Der Senat hätte früher die Räumung von Rad- und Gehwegen veranlassen müssen. Derweil zählen auch zwei Prominente zu den Sturzopfern.
Hamburg. Nach dem wochenlang herrschenden Schnee- und Eis-Chaos auf Hamburgs Geh- und Radwegen hat Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) Fehler eingeräumt. Es gebe nichts zu beschönigen, die Masse der ungeräumten Gehwege sei ein Problem, sagte Hajduk in der Hamburger Bürgerschaft. Inzwischen habe der Senat jedoch reagiert. „Wir haben jetzt zugepackt“, sagte Hajduk. Gleichzeitig räumte sie aber ein: „Vielleicht hätten wir das ein bisschen vorher machen sollen.“
In den vergangenen Wochen haben sich wegen der spiegelglatten Gehwege hunderte Menschen teils schwer verletzt. Die Krankenhäuser der Stadt haben wegen der zahlreichen Knochenbrüche bereits ihre Kapazitäten erhöhen müssen.
Glätte-Unfall: Klinikchef landet im eigenen Krankenhaus
Und auch die Klinikchefs selbst sind vor Sturzverletzungen nicht gefeit - wie im Fall von Kai Hankeln: Um zwei Uhr morgens wachte er auf - in einem Patientenbett seiner eigenen Klinik, an seinem 40. Geburtstag. Auch ihm war das Glatteis zum Verhängnis geworden.
"Es ging so schnell, dass ich nicht reagieren konnte. Ich bin ausgerutscht und schon war es passiert", erzählt Hankeln, Chef der Asklepios Klinik Nord - Heidberg in Hamburg. Eine Stunde operierten die Heidberger Spezialisten - nun hält ein 18 cm langer Gammanagel den Knochen seines Oberschenkels zusammen. Hankeln kann nur mit Gehhilfe vorwärts kommen.
Dies gilt auch für einen der höchsten Repräsentanten der deutschen Wirtschaft. Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), ist mit einem Oberschenkelhalsbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er sei bereits am vergangenen Freitag auf eisglatter Fläche gestürzt und am Montag operiert worden, bestätigte eine DIHK-Sprecherin dem Abendblatt. Inzwischen befinde sich Driftmann (62) auf dem Wege der Besserung. Allerdings dürfte er für mindestens sechs bis acht Wochen sein Amt nicht ausüben können. Nach Abendblatt-Informationen sollen seine vier Stellvertreter die offiziellen Termine für ihn übernehmen. Driftmann ist auch geschäftsführender Gesellschafter der Kölln KGaA (Kölln-Flocken) in Elmshorn.
Klinikchef Hankeln und DIHK-Präsident Driftmann, lediglich zwei prominente von zahlreichen Glätte-Opfern. Fast im Minutentakt treffen die Rettungswagen mit Notfällen in der größten Notaufnahme für den Süden Schleswig-Holsteins und den Norden Hamburgs ein. Die Traumaspezialisten operieren rund um die Uhr. Die Zahl der Notfallpatienten ist in den vergangenen Wochen um 70 Prozent gestiegen.
"Wir behandeln Platzwunden, Prellungen und schwere Frakturen am laufenden Band. Ein solches Patientenaufkommen, vor allem über einen solchen Zeitraum, ist für uns eine Herausforderung", sagt Dr. Marc Schult, Chefarzt der Unfallchirurgie. Das Traumazentrum sei der Grund dafür, dass so viele Notfälle in die Heidberger Klinik gebracht würden.
Auch die anderen Hamburger Krankenhäuser verzeichnen weiter stark angestiegene Unfallzahlen. Die Asklepios Kliniken zählen die Glatteis-Opfer im Moment nicht mehr - zu überlastet seien die Ärzte mit den vielen Notfällen. Doppelt so viele Sturzverletzungen wie sonst müssen behandelt werden. "Wir müssen keine Patienten abweisen. Aber die chirurgischen Stationen sind überfüllt, darum verlegen wir Sturzopfer auch auf andere Stationen", sagt Sprecher Mathias Eberenz. Die Kliniken seien am Limit angekommen.
Am Mittwoch sind zusätzlich zu den 19 Hamburger Krankenhäusern vier Spezialkliniken in die Knochenbruch-Versorgung einsteigen (Ev. Krankenhaus Alsterdorf, Diakonie Klinikum Hamburg, Alten Eichen in Stellingen, Klinik Dr. Guth in Klein Flottbek, sowie die Praxisklinik Mümmelmannsberg). Diese Häuser erklärten sich bereit, ab sofort in der Zeit von 8 bis 17 Uhr für die chirurgische Notfallversorgung von Betroffenen mit Knochenbrüchen zur Verfügung zu stehen. Mit weiteren Krankenhäusern laufen Gespräche. Innerhalb von 24 Stunden lieferte allein die Feuerwehr 348 Patienten nach Stürzen ein. „Das ist wie sonst nur an Silvester“, sagte ein Feuerwehrsprecher.
In Hamburg registrierte die Polizei rund 100 Karambolagen, auf der A1 ereigneten sich zehn Unfälle, bei denen jedoch niemand verletzt wurde. Auf den Autobahnen 1 und 24 sorgten Unfälle für stundenlange Sperrungen.
Im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) sind am Dienstag 204 Patienten in der Unfallchirurgie behandelt worden - der Schnitt für einen Dienstag liegt bei 140. Von den 1043 Patienten, die von Freitag bis Dienstag in die Notaufnahme kamen, sind rund die Hälfte Glätte-Opfer. "Die Zahl der Patienten, die ausgerutscht sind und sich verletzt haben, ist nach wie vor hoch", sagt Sprecherin Christine Jähn.
Hamburgs Gehwege sind vielerorts noch immer spiegelglatt. Die Lage entspannt sich aber langsam. Heute morgen verzeichnete die Stadtreinigung in zwei Stunden nur 570 Anrufe auf der neuen Glätte-Hotline. 551 davon wurden angenommen und bearbeitet, 1000 Mitarbeiter des Winterdienstes sind unterwegs, um die gemeldeten glatten Stellen zu räumen. Normalerweise sind diese Mitarbeiter vor allem für Zebrastreifen zuständig, die jetzt nur nebenbei mitgestreut werden. Die Stadtreinigung ist dabei, die zusätzlichen 1000 angekündigten Mitarbeiter von anderen privaten und städtischen Diensten zu rekrutieren. Aktuell können Bürger an elf Recyclinghöfen kostenlos Splitt abholen, im Laufe des Tages sollen 50 Stellen in der Stadt bestückt werden.
In der Nacht ist außerdem das langerwartete Schiff "Kerstin D." mit 2500 Tonnen Streusalz an Bord angekommen. Es liegt im Harburger Binnenhafen und wird gelöscht. Mindestens 1500 Tonnen sollen an die Hamburger Stadtreinigung gehen.