Duisburg/Essen. Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm: „Risiken ungeplanter Mehrkosten“ bei milliardenschwerer DRI-Anlage. Projekt verzögert sich.
Während bei Thyssenkrupp ein Machtkampf tobt, gerät ein historisches Großprojekt des Konzerns ins Stocken: der geplante Bau einer Direktreduktionsanlage (DRI), mit deren Hilfe das Unternehmen erstmals grünen Stahl an Deutschlands größtem Stahlstandort Duisburg erzeugen will. Aus Konzernkreisen ist zu hören, dass es nicht rund läuft bei dem prestigeträchtigen Vorhaben, für das Bund und Land zwei Milliarden Euro aus der Staatskasse zugesagt haben.
Ein Satz in einem Statement von Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm lässt aufhorchen. „Auch bei dem erst im vergangenen Jahr angelaufenen Großinvestitionsprojekt DRI in Duisburg gibt es bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“, heißt es in einer Erklärung des Thyssenkrupp-Chefkontrolleurs zum Führungswechsel in der Stahlsparte.
„Thyssenkrupp Steel verbraucht laufend Liquidität zulasten seiner eigenen Zukunft, aller anderen Geschäfte und der Eigentümer des Konzerns und hat unter seiner bisherigen Führung keine Kontrolle über diese Situation gewonnen“, so Russwurm weiter. Die Stahlsparte müsse „wieder auf eine sichere betriebswirtschaftliche Grundlage geführt werden, auch um die Erfordernisse der Dekarbonisierung erfüllen zu können“. Details zu den Problemen beim DRI-Projekt nennt Russwurm in seiner Stellungnahme nicht.
Mitte Juni hatte der Chef des beteiligen Anlagenbauers SMS Group, Jochen Burg, berichtet, dass es beim Aufbau der klimafreundlichen Stahlproduktion von Thyssenkrupp Verzögerungen gibt. Es gebe Terminverzögerungen um vier Monate – in Absprache mit dem Kunden Thyssenkrupp Steel, erklärte Burg bei der Jahresbilanz des Unternehmens in Mönchengladbach.
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Zur Begründung sagte er, die Baustelle am Stahlstandort Duisburg müsse im laufenden Betrieb errichtet werden. Auch Genehmigungsverfahren spielten eine Rolle. „Wir sind aber voll dabei und guter Dinge, dass wir im Jahr 2027 den ersten grünen Stahl produzieren werden.“ Bislang sollte Unternehmensangaben zufolge schon Ende 2026 der Betrieb der ersten DRI-Anlage zur Grünstahl-Herstellung in Duisburg starten.
Ein komplexes Großprojekt in Duisburg
Der Bau der Anlage, die einen Hochofen ersetzen soll, ist für Thyssenkrupp ein Vorhaben von großer strategischer Bedeutung. Zugleich geht es um ein komplexes Großprojekt. Mit 135 Metern soll die neue DRI-Anlage in Duisburg noch größer werden als die bestehenden Hochöfen.
Die bisherigen Planungen von Thyssenkrupp sehen vor, dass der Stahlhersteller ab dem Jahr 2029 rund 143.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr verbraucht. Das entspreche alle zwei Stunden und 365 Tage im Jahr der Füllmenge des Gasometers Oberhausen, hatte das Unternehmen erklärt. Beim Produktionsstart der DRI-Anlage will Thyssenkrupp allerdings Erdgas – und nicht Wasserstoff – einsetzen.
Dass der benötigte Wasserstoff noch „nicht da“ sei, formulierte Thyssenkrupp-Stahlchef Bernhard Osburg, der nun unter dem Druck von Konzernchef Miguel López seinen Hut nehmen muss, schon vor einigen Wochen unumwunden.
Größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes NRW
Doch bei einer übermäßigen Nutzung von Erdgas statt Wasserstoff würde Thyssenkrupp Steel nicht mehr die gesamte staatliche Förderung zustehen, sondern nur ein Teil der rund zwei Milliarden Euro, erklärte Konzernchef Miguel López unlängst im Gespräch mit unserer Redaktion. „Es sind Kontingente für den Einsatz von grünem Wasserstoff vorgesehen, an die Teile der staatlichen Förderung gekoppelt sind. Denn ein Ziel ist, die Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland anzukurbeln“, so López. „Daher ist es auch so wichtig, dass das Wasserstoff-Netz ausgebaut wird. Die Infrastruktur muss pünktlich stehen.“
Bislang hatte der Konzern erklärt, der Eigenanteil für das Großprojekt liege bei rund einer Milliarde Euro. Das Land Nordrhein-Westfalen will Thyssenkrupp mit bis zu 700 Millionen Euro unterstützen. Das sei die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben habe, betonte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Mai vergangenen Jahres im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Duisburg. Den symbolischen Scheck des Bundes präsentierte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) persönlich in Duisburg.
„Sorge um eigene Zukunft und die des Unternehmens überall spürbar“
Wenn Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm nun von „Risiken ungeplanter Mehrkosten“ spricht, wirft das auch die Frage nach etwaigen Konsequenzen auf. Ist womöglich noch mehr Staatshilfe erforderlich? Welche Rolle spielt der nordrhein-westfälische Anlagenbauer SMS Group? Die Familienfirma aus Mönchengladbach hatte erklärt, beim Bau der DRI-Anlage die Rolle des Generalunternehmers zu übernehmen, also auch dafür geradezustehen, sollten die Kosten für das Großprojekt steigen.
„Die Sorge um die eigene Zukunft und die des Unternehmens ist überall spürbar.“
Zur Frage, ob das Risiko für das Unternehmen kontrollierbar sei, hatte der damalige SMS-Chef Burkhard Dahmen im Mai vergangenen Jahres gesagt: „Ja, wir haben uns das sehr sorgfältig angeschaut. Wir liefern die Anlage schlüsselfertig zum Festkostenpreis.“
Die Verunsicherung in der Thyssenkrupp-Belegschaft ist groß. Neue Zweifel am DRI-Projekt dürften die Nervosität noch einmal steigen lassen. „Die Sorge um die eigene Zukunft und die des Unternehmens ist überall spürbar“, sagt Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol am Tag nach dem Knall in Duisburg. „Der Einstieg in die grüne Transformation mit dem Bau der ersten DRI-Anlage – ein Jahrhundertprojekt – darf nicht gefährdet werden.“
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