Hamburg. Abschied von Helmut Schmidt. Bewegende Trauerfeier im Michel. Zehntausende erweisen dem Altkanzler auf seinem letzten Weg die Ehre.
Deutschland und die Welt haben Abschied genommen von Helmut Schmidt. Beim Staatsaktim Hamburger Michel würdigten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) am Montag die Verdienste und das Leben des Politikers, der am 10. November gestorben war. „Wir haben einen Giganten verloren“, sagte Scholz, der sich tief vor dem Sarg verneigte. „Er hat vorgelebt, wie anständige und vernünftige Politik aussieht. Seine Geradlinigkeit hat Vertrauen erzeugt und ihn zum Vorbild für viele gemacht.“ Hamburg habe viele bedeutende und berühmte Bürger gehabt, so Scholz, aber „dieser war der größte unter ihnen“.
Trauer um Helmut Schmidt
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Kanzlerin Merkel nannte Helmut Schmidt „eine Instanz“. Er habe sich in den vergangenen Jahrzehnten über die Grenzen der Parteien und der Generationen hinweg als scharfzüngiger Beobachter und Kommentator höchsten Respekt erworben. Sie erinnerte daran, dass sie selbst während der Sturmflut 1962 als Siebenjährige, damals in der DDR lebend, um die Großmutter und Tante in Hamburg gebangt habe – und auf Helmut Schmidt vertraute. „Seit diesen Tagen ist er tief in meinem Gedächtnis eingegraben“, sagte sie. Merkel würdigte Mut und Standhaftigkeit des früheren Regierungschefs und erwähnte auch den Terror der RAF, der Schmidts Amtszeit prägte. Die Frage liege nahe: Was hätte Helmut Schmidt zu den Anschlägen von Paris gesagt? „Wir müssen selbst die gebotene Antwort geben“, sagte Merkel. „Man müsse zeigen, dass man verstanden habe, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.“
Unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen hatten sich 1800 geladene Gäste in der Hamburger Hauptkirche versammelt – unter ihnen viele Größen deutscher und europäischer Politik. So waren neben dem Senat und den Bürgerschaftsabgeordneten praktisch das gesamte Bundeskabinett gekommen, ebenso wie der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, der französische Ex-Präsident Valéry Giscard d’Estaing, EU-Kommissionspräsident Jean- Claude Juncker und der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz.
Helmut Schmidt: Die wichtigsten Zitate des Staatsaktes
Henry Kissinger: „Er war eine Art Weltgewissen.“
Angela Merkel. „Helmut Schmidt war eine Instanz. Sein hohes Ansehen hat seinen guten Grund. Mir kommt dazu ein Wort in den Sinn: Verantwortung. Helmut Schmidt war bereit und fähig, jede Situation und jede Aufgabe, die ein Amt mit sich brachte, anzunehmen und sich ihnen zustellen - und seien sie auch noch so schwierig.“
Olaf Scholz: „Wir werden die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit unserer offenen Gesellschaft gegen diese feigen Angriffe verteidigen. (...) Wir verteidigen sie, indem wir sie so leben und verkörpern, wie Helmut Schmidt es zeitlebens getan hat."
Angela Merkel: „Helmut Schmidts Tod ist für uns alle eine herbe Zäsur. Ich verneige mich in tiefem Respekt vor diesem großen Staatsmann, vor einem großen Deutschen und Europäer.“
Olaf Scholz: „Wir haben einen Giganten verloren.“
Henry Kissinger: „Zu Helmuts 90. Geburtstag sprach ich die Hoffnung aus, dass er mich überleben würde, weil eine Welt ohne ihn ein sehr, sehr leere wäre. Ich habe mich geirrt. Helmut wird bei uns bleiben. Perfektionistisch, launisch, stets auf der Suche, inspirierend, immer zuverlässig, so wird er uns für den Rest unseres Lebens begleiten.“
Olaf Scholz: „Es ist noch kaum vorstellbar, dass wir künftig gesellschaftliche und politische Debatten ohne ihn werden führen müssen.“
Angela Merkel: „Wer kennt sie nicht, die viel zitierte Empfehlung Helmut Schmidts: ,Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.' Er selbst hat die Aussage später wie folgt eingeordnet, ich zitiere: ,Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage."“
Angela Merkel: „Die größte Bewährungsprobe für den Bundeskanzler Helmut Schmidt war der Terrorismus der sogenannten Rote Armee Fraktion. (...) Wir stehen an diesem Tag, an dem wir von Helmut Schmidt Abschied nehmen, wieder unter dem Eindruck grausamer Attentate. (...) Die Motive heute sind andere, die Umstände auch. Aber Terror bleibt Terror. (...) Was hätte Helmut Schmidt zu den Anschlägen gesagt? Diese Frage liegt nahe und doch verbietet sie sich. Wir müssen selbst die gebotene Antwort geben. Wir müssen selbst zeigen, dass wir verstanden haben, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.“
Hauptpastor Alexander Röder: „Er ist für sie eine Autorität, ein Vorbild an Gradlinigkeit, Pflichtbewusstsein, Redlichkeit und Mut, Klugheit und Klarheit in seiner Haltung, manchmal auch Kantigkeit und zugleich Bodenständigkeit. So bleibt er in Erinnerung, auch über seinen Tod hinaus.“
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Vor dem Sarg, gehüllt in eine schwarz-rot-goldene Flagge mit Bundesadler darauf, stand ganz allein ein Kranz aus Sonnenblumen. „In Liebe – Susanne, Brian“, hatten die Schmidt-Tochter und ihr Mann auf die gelbe Schleife sticken lassen. Bundespräsident Joachim Gauck hatte sie und Schmidts Lebensgefährtin Ruth Loah in die Kirche geführt. Der Kranz aus gelben Sonnenblumen war später der einzige, der Schmidts Sarg bis nach Ohlsdorf begleiten sollte.
Die persönlichsten Worte fand der frühere US-Außenminister Henry Kissinger. „Unsere lange Freundschaft ist ein Pfeiler in meinem Leben“, sagte der 92-Jährige. Sechs Jahrzehnte lang hätten Schmidt und er über dieselben Probleme nachgedacht und einander immer die absolute Wahrheit gesagt, seien aber trotzdem nie zum vertrauten „Du“ gewechselt. „Helmuts Überzeugungen bestimmten sein Handeln – immer“, sagte der gebürtig aus Fürth stammende Kissinger auf Deutsch. „Er war eine Art Weltgewissen.“
Einer der bewegendsten Momente war vielleicht ein musikalischer. Der Chor stimmte das Abendlied von Matthias Claudius an, die Klänge von „Der Mond ist aufgegangen“ fluteten durch das weite, weiße Kirchenschiff. Eine als Kinderlied bekannt gewordene Weise beim Staatsakt für den verstorbenen Altbundeskanzler – so hatte es sich Helmut Schmidt vor seinem Tod selbst gewünscht. Das Lied sei einer der Haltepunkte in seinem Leben gewesen, beschrieb es Michel-Hauptpastor Alexander Röder in seiner Predigt. Er nannte Schmidt „eine Autorität, ein Vorbild an Gradlinigkeit, Pflichtbewusstsein, Redlichkeit und Mut, Klugheit und Klarheit in seiner Haltung, manchmal auch Kantigkeit und zugleich Bodenständigkeit“. So bleibe er in Erinnerung, „auch über seinen Tod hinaus“.
Die Menschen drängen sich an denStraßen, um Abschied zu nehmen
Als der Staatsakt zu Ende war, trugen acht Hamburger Träger den Sarg durch das Portal Nummer acht aus der Kirche zum großen militärischen Geleit. Auf dem weiträumig abgesperrten Vorplatz nahmen ihn Soldaten aller drei Waffengattungen auf einem Podest, einem sogenannten Katafalk, entgegen und trugen ihn zu Klängen von „Der gute Kamerad“ vorbei an der Ehrenformation der Bundeswehr zum Leichenwagen. Zehntausende Bürger säumten die Straßen, um selbst Abschied zu nehmen von dem Hamburger, der Weltruhm erlangte.
Nach dem Staatsakt hatten Bürgerschaft und Senat etwa 1000 Gäste zu einem Trauerempfang ins Rathaus gebeten. Dort trugen sich Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt in die Kondolenzbücher ein. Zeitweise bildeten sich wie kurz nach Schmidts Tod vor zwei Wochen lange Schlangen vor den beiden Pulten neben einer großen Vase mit Lilien, Rosen und Dahlien.
Zur gleichen Zeit führte Helmut Schmidts letzter Weg quer durch seine Heimatstadt. Auf der zwölf Kilometer langen Strecke erwiesen die Menschen ihm die letzte Ehre, sie drängten sich am Ballindamm, um einen Blick auf den Leichenwagen zu werfen, standen am Schwanenwik Spalier. Wo der Leichenwagen vorbeifuhr, brandete Beifall auf – eine eindrucksvolle Geste. Wie hatte es Hauptpastor Röder in seiner Predigt gesagt? Für viele Hamburger sei es, als sei mit dem Tod Helmut Schmidts „ein guter Freund gegangen“.
Als der Leichenzug den Eingang des Ohlsdorfer Friedhofs passiert hatte, wurde es privat. Darum hatte die Familie gebeten. Helmut Schmidt soll nach der Einäscherung im Familiengrab mit der schlichten hellgrauen Grabplatte beigesetzt werden. Sein Name ist in dem Stein bereits eingraviert. Er wird ruhen neben Loki, mit der er 68 Jahre lang verheiratet war. Ihren Ehering trug er nach ihrem Tod am kleinen Finger – bis zuletzt.
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