Essen. Dennis Grimm stimmt Stahlarbeiter auf harte Sanierung ein, stellt jede Anlage auf den Prüfstand und bringt Alternativen zu DRI-Anlagen ins Spiel.
Der neue Stahlchef von Thyssenkrupp gibt sich beim Besuch unserer Redaktion konziliant, aber hart in der Sache. In seinem ersten Interview als Vorstandssprecher der Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) sendet Dennis Grimm nicht wenige Signale an die rund 27.000 Beschäftigten, die einmal mehr um ihre Arbeitsplätze bangen. Er komme „von hier“, betont er, und wisse um die Bedeutung des Unternehmens, das in Duisburg größter Arbeitgeber der Stadt ist, für die gesamte Region. Seit Monaten tobt ein Streit zwischen der Essener Konzernzentrale und der IG Metall um den Sanierungskurs der Duisburger Stahltochter. Grimm bekennt sich zur Montanmitbestimmung und wünscht sich, dass die Debatte von der persönlichen auf die sachliche Ebene zurückkehre. Doch er sagt auch „schwierige Diskussionen“ angesichts der gewaltigen Herausforderungen voraus. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie viele Werke, Anlagen und Arbeitsplätze erhalten bleiben, ob die im Bau befindliche Grünstahlanlage wackelt und wie es für HKM weitergeht.
Herr Grimm, die Unsicherheit im Unternehmen ist groß, vielleicht so groß wie noch nie. Denn es gibt viele offene Fragen und eine Reihe ungelöster Probleme. Ist Ihr größter Pluspunkt: Eigentlich kann es nur besser werden?
Grimm: Die Situation ist angespannt, das stimmt. Die Herausforderungen der letzten Wochen sind nicht plötzlich weg. Hinzu kommt: Die aktuelle Marktlage hat sich in den vergangenen Monaten nochmal verschlechtert, und eine Erholung ist leider nicht in Sicht.
Thyssenkrupp Steel hat hausgemachte Probleme, zum Beispiel Auswirkungen eines Investitionsstaus aus der Vergangenheit. Hinzu kommt Druck von außen: die Krise von Deutschlands Autoindustrie. Ist die Lage noch beherrschbar?
Grimm: Es wird immer sichtbarer, dass wir vor tiefgreifenden Herausforderungen in der deutschen Industrie stehen. Wir haben sehr hohe Energiekosten, die Nachfrage ist schwach. Die Stahlindustrie leidet zudem unter Billigimporten aus dem Ausland. Das ist eine Mischung, die brisant ist. Darauf müssen wir uns als Unternehmen einstellen.
Volkswagen steckt in der Krise, auch andere deutsche Autokonzerne haben Probleme. Trifft das Thyssenkrupp Steel besonders stark aufgrund einer hohen Abhängigkeit von der Autoindustrie?
Grimm: Die Autoindustrie ist sehr wichtig für uns und wird es auch bleiben. Aber die Bandbreite unserer Kunden ist viel größer.
Was steht jetzt ganz oben auf Ihrer To-Do-Liste? Womit fangen Sie an?
Grimm: Direkt nach meinem Start als Vorstandssprecher habe ich den Kontakt zu unseren Kunden gesucht, um zu zeigen: Wir sind da – als verlässlicher Partner. Ganz wichtig ist mir auch: Ich möchte Ruhe ins Unternehmen bringen.
Neuer Thyssenkrupp-Stahlchef: „Ich möchte Ruhe ins Unternehmen bringen“
Sind Sie jetzt der Manager, der das umsetzt, was Konzernchef Miguel López verlangt?
Grimm: Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen von einer Personen- zu einer Sachorientierung kommen. Bekanntlich bin ich nicht erst seit gestern in der Branche, sondern arbeite schon seit 20 Jahren bei Thyssenkrupp, viele Jahre davon beim Stahl. Daher fühle ich mich gut gewappnet für meine Aufgabe – und die lautet: Wir wollen ein profitables, selbstständiges und langfristig bestehendes Stahlunternehmen formen.
Was möchten Sie anders machen als Ihr Vorgänger Bernhard Osburg?
Grimm: Ich möchte nicht zurück, sondern nach vorne schauen. Wir müssen die weiter eingetrübten Marktbedingungen berücksichtigen – und unseren Kunden zeigen, dass wir handlungsfähig sind. Für einen zukünftigen Business-Plan haben wir inzwischen viele Lösungsansätze, brauchen aber darüber hinausgehend noch weitere Antworten. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.
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Arbeitnehmervertreter haben gewarnt, Thyssenkrupp Steel könne ein Insolvenzkandidat werden. Teilen Sie die Sorge?
Grimm: Da bin ich anderer Meinung und sehe eine Zukunft für den Stahl. Wir machen jetzt unsere Hausaufgaben, um Thyssenkrupp Steel zu einem profitablen Unternehmen zu machen, das langfristig erfolgreich am Markt bestehen kann. Zur Überprüfung der langfristigen Fortführungsperspektive von Thyssenkrupp Steel haben wir gemeinsam mit der Thyssenkrupp AG ein neutrales Gutachten in Auftrag gegeben. An einer Finanzierungsvereinbarung zwischen der Thyssenkrupp AG und der Stahlsparte für die nächsten 24 Monate wird weiterhin intensiv gearbeitet. Bis zu einer Einigung darüber gelten alle bisherigen Finanzierungsmechanismen unverändert fort. Die Finanzierung des Stahlsegments ist damit also gesichert.
Also ein Sanierungsgutachten.
Grimm: So ist es. Das Gutachten wird wichtige Erkenntnisse für die weitere Planung und Finanzierung unserer Stahlsparte und die Neuaufstellung liefern.
Heißt das: Sie warten jetzt erstmal auf das Gutachten, um dann Entscheidungen zu treffen?
Grimm: Im Gegenteil: Wir können es uns nicht erlauben, die Hände in den Schoß zu legen. Wir müssen das Unternehmen auf Performance trimmen – im Hier und Jetzt. Da gibt es viel zu tun, um ein langfristig profitables Unternehmen aufzustellen.
Das Unternehmen hat angekündigt, die Produktionskapazitäten deutlich zu verringern. Die Anlagen sind bisher auf eine jährliche Produktion von knapp zwölf Millionen Tonnen ausgelegt. „Betriebspunkt“ heißt das in der Stahl-Sprache. Im April hat das Management dann als Zielgröße für den Betriebspunkt „9 bis 9,5 Millionen Tonnen pro Jahr“ herausgegeben – mit einem nicht bezifferten Abbau von Arbeitsplätzen. Ist das die Größenordnung, die gilt?
Grimm: Ein Teil der Überarbeitung des Business-Plans ist auch der künftige Betriebspunkt.
Arbeitnehmervertreter hatten die Befürchtung geäußert, Konzernchef Miguel López erwäge eine „Halbierung der Hütte“.
Grimm: Zum Betriebspunkt gibt es keine Vorgabe unseres Mutterkonzerns.
„Es sind harte Einschnitte notwendig. Wir müssen profitabler werden.“
Wie flexibel können Sie denn den Betriebspunkt festlegen?
Grimm: Wir müssen jetzt die betriebswirtschaftlich richtige Balance finden. Die Details erarbeiten wir in den nächsten Wochen und Monaten. Klar ist: Es sind harte Einschnitte notwendig. Wir müssen profitabler werden.
Was heißt das für die Beschäftigten? Wie viele Arbeitsplätze sollen wegfallen?
Grimm: Wir können noch nicht genau beziffern, wie viele Menschen wir nach der Fertigstellung des Business-Plans und den Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern beschäftigen werden. Es werden aber weniger sein als heute.
Sind Standort- oder Anlagenschließungen geplant?
Grimm: Derzeit prüfen wir angesichts des nochmals eingetrübten Marktes, mit welchem Produktportfolio wir langfristig arbeiten wollen. Aus dem Business-Plan leitet sich ab, mit welchen Anlagen und mit wie vielen Beschäftigten wir das tun werden.
Jetzt kommt also alles auf den Prüfstand?
Grimm: Wir schauen uns alles mit Blick auf das Thema Zukunftsfähigkeit an. Darin liegt ja der Wesenskern eines Business-Plans. Außerdem sind bereits jetzt eine ganze Reihe von Maßnahmen in Umsetzung, um unsere Performance zu steigern und die Kosten weiter zu senken. Das reicht von einem aktuellen Einstellungsstopp bis zum Kostensenkungsprogramm Apex mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen.
Ihre vier Hochöfen nähern sich Jahr für Jahr dem Ende ihrer Laufzeit. Die erste DRI-Anlage für eine Grünstahl-Produktion muss noch aufgebaut werden – mit Kosten, die höher ausfallen als bisher geplant. Welche Zukunft hat der Stahlstandort Duisburg damit überhaupt?
Grimm: Entscheidend ist es, den richtigen Zeitpunkt für weitere Entscheidungen zu treffen, damit unsere Transformation erfolgreich ist. Wir bauen jetzt erst einmal unsere DRI-Anlage. Die weiteren Schritte für eine Dekarbonisierung sind technologieoffen – und auf der Zeitschiene nicht festgelegt.
TKSE-Vorstandssprecher setzt bei seinem Business-Plan auch auf die Hilfe der Politik
Eigentlich sollten doch schon im laufenden Jahr die Entscheidungen für eine zweite DRI-Anlage kommen.
Grimm: Der weitere Transformationspfad ist eine Fragestellung, die wir im Rahmen des neuen Business-Plans berücksichtigen werden. Dabei spielt aber auch die Politik eine Rolle, die entsprechende Rahmenbedingungen schaffen muss.
Mit Blick auf die geplante DRI-Anlage hat Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm erklärt, es gebe „bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“. Wie teuer wird es denn nun?
Grimm: Es ist richtig, dass wir Risiken identifiziert haben. Wir untersuchen jetzt in den nächsten Wochen weitere Details. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass wir das Projekt realisieren können. Wir bewerten derzeit die Risiken.
Treffen Schätzungen von 300 Millionen bis 400 Millionen Euro zusätzlich zu?
Grimm: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir uns zu Zahlen an dieser Stelle nicht äußern.
Dem Vernehmen nach ist ein besserer Lärmschutz für die neue DRI-Anlage notwendig. Wie kann es sein, dass so etwas erst im Nachhinein auffällt?
Grimm: Es geht um ein Vorhaben, das so in Deutschland noch nicht realisiert worden ist. Trotz noch so detaillierter Planungen ist ein solches Projekt für alle beteiligten Partner mit Unwägbarkeiten behaftet.
Wer zahlt denn die Mehrkosten, für Thyssenkrupp Steel allein wären die geschätzten Summen eine Menge?
Grimm: Auch das ist Teil unserer Prüfungen.
Kommen statt weiterer DRI-Anlagen auch andere Produktionsformen als Hochofen-Nachfolgetechnologie bei Thyssenkrupp Steel infrage?
Grimm: Auf unserem Weg zu einem klimafreundlichen Stahlerzeuger wären die Erzeugung von Elektrostahl und der Zukauf von DRI oder auch Brammen, die wir dann weiterverarbeiten und veredeln, eine Alternative. Wir schließen hier nichts aus und bleiben technologieoffen.
TKSE-Chef Grimm: „Verkauf von HKM ist ganz klar unsere bevorzugte Option“
Auf Elektrostahl setzt auch der Kaufinteressent für die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), CE Capital Partners. Laut Aufsichtsratsbeschluss soll Ihre Firmentochter im Duisburger Süden verkauft oder geschlossen werden. Wie weit sind Sie mit dieser so existenziellen Entscheidung?
Grimm: Wir sind uns unserer Verantwortung den HKM-Beschäftigten gegenüber bewusst. Deshalb ist ein Verkauf auch ganz klar unsere bevorzugte Option, die wir intensiv verhandeln. Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich zum Stand der Verhandlungen und dem Konzept für HKM nicht äußern kann.
Sie halten ja nur 50 Prozent an HKM, der Rest liegt bei Salzgitter und Vallourec. Da CEC HKM als Ganzes kaufen will: Sind Sie denn mit ihren Miteigentümern einig?
Grimm: Zu Details der laufenden Verhandlungen kann ich nichts sagen. Richtig ist aber, dass sie von den drei Gesellschaftern gemeinsam geführt werden und wir uns einigen müssen.
Sollte der Verkauf scheitern und HKM doch geschlossen werden: Wären Sie überhaupt in der Lage, die 3000 Beschäftigten bei sich im Norden der Stadt oder anderen Werken von Thyssenkrupp Steel aufzunehmen? Können Sie betriebsbedingte Kündigungen ausschließen?
Grimm: Sollte es tatsächlich zu Schließungsszenarien kommen, werden wir die sich daraus ergebenden Konsequenzen mit unseren Gesellschaftern besprechen. Für unsere strukturelle Neuaufstellung bei TKSE gilt die Grundsatzvereinbarung, mit dem Ziel betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht der tschechische Investor Daniel Kretinsky für die geplante Verselbstständigung?
Grimm: Dass EPCG sich beteiligt, ist ein sehr positives Zeichen dafür, dass an unser Geschäftsmodell geglaubt wird. Die Perspektive einer Erhöhung der EPCG-Anteile von 20 Prozent auf 50 Prozent bestärkt uns darin.
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Thyssenkrupp-Chef Miguel López und nun auch Sie erklären ja, dass TKSE aus eigener Kraft rentabel werden muss. Aber ohne die Hilfe des Staates schaffen Sie das doch nicht – oder?
Grimm: Wir müssen unterscheiden zwischen der betriebswirtschaftlichen Neuaufstellung von Thyssenkrupp Steel und der grünen Transformation. Ohne Unterstützung wird die grüne Transformation nicht gelingen, das ist bei so gewaltigen Umbrüchen wie diesem aber auch nicht ungewöhnlich.
Zuletzt haben Politiker vieler Parteien über einen Staatseinstieg diskutiert, der CDU-Politiker Dennis Radtke hat die Idee der „Deutschen Stahl AG“ wieder ins Spiel gebracht. Ist das ein möglicher Ausweg?
Grimm: Wir konzentrieren uns jetzt voll und ganz darauf, unser Unternehmen wieder wettbewerbsfähig aufzustellen und gehen die großen Herausforderungen an. Darauf liegt unser Fokus.
EU-Schutzzölle auf Stahlimporte reichen Thyssenkrupp-Stahlchef nicht aus
Teilen Sie denn das Hauptargument vieler Politiker, die Stahlindustrie sei systemrelevant für den Standort Deutschland? Genug Stahl auf der Welt gibt es ja zweifellos.
Grimm: Ja, wir brauchen unbedingt eine starke Stahlindustrie in Deutschland, um unsere Wertschöpfungsketten zu erhalten und um nicht auch bei diesem für viele Industriezweige entscheidenden Werkstoff abhängig von Ländern in Fernost zu werden. Was wir von der Politik am dringendsten dafür brauchen, sind wettbewerbsfähige Energiepreise und einen geeigneten Schutz vor Billigimporten.
Tut Brüssel zu wenig? Reichen die Stahlzölle der EU nicht aus?
Grimm: Die Schutzmechanismen der EU greifen nicht so umfassend, wie wir es benötigen würden.
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Sie wollen nach vorne blicken, Herr Grimm, die Beschäftigten sicher auch, aber ihre Verunsicherung ist sehr groß. Wann in etwa werden Sie denn Klarheit schaffen?
Grimm: Wir reden hier von schwierigen Entscheidungen und harten Einschnitten, deshalb ist es für uns sehr wichtig, mit der gebotenen Sorgfalt vorzugehen. Gleichwohl können wir uns damit jetzt nicht Jahre Zeit lassen. Nicht nur aus der Perspektive der Mitarbeitenden, die ich sehr verstehe, sondern auch aus Unternehmenssicht haben wir diese Zeit gar nicht. Deshalb werden wir in den nächsten vier Wochen ein Gutachten für die Fortführungsprognose der nächsten 12 bis 24 Monate abschließen und intensiv weiter am Business-Plan für die kommenden Jahre arbeiten.
Nach dem Dauerstreit der vergangenen Monate zwischen Gewerkschaft und Management hat IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler nun gesagt, man müsse die Eskalationsstufen runterfahren. Das dürfte in Ihrem Interesse sein.
Grimm: Ich arbeite seit vielen Jahren mit der Mitbestimmung zusammen. Aber man muss auch ehrlich sein: Es wird bei den gewaltigen Herausforderungen, die wir gemeinsam zu lösen haben, schwierige Diskussionen geben. Die müssen wir konstruktiv und sachlich führen. Ich bin mir aber sicher, dass wir Lösungen finden werden.
Sie sind Jahrgang 1979, und ein Unternehmen dieser Größenordnung haben Sie noch nicht geleitet. Mit welcher Gefühlslage gehen Sie an die Aufgabe? Salopp gefragt: Haben Sie auch ein bisschen Bammel?
Grimm: Ich habe keinen Bammel, aber großen Respekt vor der Aufgabe. Aber ich bin ja nicht allein im Vorstand, wir sind ein starkes Team. Ich bin mir sicher, dass es uns gelingen wird, ein Unternehmen zu formen, dass gut aufgestellt ist und langfristig profitabel ist.
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