Berlin. Rund 100 Unternehmen und Verbände demonstrieren gegen die Wirtschaftspolitik. Robert Habeck muss derweil schlechte Nachrichten verkünden.

Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im zwei Kilometer entfernten Ministerium mit betroffener Miene sinkende Wachstumsprognosen vorstellen muss, steht Marie-Christine Ostermann auf einer Bühne vor dem Brandenburger Tor in Berlin und rechnet mit dem Grünen-Politiker ab. „Zuversicht“ – so wie es auf Habecks Wahlplakaten steht, habe sie nicht mehr, ruft sie ins Mikro. Habeck, der sagt, er will Kanzler werden, habe „keinen Plan“ und auch „keine Wirtschaftskompetenz“.

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Meine schwerste Entscheidung

Vor der Bühne auf der Ostermann, die Vorsitzende des Verbands der Familienunternehmer ist, spricht, halten Menschen Schilder in die Höhe. Ein Mann mit Warnweste verteilt Pappaufsteller, auf der übergroße, rote Alarmsirene zu sehen sind. Auf einem weiteren Schild ist ein Omnibus, der auf einem Haufen Papier parkt, abgebildet. „Fahren statt Abheften“ ist darauf zu lesen. Einige Hundert Teilnehmer, die dem Aufruf zum bundesweiten „Wirtschaftswarntag“ gefolgt sind, buhen immer wieder, wenn Ostermann auf die Wirtschaftspolitik der Ampel zu sprechen kommt.

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    Der Zimmerermeister Hermann Bühlbecker ist aus dem Münsterland angereist. In Handwerkerkluft steht er da und hört zu. Oben auf der Bühne redet jetzt ein anderer Unternehmer. Deutschland, sagt er, sei nicht mehr wettbewerbsfähig, die Ampel habe schlechte wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen getroffen. Jetzt müssten zunächst mal die Strompreise sinken. Das sieht auch Bühlbecker so. Als Betriebsinhaber mit 17 Angestellten kann er sich aber vor allem über die Bürokratie aufregen. Immer sei Entlastung versprochen worden, passiert sei das Gegenteil. Bühlbecker macht das auch daran fest, dass sich bei ihm im Büro nun fünf Beschäftigte um den Papierkram kümmern müssten, früher seien es nur drei gewesen.

    Den Auftakt der Proteste hatte es in München gegeben. Zeitgleich mit dem Aufzug in Berlin fanden auch Demos in Hamburg und Lingen statt, am späten Nachmittag wurde auf dem Stuttgarter Marktplatz demonstriert.

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    Habeck stellt Jahreswirtschaftsbericht vor – und hat eine schlechte Nachricht dabei

    Während die Unternehmer vor dem Brandenburger Tor ihrem Ärger lauthals Luft verschafften, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in sein Ministerium geladen, um seinen Jahreswirtschaftsbericht vorzustellen. Die Parallelität der Ereignisse war laut des Aktionsbündnisses keineswegs beabsichtigt. Robert Habeck habe eine Einladung ausgeschlagen und stattdessen seine eigene Pressekonferenz veranstaltet, warf Thorsten Alsleben, Geschäftsführer der Initiative Soziale Marktwirtschaft (INSM), dem Wirtschaftsminister auf „X“ vor. Die INSM hatte den Aktionstag organisiert.

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    Allerdings hatte der Grünen-Politiker durchaus ein Grund für seine Abwesenheit: Weil im Bundestag zunächst das Gedenken an die Opfer des Holocausts und anschließend die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit den folgenden Anträgen der Union zur verschärften Asylpolitik kurzfristig eingeplant wurde, musste Habeck umdisponieren. Auf Verständnis stieß er bei den Unternehmern dennoch nicht.

    Zumal Habeck mal wieder schlechte Nachrichten im Gepäck hatte: „Die Diagnose ist ernst“, sagte er. Statt wie zuletzt erwartet um 1,1 Prozent dürfte die Wirtschaft in diesem Jahr nur noch um 0,3 Prozent wachsen. Trifft das ein, läge die Wirtschaft gerade einmal rund 0,5 Prozent über dem Vor-Corona-Niveau von 2019. „Das ist historisch Neuland“, sagte Michael Grömling, Leiter der Abteilung für Makroökonomie und Konjunktur am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), dieser Redaktion. Der Stillstand resultiere aus einer massiven Baukrise und de rückläufigen Industrieproduktion, der Dienstleistungssektor könne das gerade so kompensieren.

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    Trump-Zölle könnten Wirtschaft in die Rezession schicken

    Grund für die deutliche Herabstufung der Prognose sei die von der geplatzten Ampel-Koalition erarbeitete Wachstumsinitiative, die nun zu großen Teilen nicht mehr umgesetzt wird, erläuterte Habeck. Zudem sei nach dem Bruch der Regierung die innenpolitische Unsicherheit groß und die außenwirtschaftlichen Risiken hätten sich erhöht. Das bezieht sich vor allem auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump. Der Republikaner hatte Europa zuletzt mit Zöllen gedroht.

    Setzt er seine Drohung in die Tat um, könnte das die exportorientierte Wirtschaft hart treffen und womöglich in das nächste Rezessionsjahr schicken, nachdem das Bruttoinlandsprodukt schon 2023 um 0,3 und im vergangenen Jahr um 0,2 Prozent zurückgegangen war. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) rechnet jedenfalls bereits mit einem erneuten Schrumpfen der Wirtschaft. Und auch Habeck, gewohnt hantierend mit verschiedenen gedruckten Grafiken, musste mit Blick auf mögliche Zölle eingestehen: „Dass dort ein gewaltiger Effekt drohen könnte, das dürfte allen klar sein.“

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte wieder einige Grafiken im Gepäck.
    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte wieder einige Grafiken im Gepäck. © AFP | ODD ANDERSEN

    „Ein schlechterer Verlauf als die Prognosen bisher sagen, erscheint mir in diesem Jahr leider wahrscheinlicher als ein besserer Verlauf“, sagte Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates, dieser Redaktion. Studien würden darauf hindeuten, dass dass Wachstumseinbußen durch Zölle von mindestens einem Prozent realistisch seien. Das Wirtschaftsministerium selbst vermerkt in seinem 147-seitigen Bericht, dass die deutsche Wirtschaftsleistung mittelfristig um bis zu 1,4 Prozent unter dem Niveau ohne Zollerhöhung liegen könnte.

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    Habeck mahnt: Wachstumsschwäche sei Gefahr für die Demokratie

    Doch selbst ohne Zölle: Laut Habeck sei die Wirtschaftskrise strukturellen Faktoren geschuldet. „Wir kommen mit den etablierten Mitteln nicht mehr weiter“, sagte er und sprach sich unter anderem für eine Reform der Schuldenbremse aus. Deutschland sei „unterinvestiert“. Es müsse in der neuen Legislaturperiode etwas passieren, auch um die „Attraktion von autoritären Regierungen“ hierzulande nicht zu groß werden zu lassen.

    Denn ob nun die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei in China oder das libertäre Staatsverständnis von Donald Trump: Der Reiz an diesen Systemen sei deshalb so groß, weil sie ökonomisch erfolgreich seien. Deutschland und Europa müssten wieder die bessere Technik entwickeln, um nicht anfällig für solche Modelle zu werden, warnte Habeck: „Wenn wir unseren Rechtsstaat, unsere Demokratie, unser Verständnis von Gewaltenteilung halten, verteidigen und stärken wollen, dann müssen wir diese Wachstumsschwäche überwinden.“

    Es muss ich etwas ändern – diese Botschaft soll auch von der Versammlung am Brandenburger Tor ausgehen. Der Protest ist zwar lautstark, aber überschaubar. Von den Alarmsirenen-Pappschildern jedenfalls werden nicht alle verteilt. Die Veranstalter hatten offensichtlich mit mehr Teilnehmern gerechnet.

    Demonstranten beim Wirtschaftswarntag in Berlin.
    Demonstranten beim Wirtschaftswarntag in Berlin. © AFP | Tobias Schwarz