weiter rechts. Dahinter hatte sich praktisch das gesamte Bundeskabinett mit Wolfgang Schäuble, Frank-Walter Steinmeier, Thomas de Maizière und Sigmar Gabriel eingefunden. In ihrer Nähe saßen der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder und der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff.
Präsent war außerdem alles, was in Hamburg Rang und Namen hat – im anderen Teil des Kirchenschiffs. Alles hatte seine protokollarische Ordnung. Apropos: Gewiss noch nie parkten so viele schwarze Autos, zum Teil gepanzert, mit Berliner und diplomatischen Kennzeichen sowie Wimpeln aus allen möglichen Ländern in der Stadt wie am Montag zwischen 10.30 und 12.30 Uhr. Beim Einzug der Familie und der großen Politprominenz erhob sich die Gemeinde, um Respekt zu zollen und Ehre zu erweisen.
Mit Johann Sebastian Bachs Präludium in E-Moll begann der kirchliche Teil der Feier. Mit 30 Minuten nahm er den weit kleineren Teil der Zeremonie ein. „Liebe Frau Schmidt, liebe Frau Loah, liebe Trauergemeinde“, sagte Pastor Alexander Röder. Es sei an diesem Tag so „als sei ein guter Freund gegangen“. Präzise traf der Hauptpastor den passenden Ton. Helmut Schmidt sei ein Vorbild gewesen, an Gradlinigkeit, Redlichkeit, Mut, Beharrlichkeit „und manchmal auch Kantigkeit“.
Vor dem Gelassenheitsgebet und dem Vaterunser erklang Matthias Claudius’ Abendlied. Auch die letzte Strophe war eine Bitte des Verstorbenen: „So legt euch denn, ihr Brüder, in Gottes Namen nieder; kalt ist der Abendhauch.“ Wie der Wandsbeker Claudius, stellte Pastor Röder fest, sei auch der Barmbeker Schmidt „ein Sohn der Stadt“ gewesen. Anschließend sang Jochen Wiegandt, begleitet von seiner Gitarre, von der Empore aus Helmut Schmidts Lieblingslied: „Mien Jehann“. Beim Abschied von seiner Loki 2010 hatte er an gleicher Stelle noch selbst eingestimmt. Damals wie heute war es ergreifend.
Im Anschluss an Johann Pachelbels Kanon in D-Dur hielt Bürgermeister Olaf Scholz als erster des staatlichen Rednertrios seine Ansprache. „Selten in Deutschland wurde einem Politiker so viel Respekt und Vertrauen entgegengebracht“, sagte der Primus inter Pares der Hansestadt über den Verstorbenen, der für ihn wahrlich nicht nur Parteifreund war. Helmut Schmidt habe die Res publica, die öffentliche Sache, also den Staat, verkörpert: „Vieles von ihm bleibt bei uns.“ Denn der Hanseat habe „Spuren hinterlassen, von denen wir manche noch entdecken können.“ Ebenso wie nach ihm Henry Kissinger brachte Hamburgs Bürgermeister Helmut Schmidt in Verbindung mit Immanuel Kant.
Scholz’ kluge und Kissingers herzergreifende Sätze waren die Vorlage für die Kanzlerin. „Helmut Schmidt war eine Instanz“, sprach Angela Merkel ins Mikrofon. Auch für sie ganz persönlich. Die gebürtige Hamburgerin erinnerte an das Jahr 1962, als sie mit ihren Eltern in der DDR, ein Teil der Familie allerdings in der Hansestadt wohnte. „Seit diesen Tagen ist Helmut Schmidt tief in mein Gedächtnis eingegraben“, sagte die Christdemokratin.
Atemholen, Johann Sebastian Bach. Nationalhymne. Fast eine halbe Stunde länger als geplant geriet die Zeremonie. Auch das war gut so. Gesetzten Schrittes traten acht Träger an den Sarg. Dieses Detail hatte Schmidt ebenfalls noch zu Lebzeiten festgelegt. Eigentlich stehen dafür Soldaten bereit. Zwei Helfer nahmen den Sonnenblumenkranz, die Träger den Sarg. Durch den Mittelgang schritten sie der folgenden Prozession voran. Erneut hakte sich Susanne Schmidt-Kennedy, die einzige noch lebende, direkte Nachfahrin von Hannelore und Helmut Schmidt, bei Joachim Gauck unter. Durch Portal 8 begab sich der Trauerkondukt auf den Michel-Vorplatz zum großen militärischen Ehrengeleit. Die Sonne schien am fast wolkenlosen Himmel. Kanzlerwetter.
„Es sind nicht mehr viele da wie Helmut Schmidt“, sagte Hauptpastor Röder – im Namen der meisten. Nachdem im Michel zuletzt Heidi Kabel, Loki Schmidt und Siegfried Lenz verabschiedet wurden, ist mit Helmut Schmidt ein weiterer großer Hamburger gegangen. Bürgermeister Olaf Scholz brachte das allgemeine Empfinden auf den Punkt: „Wir haben einen Giganten verloren.“