Witten/Duisburg. Länder, Stahlverband und IG Metall fordern Stromsubventionen für Elektrostahlwerke. Das würde DEW helfen und könnte zur HKM-Rettung beitragen.

Der Überlebenskampf der beiden größten Stahlwerke Deutschlands im Duisburger Norden (Thyssenkrupp) und Süden (HKM) bestimmt seit Monaten die Schlagzeilen und auch die politische Debatte. Bund und Land sorgen sich insbesondere, ob Thyssenkrupp Steel auf seinem Weg zu grünem Stahl ins Stolpern gerät, schließlich gibt der Staat zwei Milliarden Euro dazu. Doch fernab der Branchenriesen Thyssenkrupp, Salzgitter, Arcelor Mittal und Saar Stahl fragen sich kleinere Stahlproduzenten wie die Wittener Edelstahlwerke (DEW), ob der Staat sie vergessen hat, warum er ihnen nicht dabei hilft, klimafreundlicher zu werden. Nun kommt Bewegung in die Debatte, ob auch Elektrostahl, wie DEW ihn herstellt, gefördert werden sollte.

Denn während die großen Vier - Thyssenkrupp, Arcelor Mittal, Salzgitter und Saar Stahl - noch weitgehend auf der klassischen Hochofenroute ihren Stahl mit klimaschädlicher Kokskohle kochen, arbeiten viele kleinere Hersteller mit Elektroöfen und stoßen dabei deutlich weniger Treibhausgase aus. Immerhin mehr als ein Viertel des in Deutschland erzeugten Rohstahls wurde zuletzt auf diese Weise produziert, allerdings mit sinkender Tendenz. Das liegt nicht zuletzt an den hohen Strompreisen.

„Nationaler Aktionsplan Stahl“ fordert von Habeck Elektrostahl-Förderung

Dass Stahlproduzenten, die Schrott und Roheisen in Elektrolichtbogenöfen zu Stahl schmelzen, deutlich klimaschonender unterwegs sind als die Großkonzerne, honoriert die Politik bisher nicht. Ein breites Bündnis fordert nun von der Regierung, das zu ändern. Der Lobbyverband Wirtschaftsvereinigung Stahl (WVS) hat gemeinsam mit der IG Metall und den Bundesländern, in denen Stahl produziert wird, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen „Nationalen Aktionsplan Stahl“ überreicht, den dieser prüfen will. Seine Parteifreundin und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur hat diesen Plan mit den anderen Stahl-Ländern mitentwickelt.

Nationaler Stahlgipfel
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur diskutiert beim Stahlgipfel in Duisburg mit ihrem Amtskollegen im Bund, Robert Habeck (beide Grüne). Ihm überreichten die Stahlländer, die Wirtschaftsvereinigung Stahl und die IG Metall ihren „Nationalen Aktionsplan Stahl“, der auch Elektrostahlwerke gefördert sehen möchte. © DPA Images | Rolf Vennenbernd

Darin fordern sie konkret, die Betriebsausgaben mittelständischer Elektrostahlhersteller zu fördern, sprich einen Teil davon zu übernehmen. Denn die für die Dekarbonisierung der Schwerindustrie gedachte „Bundesförderung Industrie und Klimaschutz“ zielt an den Elektrostahlwerken vorbei. „Ausgerechnet jene Firmen, die schon heute relativ klimafreundlich Stahl produzieren, indem sie Schrott mithilfe von Strom einschmelzen, können nicht an dem Programm teilnehmen, weil die Zielvorgaben für CO₂-Einsparungen deutlich zu hoch angesetzt sind“, kritisiert die WVS.

Die Schweizer DEW-Mutter Swiss Steel beklagt das seit langem, Konzernchef Frank Koch sprach jüngst in einem Beitrag zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie in Deutschland gar von „Wettbewerbsverzerrung“. Während die Hochofenroute „sehr hohe Subventionen“ erhalte, frage er sich, „warum seitens des Staates nicht gerade auch die gefördert werden, die technologisch die Nase vorne haben?“ Die Deutschen Edelstahlwerke, die Swiss Steel 2005 von Thyssenkrupp übernommen hat, betreiben Werke mit Elektroöfen unter anderem in Witten, Hagen, Siegen und Krefeld. Weil sie in den vergangenen Jahren nicht rentabel gewesen seien, haben die Schweizer ein 130 Millionen Euro schweres Sparprogramm aufgelegt und wollen 400 der rund 4000 Arbeitsplätze in Deutschland streichen.

Elektrostahl ist sehr teuer, für HKM soll er dennoch die Rettung sein

Für das derzeit größte Sorgenkind der deutschen Stahlindustrie, HKM, könnte Elektrostahl die Rettung sein. Aktuell geht es für das zweitgrößte Stahlwerk Deutschlands im Duisburger Süden ums nackte Überleben. Die Krise des großen Nachbarn Thyssenkrupp Steel Europe (TKS) einige Kilometer weiter nördlich am Rhein wird auch für HKM zur Schicksalsfrage. Im Zuge der eigenen Restrukturierung samt Abbau Tausender Arbeitsplätze hat TKS erklärt, seine Tochter HKM solle entweder verkauft oder geschlossen werden. TKS hält 50 Prozent an HKM, Salzgitter 30 und Vallourec 20 Prozent. Mindestens die Franzosen haben ebenfalls kein Interesse mehr an ihrer HKM-Beteiligung.

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Bisher einziger ernstzunehmender Interessent am HKM-Stahlwerk ist der Hamburger Finanzinvestor CE Capital Partners. Der auf Industriebeteiligungen spezialisierte Private-Equity-Fonds will nach Informationen unserer Redaktion die bestehenden Hochöfen nicht weiterführen, womit auch die Kokerei und die Sinteranlage hinfällig würden. Stattdessen sehen die dem TKS-Aufsichtsrat bereits vorgestellten Pläne die Anschaffung von Elektrolichtbogenöfen vor, in denen neben Stahlschrott auch importierter Eisenschwamm (DRI) oder anderes Roheisen zu Stahl geschmolzen werden kann. Ob CEC den Zuschlag für HKM erhält, ist noch offen, ein weiterer Interessent aber nicht in Sicht. Deshalb favorisiert auch die IG Metall einen Verkauf an die Hamburger.

Deutlich klimaschonender als Hochofen-Stahl

Elektrostahl ist schon deshalb deutlich klimaschonender, weil die Elektrolichtbogenöfen im Gegensatz zu den Hochöfen Öfen auf Kohle verzichten können. Hauptenergieträger ist Strom, zusätzlich unterstützen in der Regel Erdgas-befeuerte Hilfsbrenner bei der Erhitzung des Stahlschrotts. Swiss Steel gibt an, ihr Stahl liege beim CO₂-Ausstoß um „bis zu 83 Prozent unter dem weltweiten Durchschnitt der Stahlerzeugung“.

Der Branchenverband WVS betont das weitere Potenzial dieser Technik: Nutze ein Werk ausschließlich Grünstrom, könne es seinen CO₂-Ausstoß um zwei Drittel senken. „Die mittelständische Elektrostahlproduktion auf der Basis von Stahlschrott ist ein zentraler Baustein auf unserem Weg zur Klimaneutralität – heute und in Zukunft“, sagte Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, unserer Redaktion. Sie hat den Vorstoß für staatliche Unterstützung von Elektrostahl mit initiiert.

Bund könnte Strompreis durch Förderung der Netzentgelte senken

Betriebskosten-Subventionen, sogenannte Opex-Förderungen, müsste die EU genehmigen. Doch der Bund könne auch selbst mehr tun, betont Rippel, vor allem die Strompreise senken. Konkret solle er „mit einer Absenkung der Netzentgelte“ beginnen. Die wurden von den Netzbetreibern erst zum Jahresbeginn auf 6,43 Cent je Kilowattstunde mehr als verdoppelt, was stromintensive Betriebe wie DEW besonders hart trifft.

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Daran wird in der Tat in Berlin bereits gearbeitet. Für den Aufbau der Wasserstoffnetze hat Habeck eine Art Vorfinanzierung der Netzentgelte durchgesetzt. Vereinfacht ausgedrückt werden dabei steigende Kosten im Zuge des Netzausbaus zunächst vom Staat aufgefangen, um die Verbraucher zu schonen. Felix Banaszak, industriepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, der aktuell als künftiger Parteichef gehandelt wird, fordert diese Entlastung auch für die Strom-Netzentgelte. Das sei noch in dieser Legislatur machbar, sagte er unserer Redaktion.

Auch für Elektrostahlwerke könnte Wasserstoff den Weg in die Klimaneutralität ebnen

Die Hersteller würde das entlasten. Doch auf ihrem Weg zur Klimaneutralität müssten sie noch mehr tun, als nur auf Grünstrom umzustellen. Nach wie vor benötigen sie in der Regel auch Erdgas für die Hilfsbrenner im Ofen, vor allem aber zum Betrieb ihrer Walzwerke. Auch hierfür könnte die Lösung Wasserstoff heißen. Die Unternehmen müssten allerdings „erhebliche Investitionen vornehmen, um in Zukunft Erdgas als Energieträger abzulösen“, erklärt WVS-Transformationsexpertin Rippel. Und sieht auch hier den Staat gefordert: „Dafür braucht es passgenaue Förderprogramme, die diesem industriellen Mittelstand Zugang gewährt. Hier bestehen derzeit erhebliche Defizite.“

Kurzum: Während die großen Vier Milliarden für ihren Umstieg auf Wasserstoff-basierten Grünstahl erhalten, müssen DEW & Co. bisher selbst zusehen, wie sie das hinkriegen. Das soll sich ändern, fordert auch die nordrhein-westfälische Landesregierung.

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