Unter dem Druck von Missbrauchsvorwürfen in ihrer Kirche gibt Jepsen auf. Der mitfühlenden Seelsorgerin fehlte als Chefin wohl die Härte.
Zu ihrem letzten großen Auftritt erscheint sie in Schwarz und erhobenen Hauptes . Maria Jepsen wirkt gefasst, als sie am späten Freitagnachmittag den Raum neun im Dorothee-Sölle-Haus unter Blitzlichtgewitter betritt. 30 Fernsehkameras und Objektive sind auf die zierliche Frau mit dem großen goldenen Kreuz an der Kette gerichtet. Die Bischöfin, die vor 18 Jahren als erste Frau weltweit in der lutherischen Kirche ein solches Amt übernahm, lächelt bemüht. Jeder im Raum weiß, dass sie es gleich niederlegen wird.
+++ EKD-Ratsvorsitzender: Rücktritte schaden der Kirche +++
Als sie Platz nimmt, wird sie flankiert von Bischof Gerhard Ulrich, Vorsitzender der Nordelbischen Kirchenleitung, und Gothart Magaard, Bischofsbevollmächtigter für den Sprengel Schleswig-Holstein. Es wirkt, als wollten die beiden Weggefährten ihr Schutz bieten. Maria Jepsen nimmt einen Schluck Wasser, atmet noch einmal tief durch. Dann spricht sie in die Armee von Mikrofonen. Ihre Rede dauert nur wenige Minuten. Minuten, die den Anfang und das Ende ihrer Karriere markieren.
"Ich habe mein Bischofsamt angetreten mit dem mir aus Kindertagen vertrauten Psalmwort 'Siehe, wie fein und lieblich es ist, wenn Geschwister einträchtig beieinanderwohnen!'", sagt Maria Jepsen. Ihre Stimme klingt fest - auch wenn die Worte aus ihr hervorsprudeln. "Fein und lieblich ist augenblicklich fast gar nichts in meinem bischöflichen Amt. Meine Glaubwürdigkeit wird angezweifelt." Sie habe versucht, den Menschen in Stadt und Land nahe zu sein. "Hörend, handelnd und betend", sagt sie.
Nach ihrem Rücktritt wirkte sie traurig und erleichtert zugleich
Zumindest in puncto "handeln" wird Maria Jepsen Versagen vorgeworfen. Die Bischöfin soll bereits 1999 von der Schwester eines Missbrauchsopfers den direkten Hinweis bekommen haben, dass der Ahrensburger Pastor Dieter K. in den 80er-Jahren mehrere Jugendliche sexuell missbraucht habe. Jepsen habe, so versicherte die Frau eidesstattlich, bejahende Worte gesagt. Heute, elf Jahre später, könne sie sich kaum erinnern, sagte darauf die Bischöfin. Schon gar nicht an das Wort Missbrauch. "Da wären bei mir die Alarmglocken losgegangen." Auch die damalige Stormarner Pröpstin Heide Emse habe ihr 1999 lediglich von einem außerehelichen Verhältnis zwischen Dieter K. und einer erwachsenen Frau berichtet.
Es sind Erinnerungslücken, die Jepsen zu Fall gebracht haben. Noch am Mittwoch hatte sie im Abendblatt-Interview zu ihrem Umgang mit den Missbrauchsfällen in der Ahrensburger Kirchengemeinde betont: "Ich lüge nicht, und ich kneife nicht." Jetzt sagt sie dazu nur noch dies: "Ich erwarte, dass die Missbrauchsfälle in Ahrensburg und anderswo zügig aufgeklärt werden und die Wahrheit ans Licht kommt." Bei diesen Worten hält sie den Blick gesenkt. Als sie wieder hochschaut, schimmern ihre blauen Augen feucht. Sie sammelt sich kurz, bevor sie ihre Erklärung abschließt: "Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck." Sie wirkt traurig und erleichtert zugleich.
Der Rücktritt schmerze die Nordelbische Kirche außerordentlich, sagt anschließend Bischof Gerhard Ulrich. "Sie wird uns als Bischöfin fehlen, auch weil sie sich wie kaum eine andere Vertreterin der evangelischen Kirche immer an die Seite der Opfer und Benachteiligten in unserer Gesellschaft stellt." Es sei tragisch, dass Jepsen mit ihrem Rücktritt Verantwortung für etwas übernehme, das ihr nicht als persönliche Schuld angelastet werden könne und dürfe. Ulrich blickt ernst in die Runde und sagt: "In Bezug auf Ahrensburg scheint es so zu sein, dass zu einer bestimmten Zeit in unseren Strukturen nicht angemessen mit allen Informationen umgegangen worden ist."
Dann wendet er sich direkt Maria Jepsen zu, legt ihr freundschaftlich die Hand auf die Schulter und umarmt sie. Beide sind gerührt. Ohne den Journalisten Rede und Antwort zu stehen, verlassen sie den Raum. Zwei Jahre Amtszeit hatte sie noch vor sich, und 2012 soll der Bischofssitz für die neue Nordkirche - Hamburg, Schleswig, Lübeck, Mecklenburg, Pommern - nach Schwerin verlagert werden.
Eine klassische Vertreterin der Kirche von unten
Als sie 1991 von der Nordelbischen Synode mit 78:44 Stimmen gewählt wurde - Gegenkandidat war der damalige und weithin beliebte Michel-Pastor Helge Adolphsen -, wusste sie, dass sie schon allein deshalb polarisierte, weil sie eine Frau war. Sie bekam Briefe, sie werde "in der Hölle landen", und ein paar Pastoren beantragten ihren vorzeitigen Ruhestand. Aber sie wollte es darauf ankommen lassen. Zwar waren Grabenkriege ihre Sache nicht, aber erreichen wollte sie durchaus etwas. Sie wollte, dass "wir Frauen mit den Männern und nicht gegen sie Kirchen gestalten". Sie wollte eine sanfte feministische Theologie verankern; also die Ideen jener, "die seit etwa 20 Jahren nicht mehr bereit sind, einfach nur die männlichen Strukturen in der Kirche und auch in der Theologie zu übernehmen". Damals scholl ihr ständig das Paulus-Zitat entgegen, die Frau habe in der Gemeinde zu schweigen. Falsch, parierte sie, das habe er gar nicht gesagt, der Satz sei später eingefügt worden.
Aber die Zeit pushte die Frauen. 1991 war die Hamburger Sozialamtschefin Elisabeth Lingner zur ersten Synodalpräsidentin gewählt worden. 1993 wurde Heide Simonis in Kiel erste Ministerpräsidentin eines Bundeslandes. Mit Helge Adolphsen erkannten viele Kirchenmänner, dass das Thema Frauen "sehr, sehr dran ist in der Kirche".
Und Frauen, betonte Maria Jepsen, würden manches anders machen. Ihr eigener Führungsstil sei anders als der vieler Männer: "Ich will meine Meinung nicht aufzwingen, sondern mit möglichst vielen Strömungen das Gespräch suchen." Auch in der Seelsorge, sagte sie, sei die Empathie, sich in die Probleme eines anderen Menschen einzufühlen, "sehr, sehr wichtig".
Viele interessierte Laien sind sich einig, dass Hamburg mit Maria Jepsen keine charismatische, flammende Predigerfigur bekam. Vielmehr ist sie eine klassische Vertreterin der Kirche von unten. Wer sie näher kennenlernte, weiß, dass sie daran wirklich glaubt: Eine Bischöfin im reichen Hamburg darf nicht nur mit den Wohlhabenden, den Meinungsführern und den Honoratioren beten. Für Jepsen waren Randgruppen fast wichtiger als die "normalen Schafe der Gemeinden", sagt ein langjähriger Wegbegleiter.
Sie feierte Weihnachten mit Obdachlosen. Sie setzte sich für ledige Mütter ein. Sie war die zentrale Figur in der Kirche, die offen und mutig für die Integration von Schwulen und Lesben eintrat. Zu einer Zeit, als selbst die Hamburger Aids-Pastoren unter Kollegen günstigstenfalls belächelt wurden.
Dass eine Bischöfin auch eine Macht position bekleidet, wollte Jepsen dagegen nur sehr ungern thematisieren. Sie hat sich vielmehr als "gute Dienerin in Wort und Tat" verstanden, wie sie beim Rücktritt noch einmal betonte. Schon die Vorstellung, etwas "von oben" zu bestimmen, machte Jepsen nervös. Die Bischöfin, die von Mitarbeitern als "sachliche Arbeiterin" beschrieben wird, vermied Einzelentscheidungen. Sie hatte einen festen Beraterkreis. Dazu gehörten Landespastorin Annegrethe Stoltenberg und Jepsens Stellvertreter Jürgen Bollmann.
Das Problem ist die Strategie der Konfliktvermeidung nach innen
Vielleicht liegt in dieser Abneigung, notfalls offensiv eine Auseinandersetzung zu suchen, auch die Wurzel jener verfahrenen Situation, die jetzt zu Jepsens Rücktritt führte. Die Kirche - man muss nach den jüngsten Erfahrungen sagen: die Kirchen - ist geradezu Weltmeister der Konfliktvermeidung. Nach außen, aber auch nach innen. Mitarbeitern, die Probleme haben, wird oft liebevoll geholfen. Aber die Konfrontation mit Mitarbeitern, die Fehler machen, die gegen Regeln verstoßen, wird geflissentlich vermieden. Solange es geht.
"Die Kirche darf nicht als eine Person definiert werden", sagte Jepsen einmal über ihre Rolle als Bischöfin, "ich kann mich auch mal verrennen." Das Bewusstsein eigener Fehlbarkeit ehrt sie. Aber es schützt auch davor, unliebsame Entscheidungen zu treffen. Jepsen wollte eine sensible, mitfühlende Bischöfin vorleben, ohne Chefin zu sein.
Trotz mancher eindringlichen Weihnachtspredigt hat sie die Hamburger eher sanft als streng behandelt. Und das trug ihr Sympathien ein.
"Ich bin vollkommen von der Rolle", sagte Heide Simonis gestern nach dem Rücktritt. "Ich kenne Frau Jepsen sehr gut. Ich weiß, dass sie eine wirklich integre Frau ist, dass sie gekämpft hat." Sie hoffe nicht, dass es zu noch mehr Rücktritten in der Kirche komme. "Kirche ist ja eigentlich die letzte Institution, an die die Menschen noch glauben, wenn alles schiefgeht. Wenn das jetzt so weiterginge, wird auch die Institution der Kirche genauso geschädigt wie die Institution der Banken und der Politik."