Hannover. Verschärft sich der Stellenabbau? Bosch-Chef Hartung über die Krise in der Autoindustrie, die Ostwahlen – und eine Wende bei Wärmepumpen.

Die Folgen der Corona-Pandemie, Energiekrise und Inflation machen der Wirtschaft zu schaffen. Auch der Welt-Konzern Bosch strauchelt. Bislang galt der weltgrößte Automobilzulieferer als solide. Doch seit der Transformation hin zur E-Mobilität steht der 430.000-Mitarbeiter-Konzern unter Druck. Unsere Redaktion traf Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung, auf der Nutzfahrzeugmesse IAA Transportation zum Interview.

Herr Hartung, in der Automobilbranche herrscht Aufregung. Bei Volkswagen ist die Jobgarantie gekippt, ganze Werke stehen zur Disposition. Halten Sie an der bis 2027 ausgesprochenen Jobgarantie bei Bosch fest?

Stefan Hartung: Wenn wir uns mit unseren Arbeitnehmervertretern auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen verständigt haben, dann stehen wir dazu. Das gilt auch, wenn wir Arbeitsplätze abbauen müssen. Ihre Frage bezieht sich aber darauf, dass komplette Werke nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Das ist dann eine neue Lage.

Wie in Hildesheim? Dort bangen 1600 Beschäftigte des Elektromotorenwerks um ihre Jobs.

Hartung: Zu unserem Werk in Hildesheim ist noch nichts entschieden. Ich nehme die Berichte zur Kenntnis, aber möglich sind Anpassungen bei Standorten nur dann, wenn es eine entsprechende Beschlusslage unserer Gremien gibt. Und die gibt es für Hildesheim nicht. Aktueller Stand ist, dass wir Gespräche mit den dortigen Arbeitnehmervertretern zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit aufnehmen.

Hat die Krise bei VW konkrete Auswirkungen auf Ihr Geschäft?

Hartung: Volkswagen ist seit Jahrzehnten ein starker Partner und Kunde von uns. Daran wird sich auch nichts ändern. Alle in der Automobilindustrie müssen derzeit auf interne Probleme und Verschiebungen im Markt reagieren. Wir arbeiten aber mit Volkswagen nicht nur kurzfristig zusammen, sondern haben auch die Mobilität in den kommenden Jahrzehnten im Blick.

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Mehr als 7500 Jobs sind bei Bosch bedroht, fast die Hälfte davon im Automobilbereich. Wird es dabei bleiben?

Hartung: Die momentane wirtschaftliche Lage macht es schwer, Prognosen zu treffen. Zum Beispiel kann niemand aktuell seriös vorhersagen, welche Produktion in fünf Jahren in welchen Bereichen benötigt wird. Entsprechend ist nicht auszuschließen, dass Kapazitäten verschoben oder auch abgebaut werden müssen. Niemand baut gerne Stellen ab. Wenn es sich aber nicht vermeiden lässt, dann suchen wir gemeinsam mit unseren Arbeitnehmervertretern die sozialverträglichste Lösung.

Planen Sie stärkere Verlagerungen in den asiatischen Raum?

Hartung: Das Gros unserer Produkte wird bereits dort produziert, wo es vor Ort gebraucht wird. Die Frage ist, wie sich die verschiedenen Regionen im Vergleich entwickeln. In Europa und vor allem in Deutschland ist die Konjunktur momentan sehr schwach. Aber auch in Asien entwickelt sie sich schwächer als vorhergesagt. Nach der unerwartet positiven Entwicklung in den USA im vergangenen Jahr zeichnet sich dort ebenfalls eine langsamere konjunkturelle Gangart ab. Klar ist: Im Automobilmarkt wird es weder in diesem noch im nächsten Jahr eine deutliche Erholung geben. Und im Maschinenbau erleben wir eine Schrumpfung, bei manchen Kunden im zweistelligen Bereich. Das wird sich frühestens 2025 bessern.

Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung, auf der Nutzfahrzeugmesse IAA Transportation in Hannover.
Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung, auf der Nutzfahrzeugmesse IAA Transportation in Hannover. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Bauen die Chinesen genauso gute E-Autos wie die Deutschen – nur billiger?

Hartung: Noch verliert der Markt in Europa keine großen Marktanteile an chinesische Hersteller. Was aber stimmt: In Asien und Lateinamerika sind chinesische Anbieter erfolgreich. Mit Blick auf den Preis muss man bedenken, dass im chinesischen Markt das Preisniveau aller Anbieter viel niedriger ist und kaum ein Hersteller dort überhaupt noch Gewinne macht. Fakt ist aber auch: Die Chinesen können hervorragende batterieelektrische Fahrzeuge bauen und sie werden diese auf dem Weltmarkt verkaufen, so wie deutsche Hersteller ihre Fahrzeuge in China verkaufen. Es gibt bereits außergewöhnliche Autos wie etwa den Xiaomi SU7, der jüngst in den Markt gebracht wurde – und solche Fahrzeuge nutzen natürlich auch Bosch-Technologie.

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Wurde in Deutschland der Trend zum E-Auto verschlafen?

Hartung: Das höre ich häufig, aber ich kann es nicht nachvollziehen. Besonders werden damit Hersteller konfrontiert, die sehr früh in die Elektromobilität gegangen sind. Die Entwicklung zur Elektromobilität hängt nicht nur vom Angebot ab, sondern vor allem auch von der Nachfrage. Schlafen gehört in der Industrie jedenfalls nicht zur Jobbeschreibung.

Ab wann werden Sie mit der E-Auto-Sparte Gewinn machen?

Hartung: Sowohl beim Pkw als auch bei den Nutzfahrzeugen mussten wir in den vergangenen Jahren hohe Investitionen in Technologie und Kapazitäten tätigen. Gerade bei den Nutzfahrzeugen sehen wir jetzt fantastische neue Fahrzeuge, auch mit Bosch-Technik. Aber noch sind die Stückzahlen klein. Elektro-Lkw kommen gerade erst in den Markt. Es wird mehrere Jahre brauchen, bis sie in großen Stückzahlen auf der Straße sind. Aber dann werden Hersteller und Zulieferer Gewinne machen können, ebenso bei den E-Autos. In China, wo E-Autos stärker abgesetzt werden, sieht unsere Ergebnissituation bereits besser aus.

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Muss die EU das Verbrenner-Aus ab 2035 revidieren?

Hartung: Entscheidend ist nicht die Frage der politischen Vorgaben, sondern ob sich das Elektro-Auto für den Konsumenten rechnet. Hinzu kommt die erforderliche Infrastruktur. Ob man in einem Haus wohnt oder einen Parkplatz mit Ladesäule vor der Tür hat, beeinflusst die Kaufentscheidung. Auch steuerliche Förderungen bei der Anschaffung können eine Rolle spielen. Solange die Absatzzahlen niedrig sind, wird das Elektrofahrzeug immer etwas teurer sein.

Also braucht es neue Subventionen?

Hartung: Es wird nicht helfen, wenn der Regulierer versucht, den Markt unmittelbar zu steuern. Nur weil ich ab 2035 keine Verbrenner mehr produziere, heißt das noch lange nicht, dass die Kunden nicht trotzdem welche haben wollen und daher zum Beispiel ihre alten Autos einfach so lange wie möglich weiterfahren. Aber man kann natürlich die Kraftstoffe regulieren. Etwa, indem man CO2-reduzierte Kraftstoffe stärker fördert.

„Nur weil ich ab 2035 keine Verbrenner mehr produziere, heißt das noch lange nicht, dass die Kunden nicht trotzdem welche haben wollen und daher zum Beispiel ihre alten Autos einfach so lange wie möglich weiterfahren.“

Stefan Hartung
Vorsitzender der Bosch Geschäftsführung

Das ist doch das Konzept des CO2-Preises.

Hartung: Der CO2-Preis kann wirklich ein wichtiger Teil der Lösung sein. Wir müssen aber überlegen, ob das ausreicht. Natürlich müssen wir Kraftstoffe, die CO2 emittieren, besteuern. Wir dürfen aber fossile Kraftstoffe auch nicht zu teuer machen, solange es keine ausreichend verfügbaren Alternativen gibt. Die Mobilität der Menschen und die Logistik von Gütern könnte sich so verteuern, dass die soziale Balance gefährdet wird. In jedem Falle müsste man das Geld, das man über den CO2-Preis einnimmt, wieder der Volkswirtschaft zuführen.

Dafür wollte die Bundesregierung ursprünglich das Klimageld einführen. Daraus wird wohl nichts.

Hartung: Das Klimageld könnte ja gegebenenfalls doch noch kommen. Man hätte mehrere Möglichkeiten, es zu nutzen: Entweder gibt man es direkt der Bevölkerung zurück, oder man macht damit CO2-reduzierte Kraftstoffe günstiger oder baut die Lade-Infrastruktur schneller aus. Kaufprämien dagegen sind Eingriffe in den Markt, die man mit Vorsicht betrachten sollte.

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Im Ranking der Schweizer Business-School IMD ist der Standort Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit binnen 10 Jahren von Rang 6 auf Rang 24 zurückgefallen. Was läuft falsch?

Hartung: Die Wettbewerbsfähigkeit müssen wir im europäischen Kontext sehen. Die neue EU-Kommission will einen möglichst homogenen Markt schaffen, der Europa auf Augenhöhe mit den Wachstumsregionen der Welt hält. Das ist wichtig. Die Wettbewerbsfähigkeit hat Europa einst stark gemacht. Jetzt haben wir sie eher aus den Augen verloren. Aber auch in Deutschland müssen wir uns kümmern, etwa um Bildung und Infrastruktur. Zudem sind die Arbeitskosten hoch. Wir brauchen aber dringend globale Wettbewerbsfähigkeit, hohe Produktivität und ein dynamisches Innovationsklima. Wir haben einiges zu tun.

Verträgt sich der Leistungsanspruch mit der Diskussion um die 4-Tage-Woche?

Hartung: Mit der 4-Tage-Woche werde ich mich nicht anfreunden. Ich glaube nicht, dass wir uns das leisten können.

Jetzt verschiebt auch noch Intel den Bau seiner Chipfabrik. Passt das in das Gesamtbild des kriselnden Standorts?

Hartung: Nein, wir sollten uns nicht auch noch diesen schwarzen Tupfer auf die Jacke Deutschlands pinseln. In diesem Falle soll eine außergewöhnlich große und sehr teure Fabrik gebaut werden und dieser Bau verschiebt sich nun aufgrund der internen Lage eines Unternehmens. Eine Verschiebung um ein, zwei Jahre macht mich nicht nervös. Statt auf einzelne Werke sollten wir auf die wesentlichen Standortfaktoren schauen. Verbessern sich die Bildung und die Infrastruktur? Das macht unsere Wettbewerbsfähigkeit aus.

Dann ist es um den Standort aber nicht gut gestellt. In den Pisa-Studien fallen wir stetig zurück und in der Infrastruktur brechen jetzt schon Brücken unerwartet zusammen.

Hartung: Das ist der Blick nach hinten. Jetzt müssen wir nach vorne schauen und dringend etwas tun.

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Welche Rolle spielt die derzeitige Bundesregierung bei dieser Entwicklung?

Hartung: Es ist leicht, die jetzige Regierung zu kritisieren. Aber man kann sie nicht für alle langfristigen Entwicklungen verantwortlich machen. Und es gab viele externe Faktoren: die Corona-Krise, die Lieferkettenkrise, der Ukraine-Krieg mit der folgenden Energiekrise. Es hilft nicht, jetzt nur mit dem Finger auf die Bundesregierung zu zeigen. Wir müssen gemeinsam den Weg aus dieser Lage finden.

Teile der Koalition wollen mit einem Industriestrom für konjunkturellen Schwung sorgen. Braucht es diese Hilfe?

Hartung: Wir haben nicht unbegrenzt Geld zur Verfügung, das spürt auch die Regierung gerade. Es ist Aufgabe der Politik zu priorisieren, ob sie das Geld beispielsweise in die Rente, in die Verteidigung oder in wirtschaftliche Parameter steckt. Da will ich mich als Unternehmensvertreter nicht einmischen. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass ein rein deutscher Industriestrom rechtlich überhaupt funktioniert. Über solche Themen sollte europäisch nachgedacht werden.

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Nehmen Sie der neuen EU-Kommission ab, dass sie das lösen kann?

Hartung: Sie muss. Sowohl bei der Energieversorgung als auch an den Kapitalmärkten und den Industriemärkten muss Europa ganzheitlich verstanden werden. Nur wenn Europa als ganzheitlicher Markt auftritt, ist er attraktiv für andere. 

Neun Ihrer Standorte befinden sich in Thüringen und Sachsen, darunter die Chipfabrik in Dresden. Wie blicken Sie auf die Wahlergebnisse in den Ostländern?

Hartung: Ich sehe das Wahlergebnis als eine Aufgabenstellung, die jetzt politisch gelöst werden muss. Man mag das Ergebnis beklagen, aber das hilft uns in einer Demokratie nicht weiter. Jetzt gilt es, aus der Wahlentscheidung der Bürger das Richtige abzuleiten. Ich blicke hoffnungsvoll auf die verantwortlichen Personen, dass ihnen eine Regierungsbildung gelingt, die auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung fußt.

Wird Ostdeutschland für ausländische Fachkräfte unattraktiver?

Hartung: Ich mache mir grundsätzlich Sorgen, ob wir genügend ausländisches Talent nach Deutschland holen können. Um attraktiv zu sein, müssen die Menschen gute Lebensbedingungen bei uns vorfinden. Hierbei spielt das politische Klima sicher auch eine Rolle. Aber genauso wichtig ist, ob beispielsweise ausreichend Studiengänge in englischer Sprache angeboten werden. Für viele junge Talente, etwa aus Ungarn, Polen und Tschechien, war Deutschland in den vergangenen Jahren attraktiv. Wir müssen hart daran arbeiten, dass wir so attraktiv bleiben. Nur wenn das Talent der Welt zu einem kommt, ist man wettbewerbsfähig.

Wärmepumpen sollen die Heiztechnologie von morgen werden. Auch Bosch setzt darauf.
Wärmepumpen sollen die Heiztechnologie von morgen werden. Auch Bosch setzt darauf. © IMAGO/Daniel Reinhardt | IMAGO stock

Ein Baustein der Dekarbonisierung in Deutschland ist die Wärmewende. Wie läuft das Wärmepumpengeschäft für Bosch?

Hartung: Die Heizungs- und Wärmepumpenindustrie hat in den vergangenen zwei Jahren eine Achterbahnfahrt durchlebt – ohne eigenes Verschulden. Grundsätzlich gilt: Die Wärmewende ist der richtige Weg. Und die Wärmepumpe ist ein großartiges Mittel, um sie zu erreichen. Mit der Neuerung des Gebäudeenergiegesetzes gab es dann eine starke Verunsicherung. Die Kunden warten derzeit lieber ab. Aber ich bin mir sicher: Diese Kaufentscheidung verschiebt sich nur um einige Zeit.

Sie glauben nach wie vor an die Wärmepumpe?

Hartung: Für Bosch und die gesamte Branche sind das gerade schwierige Jahre. Aber die Wärmepumpe ist die Lösung. Sie wird in ganz vielen Gebäuden eingebaut werden, das werden wir in den nächsten Jahren sehen. Was wir jetzt erleben, ist nur eine Durststrecke.

Vielen ist eine Wärmepumpe schlicht zu teuer. Werden sie billiger, wenn nun der Absatz zurückgeht?

Hartung: Zumindest sind Wärmepumpen wieder verfügbar. Wer sich letztes Jahr eine anschaffen wollte, der hat unter Umständen gar keine bekommen. Ob sie allerdings jetzt schnell preiswerter werden – da muss man vorsichtig sein. Denn in ihnen steckt eine Menge hochwertiges Material wie etwa Kupfer, das den Weltmarktpreisen ausgesetzt ist. Außerdem ist die Produktion gedrosselt. Wärmepumpen werden zudem wohl nie preiswerter sein können als ein einfacher Gaskessel.

Zur Person

Stefan Hartung ist seit Anfang 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH. Weltweit arbeiten für den Stuttgarter Technologiekonzern rund 430.000 Menschen. Hartung ist seit 20 Jahren bei Bosch, 2004 kam er als Zuständiger für Geschirrspüler zu Bosch. Hartung wurde 1966 in Dortmund geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er studierte Maschinenbau in Aachen, wo er auch 1993 promovierte.