Duisburg. Der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel streitet weiter über Geld und Arbeitsplätze. Für Tochter HKM aber gibt es eine klare Ansage.
Von wegen „Tag der Entscheidung“: Für die Belegschaft von Thyssenkrupp Steel (TKS) und der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) geht das große Bangen weiter. Eine Marathonsitzung des Aufsichtsrats ist am Freitagabend ohne Einigung in den wesentlichen Streitfragen zu Ende gegangen. Es sei lediglich die erste Halbzeit in der Debatte um die Zukunft gewesen, erklärte Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel im Anschluss an die Sitzung. Nun gehe es in die zweite Halbzeit.
Die kriselnde Stahlsparte des Essener Industriekonzerns soll von der Konzernmutter abgetrennt werden und künftig eigenständig überleben. Wie das funktionieren könnte, sollte die Geschäftsführung um Stahlchef Bernhard Osburg in den vergangenen Monaten erarbeiten. Doch von einer gemeinsamen Lösung ist man offenbar weit entfernt. Es gibt Konflikte sowohl mit der Gewerkschaft als auch zwischen Tochter- und Mutterunternehmen. Die großen Fragen – etwa wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden und ob die Tochter HKM geschlossen wird – sind weiterhin offen.
Am Freitag ging es im Kern erst einmal um Geld. Weil im Aufsichtsrat keine grundlegende Einigung über die künftige Finanzierung gefunden wurde, soll nun ein Gutachten klären, wie groß die Mitgift ist, die Thyssenkrupp seiner Stahltochter mitgeben muss, damit sie dauerhaft selbstständig überlebensfähig ist. Weiter diskutiert werden soll in der nächsten Aufsichtsratssitzung am 29. August.
HKM wird verkauft – oder geschlossen
Gabriel betonte allerdings, dass dem Stahlkonzern trotz der fehlenden Einigung keine Insolvenz drohe. Die Finanzierung sei für die kommenden 24 Monate sichergestellt. „Damit sollte die derzeitige öffentliche Spekulation über eine angeblich drohende Insolvenzgefahr beendet sein.“ Er legte zudem erneut dar, dass es im Rahmen der Umstrukurierung keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll.
Eine klare Ansage machte Gabriel zum Thema HKM: Wenn es nicht gelinge, das Werk mit 3000 Mitarbeitern im Duisburger Süden zu verkaufen, werde es geschlossen. In diesem Fall gelte aber wie für alle anderen bei Thyssenkrupp die Beschäftigungsgarantie, sagte Gabriel. Es würden keine Mitarbeiter entlassen, da sie an anderer Stelle dringend gebraucht würden. Der Konzern spricht derzeit mit der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners über einen möglichen Verkauf. Gründlichkeit gehe dabei vor Schnelligkeit, betonte Gabriel.
Die Sitzung des Aufsichtsrats war mit Spannung erwartet worden. Eigentlich sollte bereits am Montag vergangener Woche die große Entscheidung über die Zukunft des größten deutschen Stahlkonzerns fallen, vom „Tag der Wahrheit“ war im Vorfeld die Rede. Doch dann sagte Gabriel, Ex-Vizekanzler und Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, die angesetzte Aufsichtsratssitzung kurzfristig ab. Nun tagte das Gremium an diesem Freitag außerordentlich – und außerordentlich lang. Für drei Stunden war die Sitzung ursprünglich angesetzt worden. Am Ende wurden es fast sechs Stunden.
Konflikte um Arbeitsplätze und Millionen
Dafür reisten heute alle entscheidenden Personen nach Duisburg an. Neben Aufsichtsratschef Gabriel und Stahlchef Bernhard Osburg nahmen auch Konzernchef Miguel López sowie der neue Investor Daniel Kretinsky an der Sitzung teil. Schon im Vorfeld war klar gewesen, dass die Stimmung alles andere als entspannt werden würde.
Konkret stellt sich derzeit die Frage, wie viele Jobs im Rahmen einer Sanierung bei Thyssenkrupp wegfallen – und ob die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden verkauft werden. Insgesamt arbeiten 27.000 Menschen bei Thyssenkrupp Steel, 13.000 davon in Duisburg.
Die Stahlsparte des Industriegiganten Thyssenkrupp leidet unter den hohen Energiekosten und an günstiger Konkurrenz aus China. López will die Stahlsparte deswegen ausgliedern und gemeinsam mit dem tschechischen Unternehmerr Kretinsky auf grünen Stahl umbauen. Vor einigen Tagen hat Kretinsky die ersten 20 Prozent des Unternehmens übernommen, weitere 30 Prozent sollen folgen.
Doch die Ausgliederung wird, so viel ist klar, viel Geld kosten – und viele Arbeitsplätze. Entsprechend verlaufen auch seit Monaten die Konfliktlinien um Jobs und Millionen:
Der Millionen-Konflikt: López will der angeschlagenen Tochter möglichst wenig Geld mit auf den Weg geben, um den Mutterkonzern nicht zu schwächen. Thyssenkrupp Steel möchte möglichst viel Mitgift, um sicher für die Zukunft aufgestellt sein. Die Rede ist von heftigen Konflikten zwischen Osburg und López. Derzeit klafft eine Lücke im Milliardenbereich.
Um den tatsächlichen Finanzierungsbedarf zu klären, hat der Aufsichtsrat nun ein Gutachten beauftragt. Thyssenkrupp Steel braucht vor allem viel Geld, um in die Jahre gekommene Anlagen zu sanieren und seinen Pensionsverpflichtungen nachzukommen. Die Rede ist derzeit von drei bis vier Milliarden Euro.
Der Job-Konflikt: Die IG Metall ist bei den Plänen grundsätzlich skeptisch und liegt inzwischen mit López völlig über Kreuz. Der hatte die im Stahl traditionell starken Arbeitnehmer bei seinem Deal mit Kretinsky nicht eingebunden. Seit Monaten demonstrieren immer wieder Tausende Stahlarbeiter gegen die Pläne. Am Donnerstagabend hatten sie symbolisch 300 Holzkreuze und Grablichter aufgestellt, dazu einen Sarg und ein Bild von López als Totengräber von Thyssenkrupp Steel.
Die Arbeitnehmer hätten darauf bestanden, zunächst die Finanzierungsfragen zu klären, bevor man in weitere Verhandlungen über Restrukturierungsmaßnahmen eintrete, erklärte Gabriel am Freitag.
Im Vorfeld war der Druck vor allem auf Thyssenkrupp-Chef López groß gewesen. So soll es in dieser Woche ein Treffen zwischen López und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gegeben haben. Wüst habe López aufgefordert, gemeinsam mit der Arbeitnehmerseite nach tragfähigen Lösungen zu suchen, hieß es. Bisher ist das offenkundig noch nicht gelungen.