Heute dürften die neuen Zahlen für das Jahrhundertbauwerk verkündet werden. Das Konzerthaus mit Hotel und Luxuswohnungen könnte insgesamt fast 400 Millionen Euro kosten. Für viele Fachleute kommt die Preisexplosion nicht überraschend.

Mittwoch, 17 Uhr, Rathaus, Zimmer 151. Hier soll heute im Wortsinn Großes verkündet werden. Ganz konkret, so jedenfalls der bisherige Plan, will Senatorin Karin von Welck (parteilos) den Kulturausschuss über die Kosten der Elbphilharmonie sowie die Terminplanung des gewaltigen Bauprojekts in der HafenCity informieren. Beim neuen Wahrzeichen kommt die Wahrheit nur spärlich ans Licht. Längst haben im Streit zwischen dem Bauherrn, der städtischen Realisierungsgesellschaft (ReGe), dem Generalunternehmer Hochtief sowie den Generalplanern, den Schweizer Architekten Jacques Herzog & Pierre de Meuron, die Juristen die Regie übernommen: wenig Harmonie bei der Philharmonie an der Elbe. Und noch sind viele Fragen über das gewaltige Bauwerk mit seinen drei Konzertsälen, 45 Wohnungen sowie Hotel, Gastronomie und Parkgaragen offen. Wie viel mehr als die bisher von der Bürgerschaft bewilligten 114 Millionen Euro wird das weltweite Unikat den Steuerzahler kosten? Und vor allem: Warum sind die Kosten dermaßen explodiert? Das Abendblatt hat sich auf Spurensuche begeben, sich auf der Baustelle umgesehen und in zahlreichen Gesprächen mit Experten, Politikern und Beteiligten sechs große Knackpunkte beim Jahrhundertbauwerk ausgemacht.

1. Die Planungsänderungen Sie sind der Hauptgrund für die Kostenexplosion. Es soll mehr als 50 Positionen gegeben haben, die bei der Vergabe nicht "durchgeplant" (siehe Interview) gewesen sind, dazu kommen zahlreiche Wünsche und Änderungen, die zusätzliche Kosten verursachten, wie zum Beispiel

Die energetische Optimierung durch Gebäudekühlung mit Grundwasser. Zusätzliche Investitionsmittel: 1,5 Millionen Euro. Hintergrund: Ursprünglich sollte der erste Grundwasserleiter der Elbe zur Kühlung genutzt werden. Doch dann stellte sich heraus, dass dieser wegen seines Ammonium- und Eisengehaltes nicht infrage kam - und eine Kühlung mit elektrischer Energie über Kühlaggregate hätte eine erhebliche Betriebsbelastung dargestellt. Also wird jetzt mit Elbwasser des zweiten Grundwasserleiters in 200 Meter Tiefe gekühlt.

Die Neuplanung des 3. Konzertsaals: Er war ursprünglich nicht vorgesehen und schlägt nach Expertenschätzung mit knapp einer Million Euro zu Buche.

Ein zweites Notstromaggregat: Dieses wurde erforderlich, weil im Fall eines Feuers die beiden - und nicht, wie anfangs angenommen, nur eine - rund 80 Meter langen, gekrümmten Rolltreppen in eine Richtung geschaltet werden müssen.

Pfahlgründung: Dabei geht es um insgesamt 620 Pfähle, die "nachgegründet" werden mussten, weil sich im Untergrund ein Hindernis befunden hat. Da das Baugrundrisiko immer der Bauherr, also in diesem Fall die Stadt, trägt, entstanden hier zusätzliche Kosten von rund 1,8 Millionen Euro.

Die Flächenerweiterung. Der ursprüngliche Entwurf des Architekten Alexander Gerard, Erfinder der Konzertsaal-Idee auf dem Kaispeicher A, sah eine Bruttogeschossfläche von 84 000 Quadratmetern vor. Daraus wurden - durch Begehrlichkeiten von allen Seiten - am Ende 120 000 qm. Etwa 45 Prozent mehr Fläche bedeuten aber eben auch mehr Lasten, mehr Pfähle - und mehr Kosten.

Der Einbau von hoch effizienten Lüftungsanlagen: zusätzlicher Investitionsbedarf von 1,5 Millionen Euro. Dieser soll sich jedoch innerhalb von acht bis neun Monaten amortisieren.

Zahlreiche Änderungswünsche der privaten Investoren, die für Hotel, Wohnungen, Gastronomie und Parkhaus zuständig sind - also die Mantelbebauung, an der fünf Architektenbüros beteiligt sind. Dabei wird immer gerne das "Sauna-Beispiel" angeführt. Auf Wunsch der amerikanischen Hotelkette wurden im Nachhinein aus einer Gemeinschaftssauna zwei getrennte - für Männlein und Weiblein. "Die Amis sind halt etwas prüde", so ein Insider. Auch hier die Folge: Umbauten, Verzögerungen, Nachträge.

2. Der Architektenvertrag Von einigen Experten wird die Vertragskonstruktion des Elbphilharmonie-Projekts als einer der wichtigsten Gründe für die Verzögerungen und die immensen Kostensteigerungen ausgemacht. Vereinfacht dargestellt, gilt folgendes Konstrukt: Bauherr der Philharmonie (nicht der Mantelbebauung) ist die ReGe, Generalplaner sind die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, Generalunternehmer ist der Essener Baukonzern Hochtief. Das Problem: Wenn es zu Planänderungen der Architekten kommt, führt das zu teuren Nachträgen bei Hochtief. "Es ist immer schlecht, wenn man als Bauherr in Nachträge reinläuft", sagt ein Projektentwickler. In der Praxis sei es dann nämlich nur sehr schwer zu kontrollieren, wie viele Bauleiter oder Poliere an wie vielen Stunden tatsächlich an diesen Nachträgen gearbeitet haben - oder vielleicht auf ganz anderen Baustellen unterwegs waren.

Die massiven Probleme und juristischen Auseinandersetzungen, so die Einschätzung, wären zu vermeiden gewesen, wenn man Hochtief zum General- oder Totalübernehmer gemacht hätte - und so die Architekten unter die Regie des Baukonzerns gestellt hätte. Dann wäre es in dieser Form nicht laufend zu Projektänderungs-Mitteilungen und mittlerweile rund 250 Behinderungsanzeigen gekommen, worauf die ReGe ihrerseits mit Verzugsschreiben und angekündigten Schadenersatzansprüchen wegen Bauverzugs reagiert hat. Kompliziert wird die Sache außerdem noch dadurch, dass auch architektonische Änderungen der privaten Investoren vom Generalplaner Herzog & de Meuron in die Gesamtplanung integriert werden müssen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick zurück. Der Entwurf mit der geschwungenen Glasfassade auf dem historischen Gebäude, den sich Gerard von seinen ehemaligen Studienkollegen Herzog und de Meuron für 70 000 Euro skizzieren ließ, hat damals (und bis heute) die Entscheidungsträger elektrisiert. Die Stadt hat den Architektenvertrag von Gerard, den sie im November 2004 ausbezahlt hat, übernommen und musste so, da es sich bei dem Konzertbau um ein Kunstwerk handelt, keine europaweite Ausschreibung durchführen - worauf sie übrigens von dem Architektur-Professor Stephan Braunfels verklagt wurde, in Brüssel aber recht bekommen hat.

Dennoch fragen sich manche, warum die Stadt den Architektenvertrag nicht "gegen einen dann sicherlich höheren Festpreis Hochtief einfach umgehängt hat". Andere verweisen auf Vertragskonstruktionen mit Leistungsphasen (1 bis 4), in denen die Stadt als Bauherr auftritt und dann in der schwierigen Ausführungsplanung (5 bis 9) vom Generalunternehmer abgelöst wird.

3. Die Kalkulation der Kosten Sie ist bei einem weltweit einmaligen Bauwerk natürlich extrem schwierig. Als bestes Beispiel gilt die buchstäblich alles überragende Glasfassade. Die etwa 2200 Glasscheiben haben unterschiedliche Wölbungen, was teilweise einen fast senkrechten Blick auf die Elbe gestattet. Sie sind individuell bedruckt und gewährleisten durch ihre Verformungen gleichzeitig Ausblick, Windschutz und Belüftung. Kalkuliert worden ist die Fassade anfangs, so ein Insider, mit 23 Millionen Euro. Das eingeholte Angebot betrug dann aber 56 Millionen, man einigte sich schließlich auf 50 Millionen Euro.

4. Der Große Konzertsaal In einer Bürgerschaftsdrucksache wird der ehemalige ReGe-Chef Hartmut Wegener, der im September entlassen worden war, damit zitiert, dass der große Konzertsaal "die eigentliche Schwierigkeit des Projekts" darstelle. Der Saal, der Platz für 2150 Zuschauer bietet, wird in 55 Meter Höhe in zwei Betonschalen eingehängt. Eine dritte Schale, die sogenannte "weiße Haut", besteht aus Gips und wiegt pro Quadratmeter 125 Kilogramm. Diese weiße Haut darf nicht reißen, und deshalb werde die Frage der Auswirkungen rhythmischen Klatschens in einem schwingenden Saal untersucht. "Diese Untersuchungen führten zu konstruktiven baulichen Veränderungen", heißt es weiter in der Drucksache, und man könnte "nicht versprechen, dass es nicht zu weiteren Kostensteigerungen kommen werde".

5. Das Nachforderungsmanagement Die Stadt wurde völlig überrascht vom Umfang des sogenannten "Claim Managements", mit dem sich die ReGe vonseiten des Generalunternehmers konfrontiert sieht. Spötter bezeichnen Hochtief gerne als "Anwaltskanzlei mit angeschlossener Bauabteilung". In einer Drucksache heißt es zum Thema Nachforderungen: Damit hätte die Stadt "nach den sehr konstruktiven vorangegangenen Verhandlungen nicht gerechnet". Mittlerweile nehmen "alle Beteiligten juristischen Beistand in Anspruch". Dies sei für die ReGe eine große Erschwernis, "weil sie personell nicht so aufgestellt ist, um die Flut von Schreiben bewältigen zu können". Daher sei "auch eine Personalverstärkung vonnöten". Durch die notwendige Aufstockung würden "höhere Verwaltungs- und Verfahrenskosten sowie Anwaltskosten anfallen". In den bisher von der Bürgerschaft bewilligten 114 Millionen Euro war dafür eine Summe von "acht Millionen Euro" vorgesehen.

6. Der Preis Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es bei großen öffentlichen Bauwerken anfangs einen niedrigen "politischen Preis" gibt, um solche Projekte nicht sofort totzureden. Wirtschaftsprofessor Lothar Streitferdt von der Hamburger Universität nennt zahlreiche Beispiele wie die Schwimmoper an der Alster, das Aachener Klinikum, die Frankfurter Oper oder den Tunnel zwischen Frankreich und England, bei denen die Kosten explodiert sind. Oftmals handele es sich um Prestigeprojekte. Natürlich gebe es auch bei Privatbauten dramatische Kostenabweichungen, die Sache habe nur einen Unterschied: "Die Privatleute haben nur begrenzt Geld."

Fest steht: Gerard hatte zusammen mit Bauinvestor Dieter Becken angeboten, das Projekt für 150 Millionen Euro zu realisieren. Eine Machbarkeitsstudie der ReGe kam danach zu Gesamtkosten in Höhe von 186 Millionen Euro. Daraus wurde dann ein Festpreis von 241 Millionen Euro. Das ursprüngliche Angebot von Hochtief soll 281 Millionen Euro betragen haben, und der Konzern müsse sich deshalb - so die These eines Insiders - "diese 40 Millionen durch Nachträge wieder reinholen". Da außerdem durch den ausgehandelten Festpreis das Preissteigerungsrisiko allein beim Unternehmen liege, hätte Hochtief laut Bürgerschaftsdrucksache zusätzlich "eine Preissteigerung von 32 Millionen Euro - ein eklatanter Verlust - zu verkraften". Daher laste "ein hoher Druck auf dem Unternehmen, den es durch die Verhandlungen über die Projektänderungs-Mitteilungen zu mindern versuche". Fachleute halten diese Annahme einer 15-prozentigen Preissteigerung innerhalb von zwei Jahren dagegen für völlig übertrieben, die Rate läge eher bei sechs bis acht Prozent bezogen auf Stahl und Beton.

Bei den äußerst zähen und langwierigen Verhandlungen zwischen der Stadt und Hochtief bezüglich der zusätzlichen Kostenübernahme war wohl folgendes Szenario im Gespräch: Hochtief verlangte 120 Millionen Euro von der Stadt, diese hatte 60 Millionen in Aussicht gestellt. Eventuell wird man sich auf rund 90 Millionen einigen.

Während die Verhandlungen mit Hochtief, die sehr schwierige baubetriebswirtschaftliche und jurisitische Fragestellungen beinhalten, wie man hört einigermaßen gut vorankommen, scheint es mit den Generalplanern schwieriger zu sein. Und das hat einen einfachen Grund: das Honorar für die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron. Üblicherweise gibt es dafür je nachdem, ob es sich um einen Neu- oder einen Umbau handelt, feste Sätze. Doch in diesem Fall ist davon auszugehen, dass das Architekten-Honorar, welches in den 241 Millionen Euro nicht enthalten ist, gesondert vereinbart wurde. In Branchenkreisen schätzt man das Honorar für die Generalplaner auf 40 bis 50 Millionen Euro, dazu kommen die bereits erwähnten zusätzlichen Aufwendungen für die personelle Aufstockung der ReGe. Gut möglich also, dass am Ende die Experten recht behalten, die mittlerweile eine Summe von knapp 400 Millionen Euro für realistisch halten.

Wobei es sich immer wieder lohnt darauf hinzuweisen, dass die Elbphilharmonie nur Teil eines Gesamtkomplexes ist. 103 Millionen Euro kommen von dem Investorenkonsortium IQ 2 (Hochtief Construction/Commerz Real AG) für die Mantelbebauung. Zudem haben Sponsoren bisher mehr als 60 Millionen Euro aufgebracht.

Aber schon heute steht fest, dass die bisher von der Bürgerschaft bewilligten Gelder nicht ausreichen werden - und somit weitere Steuermillionen erforderlich sein werden. Man kann den handelnden Personen im Rathaus nur raten, dass die nächste Zahl, die kommuniziert wird, dann wirklich die endgültige ist.


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