Prellungen, schwere Frakturen: Umweltsenatorin Anja Hajduk hat für heute Mittag zu einem einstündigen Krisengipfel geladen.
Hamburg. Ausnahmezustand auf Hamburgs Straßen und in den Krankenhäusern: Allein in die Asklepios-Klinik St. Georg wurden zwischen Freitagabend und gestern Mittag 230 "Eis-Opfer" eingeliefert, die meisten mit Prellungen, schweren Handgelenk- und Sprunggelenkfrakturen. Sprecher Mathias Eberenz: "Alle verfügbaren Ärzte sind im Dienst, vor den Röntgengeräten bilden sich Warteschlangen - wir arbeiten am Limit."
Ähnlich sieht es im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) aus: Notfallärzte haben am Wochenende 125 Frakturen behandelt. Insgesamt wurden gut 520 Patienten aufgenommen, sagte der Chef der Unfallchirurgie, Prof. Johannes Rueger. Das waren etwa 120 Fälle mehr als an einem normalen Wochenende. "So einen Ansturm habe ich noch nie erlebt", sagte Rueger. Das neue Klinikum bewähre sich jedoch in dieser "Stressprobe", so der Ärztliche Direktor, Professor Jörg F. Debatin: "Der Dank gebührt allen Mitarbeitern, die freiwillig und mit sehr großem Engagement rund um die Uhr im Einsatz sind."
Das gilt wohl auch für die Mitarbeiter der Feuerwehr: Seit Sonnabend, 6 Uhr mussten sie binnen 24 Stunden zu 176 Einsätzen ausrücken. Es ist offensichtlich: Das Thema, das die Hamburger dieser Tage am meisten bewegt, liegt auf der Straße - und zwar teils zentimeterdick. Heute herrscht nun auch "Eis-Zeit" in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU): Senatorin Anja Hajduk (GAL) hat die Chefs der Bezirksämter, Vertreter der Finanzbehörde und die Stadtreinigung zum einstündigen Krisengipfel geladen. Eine "schnelle und pragmatische Lösung" müsse nun her, heißt es aus der Behörde. "Ich bin gespannt, welche neuen Ideen dort heute präsentiert werden sollen", sagt Markus Schreiber (SPD), Bezirksamtsleiter Mitte.
Sein Bezirk hat drei private Firmen mit der Eisräumung beauftragt: "Zwei davon arbeiten überwiegend ordentlich, eine aber leider so gut wie gar nicht", sagt Schreiber. Dies ist offenbar einer der Gründe, warum gerade auch in der Innenstadt Plätze wie Gänsemarkt oder Rathausmarkt wahre Rutschbahnen sind. "Ein jeweils anderthalb Meter breiter Weg ist geräumt, für mehr ist kein Geld da." Während der Bezirk Mitte im vergangenen Jahr noch 200 000 Euro für den Winterdienst zur Verfügung hatte, waren es ausgerechnet in diesem strengen Winter nur noch 144 000 Euro.
Ähnlich eisig sieht es in den anderen Bezirken aus: Dutzende von Lesern haben dem Abendblatt geschrieben, wo die Rutschgefahr besonders hoch ist. Reporter haben sich vor Ort umgesehen: Beispiel Altona. Auf der Strecke zwischen Bahnhof und Mercado ist es spiegelglatt, schätzungsweise alle zwei Minuten stürzt jemand. "Es ist unglaublich, wie man uns Bürger hängen lässt", sagt Ursula Beth aus Groß Flottbek. Gerade erst hat sie sich Spikes für ihre Winterschuhe gekauft. Auch auf dem Niendorfer Markt ist es äußerst glatt, auf den Stufen am Fanny-Mendelssohn-Platz (Eimsbüttel) ebenfalls. Und am Isebekkanal sowie auf Straßen und Wegen rund um die Alster schlittern die Fußgänger - auch am Jungfernstieg. "Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum hier nicht gestreut wird", sagt Antje Löw aus Eppendorf. Sie habe bereits "wie ein Maikäfer" auf dem Rücken gelegen. "Gut dass die Leute so hilfsbereit sind."
Insbesondere in den Nebenstraßen ist kein Durchkommen mehr - tiefergelegte Autos setzen überall in der Stadt auf dem Eispanzer in der Mitte der Fahrbahn auf. Gestreut wird hier bisher nicht: "Wir haben leider nur noch Salz für die Hauptverkehrsstraßen", sagt Reinhard Fiedler von der Stadtreinigung. Auch die Fahrradwege werden nicht enteist. "Warum eigentlich nicht?", wollte der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Gunnar Eisold in einer Kleinen Anfrage vom Senat wissen. Jetzt liegt die Antwort vor: Radwege würden bei winterlichen Verhältnissen wegen des relativ geringen Radfahreraufkommens in der Regel nicht als "verkehrswichtig" eingestuft - und somit nicht geräumt, heißt es. Gunnar Eisold sieht das anders: "Es gibt sehr wohl Radwege, gerade auch in der Nähe von Schulen, die im Winter geräumt werden müssen." Notfalls müsse dafür eben das Hamburger Wegegesetz (stammt aus dem Jahr 1974) aktualisiert werden. "Es ist nicht zeitgemäß, das Fahrradfahren im Winter quasi einzustellen und auf wärmeres Wetter zu warten", so Eisold. Eines teilte der Senat in seiner Antwort noch mit: Wer als Radfahrer auf einem vereisten Radweg verunglücke, sei dafür in der Regel "selbst verantwortlich".