Einige Schulen folgten dem umstrittenen Aufruf der Behörde und räumten die Straßen. Die meisten Schulen wollen aber nicht mitmachen.
Hamburg. Die 7dt der Rudolf-Roß-Gesamtschule hatte heute Morgen ausnahmsweise kein Türkisch. Die Stunde fiel aus - stattdessen befreiten die Schüler mit Lehrer Ayhan Ilhan ihren Schulhof und eine Torzufahrt von Schnee und Eis. Leider nur mit mäßigem Erfolg. "Diese Vereisungen sind mit Hausmitteln einfach nicht zu beseitigen", sagt Schulleiter Jan Baier. Ab morgen wird für's Schneeschippen kein Unterricht mehr ausfallen. Die Schüler dürfen zwar weitermachen - aber freiwillig, in den Pausen.
Am Montag schon rief die Schulbehörde zum Schneeräumdienst in der Stadt auf. Es sei durchaus vorstellbar, dass auch Schüler außerhalb des Schulgeländes mit Hand anlegten, heißt es in einem Brief vom 8. Februar an alle Hamburger Schulen.
Schüler sollen während der Unterrichtszeit vereiste Gehwege oder Bushaltestellen von Eis und Schnee befreien helfen. "Angesichts der akuten Gefährdung der Nachbarschaft wird in solchen Klassen, die sich nicht auf einen Abschluss vorbereiten, der Ausfall einiger Unterrichtsstunden hinnehmbar sein", schreibt die Behörde und erhebt den Winterdienst kurzerhand zum Projekt "Lernen am anderen Ort".
An den Schulen löste der Appell unter dem Motto "Gemeinsam dem Winter Paroli bieten" Kopfschütteln, teilweise auch Empörung aus. "Im Prinzip ist es sinnvoll, dass Kinder an soziale Tätigkeiten herangeführt werden. Aber die Gehwegreinigung ist Sache der Stadt", sagte die Leiterin der Otto-Hahn-Schule in Jenfeld, Renate Wiegandt. Der Leiter des Gymnasiums Hamm, Sven Kertelhein, meinte: "Das erinnert an einen Kartoffeleinsatz im Krieg." Trotzdem habe er sich vorstellen können, mit einer Klasse den stark vereisten Weg zur U-Bahn Burgstraße zu streuen. "Aber die Behörde ist nicht in der Lage, mir Streugut zur Verfügung zu stellen."
Eine der wenigen Schulen, die sich nach Abendblatt-Informationen am Dienstag an dem Aufruf beteiligten, war die Grundschule Wegenkamp in Stellingen. Dort versuchten Erstklässler mit Hammer, Meißel und Schutzbrillen einen Weg auf dem Schulgelände vom Eis zu befreien. "Die Kinder waren mit Feuereifer dabei. Morgen machen wir weiter", sagte Lehrerin Dürten Grabow.
An zahlreichen Schulen in Hamburg ist die Lage katastrophal. Schon der Weg ins Gebäude wird für Schüler, Lehrer und Eltern vielerorts zur Schlitterpartie, teilweise sind die Schulhöfe komplett vereist. In ihrem Schreiben hatte die Schulbehörde ausdrücklich auch auf die Räumpflicht auf und vor dem Schulgelände hingewiesen. Bei den Hausmeistern rief das Verstimmung hervor: "Uns wird der Schwarze Peter zugeschoben", sagte Wilhelm Krohn von der Schule Tieloh in Barmbek. In ihrer Not hatten unter anderem die Schule Wielandstraße in Eilbek und die Otto-Hahn-Gesamtschule die Eltern um Mithilfe gebeten. "Das Ergebnis war traurig. Gerade eine Mutter ist mit Schneeschaufel gekommen", sagte Schulleiterin Wiegandt. An der Grundschule Müssenredder in Poppenbüttel kämpfen der Hausmeister und ein Arbeiter seit Tagen mit Spaten und Schaufel gegen das Eis auf dem Schulgelände. "Die schaffen zehn Meter in zwei Stunden und sind kurz vorm Umfallen", sagte Schulleiter Gero Brüning. Dass nun auch noch die Kinder ransollen, quittierte er mit einem Kopfschütteln. "Da machen wir nicht mit."
Daran ändert auch die Ankündigung der Schulbehörde nichts, Ausgaben für Sand und Splitt sowie Werkzeug erstatten zu wollen. Außerdem wies die Behörde daraufhin, dass die Schüler über die UV Nord unfallversichert seien. Das beruhigt viele Schulleiter angesichts einer akuten Verletzungsgefahr nicht.
Auch in der Elternkammer stieß der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. "Wenn so ein Einsatz gemacht werden soll, geht das nur mit Einverständnis der Eltern und einer Aufklärung über die Risiken", sagte der stellvertretende Vorsitzende Peter Albrecht. Er nannte den Vorstoß "fahrlässig". Aus Sicht des Vorsitzenden der Lehrergewerkschaft GEW, Klaus Bullan, ist der Aufruf nicht angemessen. Die Behörden seien in der Pflicht. "Es ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit und ein Armutszeugnis für das öffentliche Gemeinwesen."