Essen/Duisburg. Thyssenkrupp hat ein DRI-Problem: Die Grünstahl-Anlage kostet zusätzliche Millionen. IG Metall fragt: „Wird sie überhaupt noch gebaut?“
Nachdem Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm publik gemacht hat, dass Mehrkosten beim Aufbau der Grünstahl-Produktion in Duisburg in einem bislang noch nicht bezifferten Ausmaß drohen, beginnt im Konzern die Diskussion darüber, wie es dazu kommen konnte und wer verantwortlich ist. Russwurm hatte seine Bemerkung zum DRI-Problem im Zusammenhang mit dem Führungswechsel in der Stahlsparte und dem auf Druck von Konzernchef Miguel López erfolgten Rückzug von Spartenchef Bernhard Osburg gemacht.
Die IG Metall sieht hingegen auch López in der Verantwortung. Unter seiner Führung im Konzern sei in der Stahlsparte bislang „kein einziges Problem“ gelöst worden, kritisieren die Arbeitnehmervertreter in einem am Donnerstag veröffentlichten Flugblatt für die rund 27.000 Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel. „Der Bau der Direktreduktionsanlage wird teurer als geplant“, heißt es weiter in dem Schreiben. „Wird sie überhaupt noch gebaut? Oder kriegt López das auch nicht hin?“
Erst vor wenigen Tagen hatte López der FAZ mit Blick auf die wahrscheinlichen Kostensteigerungen beim DRI-Projekt gesagt, es handle sich „um ein neues Thema“. Manche Insider sehen das anders. Schon vor Monaten sei über die Probleme im Zusammenhang mit der DRI-Anlage in Gremien von Thyssenkrupp Steel gesprochen worden. López, der auch Aufsichtsratsmitglied der Stahlsparte ist, sei eingebunden gewesen. Danach habe es auch personelle Veränderungen gegeben.
Am 29. Mai veröffentlichte Thyssenkrupp Steel eine Mitteilung, dass beim DRI-Projekt nach einer „Konzeptions- und Vorbereitungsphase“ nun „die konkrete bauliche Umsetzung“ anstehe. Im Ressort des damaligen Vorstandsvorsitzenden Osburg sei dafür „eine gesonderte Funktion geschaffen“ worden – und zwar mit dem Manager Ulrich Greiner-Pachter, der fortan als Generalbevollmächtigter „ausschließlich und ganzheitlich für den Bau und die Fertigstellung der Direktreduktionsanlage verantwortlich“ sei. Greiner-Pachter dürfte sich mittlerweile ein Bild von der Lage gemacht haben.
Millionenschwere Mehrkosten für die DRI-Anlage erwartet
Zum Umfang der Mehrkosten kursieren nun im Umfeld des Unternehmens unbestätigte Schätzungen. Von 300 bis 400 Millionen Euro ist die Rede. Bislang habe das Budget bei knapp drei Milliarden Euro gelegen.
Der Eigenanteil von Thyssenkrupp für das Großprojekt sollte ursprünglich bei rund einer Milliarde Euro liegen. Die Bundesregierung und das Land NRW wollen insgesamt etwa zwei Milliarden Euro beisteuern. Der Landesanteil – bis zu 700 Millionen Euro – ist dabei die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben hat, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Mai vergangenen Jahres im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Duisburg betonte. Den symbolischen Scheck präsentierte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) persönlich auf dem Thyssenkrupp-Areal. Schließlich handelt es sich für den Stahlkonzern um ein historisches Vorhaben. Mit Hilfe der DRI-Anlage sollen die besonders klimaschädlichen Hochöfen verzichtbar werden.
Lärmschutz der DRI-Anlage muss verbessert werden
Noch befinden sich die Arbeiten für den Bau der etwa 135 Meter hohen Anlage in einem Frühstadium. Mehrkosten entstehen dem Vernehmen nach unter anderem, um den Lärmschutz zu verbessern. Dass an dieser Stelle Handlungsbedarf bestehe, sei im Zuge von behördlichen Genehmigungsverfahren offenkundig geworden. Damit nicht zu viele Geräusche der DRI-Anlage in benachbarten Wohngebieten ankommen, müsse das Aggregat umhüllt werden.
Im Mai vergangenen Jahres hatte der beauftragte nordrhein-westfälische Anlagenbauer SMS erklärt, die Anlage „schlüsselfertig zum Festkostenpreis“ zu liefern. Wer die absehbaren Mehrkosten zu tragen habe, dürfte wohl zu Diskussionen beider Unternehmen führen. Am Ende könnte ein Schiedsgericht entscheiden, vermutet ein Insider.
„Thyssenkrupp steht zu seinem Bekenntnis zur grünen Transformation“
Ob auch das gesamte Projekt infrage steht? Thyssenkrupp-Chef López äußert sich dazu mit den Worten: „Unser erklärtes Ziel ist und bleibt, die Direktreduktionsanlage wie geplant weiter zu bauen.“ Am Donnerstag bekräftigte der Mutterkonzern Thyssenkrupp diese Position in einer Stellungnahme: „Thyssenkrupp steht zu seinem Bekenntnis zur grünen Transformation in der Stahlproduktion. An der Dekarbonisierung der CO2-intensiven Stahlproduktion führt langfristig kein Weg vorbei.“
Weiter heißt es in der Stellungnahme aus der Essener Konzernzentrale, der Stahl-Vorstand habe die Thyssenkrupp AG „über mögliche Risiken und sich daraus ergebende mögliche Kostensteigerungen“ beim DRI-Projekt informiert. „Auf Basis dieser Informationen wird die Situation derzeit bewertet. Aktuell gehen wir davon aus, dass die Direktreduktionsanlage unter den gegebenen Rahmenbedingen realisiert werden kann.“
Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp am 12. September
In der kommenden Woche dürfte das Thema auch bei einer Thyssenkrupp-Aufsichtsratssitzung eine Rolle spielen. Das Kontrollgremium unter der Leitung von Siegfried Russwurm trifft sich dem Vernehmen nach am 12. September in der Firmenzentrale in Essen. Bei einem ähnlichen Treffen der Aufsichtsräte im Mai gab es wütende Proteste von Beschäftigten auf dem Gelände des Thyssenkrupp-Quartiers.
Russwurms Vize Jürgen Kerner habe angesichts der Turbulenzen in der Stahlsparte vor einigen Tagen sogar eine außerordentliche Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats beantragt. Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, habe aber keine „außerordentliche“ Sitzung auf den Weg gebracht. Nun bleibe es bei der Gremiensitzung am nächsten Donnerstag.
Die Stimmung dürfte gereizt sein, wenn die Arbeitnehmervertreter auf die Aufsichtsräte der Anteilseigner treffen. Zumindest deutet darauf das aktuelle Flugblatt hin, in dem die IG Metall nicht nur Miguel López und Siegfried Russwurm, sondern auch Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather das Vertrauen entzieht. „Wenn Thyssenkrupp wirklich einen Neuanfang will, dann, bitte schön: Weg mit diesen Altlasten“, heißt es wörtlich in dem Schreiben der IG Metall. „López, Russwurm, Gather – alle drei haben ihren Kredit verspielt.“
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