Der Bürgermeister über neue Wege, überwundene Grabenkämpfe und den “desolaten Zustand der SPD“.

Hamburger Abendblatt:

Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag ist unterschrieben. Ist das erste Bündnis dieser Art ein Triumph des Willens, der Lohn für die Jahre des geduldigen Werbens um die Grünen?

Ole von Beust:

Der Vertrag ist die richtige Antwort auf die politische Situation Hamburgs, wie sie sich aus der Bürgerschaftswahl ergeben hat. Er ist aber auch die richtige Antwort darauf, die argumentativen Grabenkriege der vergangenen 30 Jahre endlich zu überwinden und etwas Neues zu wagen. Also kein Triumph des Willens, sondern allenfalls ein Triumph der Vernunft.



Abendblatt:

Kein anderer Politiker hat so beharrlich wie Sie auf Schwarz-Grün hingearbeitet.

Von Beust:

Seit ich verantwortlich Politik mache, gilt für mich der Satz, dass ich von politischen Ritualen und immer gleichen Denkmustern nichts halte. Ich habe mich immer bemüht, das eigene Denken auf den Prüfstand zu stellen. Es passt zu meinem Naturell wie auch dem der Hamburger CDU und der agierenden Personen bei den Grünen, neue Wege zu gehen, und das bedeutet jetzt, die Chance zu Schwarz-Grün zu nutzen. Es geht aber nicht darum, dass ich mir etwa einen Jugendtraum erfülle. Es gibt keinen solchen Traum, an dem ich, noch dazu "geheim", seit 15 Jahren stricke.



Abendblatt:

Was ist für Sie an den Grünen so interessant, so faszinierend?

Von Beust:

Es geht nicht um meine persönliche Sympathie, sondern darum, was für die Stadt am besten ist. Erstens: Es ist mit den Grünen möglich, Antworten zu den drängenden und völlig neuen politischen Fragen zu finden, bei denen Sie mit der herkömmlichen Art, Politik nach dem Links-rechts-Schema zu treiben, nicht weiterkommen. Also: Wie können wir das Gesellschaftssystem in Zeiten der Globalisierung einigermaßen gerecht erhalten? Wie können wir ökonomisches Wachstum nutzen, um auch ökologische Effekte mit Blick auf den Klimaschutz zu erreichen? Hinzu kommen Themen wie Integration und das Älterwerden der Gesellschaft.


Zweitens ist Schwarz-Grün angesichts der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse für die Stadt am besten wegen des desolaten Zustands der Hamburger SPD. Ich kann nicht genau sagen, wofür die Partei im Moment steht. Da geht vieles durcheinander - personell und inhaltlich. Darum wäre eine Große Koalition der schlechtere Weg gewesen, neue Wege zu gehen und auch Stillstand zu vermeiden.


Abendblatt:

Geht es bei Schwarz-Grün nicht auch ganz einfach um die Machtperspektive? Die GAL ist für die CDU das kleinere Übel gegenüber der SPD.

Von Beust:

Solch eine Abwägung war für mich nicht maßgebend. Aber ich muss sagen, dass die SPD - in Hamburg eine Partei mit großer und erfolgreicher Tradition - im Moment nicht regierungsreif ist, personell und inhaltlich.



Abendblatt:

Sie haben eine bemerkenswerte Flexibilität bei der Wahl Ihrer Koalitionspartner im Lauf der Jahre bewiesen...

Von Beust:

Die Flexibilität haben die Wähler, nicht ich...



Abendblatt:

Trotzdem: Erst Ronald Schill und dann Christa Goetsch zu umarmen - wie geht das?

Von Beust:

Ich habe meine Grundsätze in der Politik. Es gibt Grenzen: Mit Neonazis oder Kommunisten arbeite ich nicht zusammen. Für Chancengerechtigkeit sorgen, wirtschaftliches Wachstum als Grundlage aller gesellschaftlichen Prozesse, weniger staatliche Bevormundung und mehr Hilfe zur Selbsthilfe - das sind seit Jahrzehnten meine Grundsätze. 2001 war das nur möglich in einer Koalition mit der Schill-Partei und der FDP. Jetzt ist es möglich, diese Grundsätze mit den Grünen durchzusetzen. Weniger Staat zum Beispiel wäre mit der SPD nicht zu machen. Ich bin meinen Grundsätzen treu geblieben.



Abendblatt:

Trotzdem: Das Bündnis mit der Schill-Partei lief unter der Dachmarke "law and order". Mit den Grünen wird nun alles viel bunter. Themen wie Integration und Migration haben einen höheren Stellenwert.

Von Beust:

Hinter der Frage steckt der Vorwurf: Aus Gründen des Machterhalts macht er es mit jedem und wirft seine Überzeugung über Bord. Das ist falsch. Ich habe meine Grundsätze auch etwa beim Thema innere Sicherheit. Worauf sich Schwarz-Grün geeinigt hat, ist doch fast klassische CDU-Politik. Ich freue mich, dass die Grünen das mittragen. Es gibt keine Schwächung der Polizei oder des Verfassungsschutzes und kein Verbot, straffällige Ausländer auszuweisen.


Mir ist eines wichtig: Vor der Wahl 2001 habe ich gesagt, dass ich mir eine Koalition mit der Schill-Partei vorstellen kann. Jetzt habe ich das Gleiche bezogen auf Schwarz-Grün gesagt und jeweils teils harte Kritik geerntet. Ich habe immer mit offenen Karten gespielt. Das ist der Unterschied zur Lage in Hessen.


Abendblatt:

Haben Sie denn Verständnis für die Menschen, die sagen: Das ist ein ziemlicher Spagat von Schill zu Goetsch?

Von Beust:

Ja, natürlich ist das ein Spagat beim ersten Hingucken. Aber 2001 war eine andere Situation: Wir haben die Lage der inneren Sicherheit seitdem doch deutlich verbessert: mehr Personal bei der Polizei, Rückgang der offenen Drogenszene, deutlich weniger Drogentote. Diese Erfolge werden durch die neue Koalition nicht gefährdet.



Abendblatt:

Umso überraschender ist, dass Sie mit Innensenator Udo Nagel den offensichtlich erfolgreichen und darüber hinaus beliebtesten Senator entlassen haben. Warum war das nötig?

Von Beust:

Das war eine notwendige, aber fachlich und menschlich schwierige Entscheidung. Wir haben als CDU jetzt in einer Koalition weniger personellen Spielraum. Andererseits besteht der große Wunsch in Fraktion und Partei, durch qualifizierte Leute Ämter zu besetzen. Ein Parteiloser hat es da schwer. Ich bin Udo Nagel dankbar, dass er das ohne Groll akzeptiert hat.



Abendblatt:

Kommt nach dem sympathischen "Michel - Alster - Ole" von 2004 jetzt der kalte Machtpolitiker Ole von Beust zum Vorschein?

Von Beust:

Weder war das Etikett des Sunnyboys damals richtig, noch ist es das andere jetzt. In der Politik muss man manchmal Entscheidungen treffen, die unangenehm sind und schmerzen, wie in allen Führungspositionen. Wenn man sich die Entscheidungen leicht machte, wäre man zynisch. Das tue ich aber nicht.



Lesen Sie morgen den zweiten Teil des Interviews mit Bürgermeister Ole von Beust.