Berlin/Magdeburg. 30 Milliarden Euro wollte Intel in Magdeburg investieren, doch nun verschiebt der Konzern das Projekt. Experten erklären die Folgen.
Zwei Anrufe von Intel-Chef Pat Gelsinger und eine Mitteilung des US-Chipkonzerns machten das offiziell, was schon länger befürchtet worden war: Wegen der schweren Krise bei Intel kommt die geplante Rekordansiedlung der Chipfabrik in Magdeburg vorerst nicht. Wie es dazu kam und welche Folgen nun drohen. Wichtige Fragen und Antworten.
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Was steckt hinter der Ankündigung von Intel, das Projekt in Magdeburg zu verschieben?
Die dunklen Wolken bei Intel und über dem Vorhaben in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts zogen schon vor einigen Monaten auf. Der US-Chiphersteller war in schweres Fahrwasser geraten. Generell hatte es der Konzern nicht geschafft, seine ursprüngliche Vormachtstellung bei Computerchips in die Smartphones zu transformieren. Jetzt aber attackierten Konkurrenten Intel auch noch in seinem bislang lukrativsten Kernmarkt, den Prozessoren für Rechenzentren.
Wegen gesunkener Umsätze, Milliardenverlusten und des pulverisierten Aktienkurses kündigte Intel-Chef Gelsinger jüngst ein neues Sparprogramm an und auch Stellenstreichungen. Nun versucht sich der Konzern zu konsolidieren, auch mithilfe neuer Aufträge im Heimatmarkt. Für die Cloud-Sparte von Amazon werde man einen KI-Chip mitentwickeln und fertigen, so das Unternehmen. Auch vom US-Militär ergatterte Intel einen Auftrag. Dafür setzte man auf Fabriken in den USA. Europäische Projekte, das in Polen und eben die Ansiedlung in Magdeburg, verschiebt Intel stattdessen – voraussichtlich um zwei Jahre. Gelsinger informierte darüber am Montagabend per Telefon. Zunächst rief er Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an, später Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Erst danach verschickte man das Statement.
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Was hatte Intel in Magdeburg konkret geplant?
Intel hatte in Sachsen-Anhalt den Bau von zunächst zwei Chip-Fabriken angekündigt. Dabei sollten rund 3000 Arbeitsplätze entstehen. Der erste Spatenstich war für dieses Jahr angepeilt worden. Das 30 Milliarden Euro schwere Projekt gilt als die größte jemals von einem Unternehmen geplante Einzelinvestition in Deutschland. 9,9 Milliarden Euro Fördermittel hatte die Bundesregierung dafür in Aussicht gestellt. Die Freigabe der EU-Kommission dafür steht aber noch aus.
Wie weit war das Vorhaben schon?
In dem Magdeburger Gewerbepark hatte Intel bereits eine gut 400 Hektar große Fläche erworben. Erst vor gut einem Monat hatte Ministerpräsident Haseloff noch den Spatenstich für die Zufahrtsstraße zu dem Gelände vorgenommen. Das Land ist darüber hinaus schon selbst in Vorleistung gegangen. Neben Intel soll ein noch größerer High-Tech-Park entstehen. Dort sollen sich Zulieferer ansiedeln. Für 90 Prozent der Fläche existieren bereits Vorverträge.
Ein neues Landesunternehmen soll das Areal entwickeln, Zulieferer für die Chipfabrik ansiedeln und Flächen von umliegenden Landwirten ankaufen. Dafür hatte das Finanzministerium in Magdeburg rund 250 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ob es gelingt, diese interessierten Firmen bei der Stange zu halten, ist aufgrund der Intel-Planänderung nun aber zumindest fraglich.
Warum setzte Deutschland überhaupt auf Intel?
Man setzte nicht nur auf Intel. Bosch, Infineon, Globalfoundries oder auch TSMC aus Taiwan haben ebenfalls Fördermittel erhalten, um den deutschen Halbleiterstandort zu stärken. Die SPD-Wirtschaftspolitikerin Verena Hubertz regt nach den verschobenen Intel-Plänen nun an, einen Teil der dort vorgesehenen Förderung anderweitig zu nutzen. Intel sei nicht der einzige „Fisch im Teich“. „Es gibt daneben noch eine Reihe weiterer Unternehmen im Bereich Mikroelektronik in Deutschland, mit denen wir unseren Standort stärken und Arbeitsplätze der Zukunft schaffen. Denkbar wäre sicherlich, einen Teil der Gelder freizumachen und damit die Zukunft des Landes zu sichern“, so Hubertz gegenüber unserer Redaktion.
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Generell geht es darum, auch in Deutschland und Europa eine starke Halbleiterbranche zu etablieren – und so von Lieferketten aus anderen Kontinenten weniger abhängig zu sein. Halbleiter sind gewissermaßen das Lebenselixier jeder Technik. Sie stecken in Autos oder in Smartphones, ihre Bedeutung wird zunehmen. Intel war in den 2000er-Jahren stark mit Chips in Computern, verpasste aber den Wandel hin zu mobilen Endgeräten. CEO Gelsinger war 2021 mit einem Strategiewechsel angetreten: Man wollte nicht nur eigene Prozessoren entwickeln, sondern auch als großer weltweiter Auftragsfertiger fungieren. Das Werk in Magdeburg sollte dafür ein Baustein sein.
Der Chef des Ifo-Instituts in München hält ein eventuelles Aus für das Intel-Projekt in Magdeburg hingegen für zu verschmerzen. „Deutschland hat einen expandierenden Standort für Chipproduktion in Dresden, auch wenn dort ebenfalls Subventionen gezahlt werden und andere Halbleiter gebaut werden, auch deshalb kann man auf das Projekt in Magdeburg verzichten“, sagte Fuest dieser Redaktion.
Ist Intel dafür noch ein verlässlicher Partner?
Das wird man sehen. Zunächst mal muss der Konzern die eigenen Probleme in den Griff bekommen. Nicht nur Schulden und Verluste im Tagesgeschäft plagen Intel. Auch die Strategie, mehr Auftragsfertigung zu übernehmen, ist nicht aufgegangen. Außerdem hinkt das Unternehmen auch KI-Bereich hinterher. „Nur wenn es Intel gelingt, die Einführung der neuen Produkte zu beschleunigen, die Verkaufszahlen zu steigern und zugleich Kosten zu senken, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Intel genügend Ressourcen zur Verfügung hat, um neben dem Ausbau der Werke in den USA – die ja vorerst nicht alle gestoppt werden – auch in Magdeburg zu investieren“, sagte der Industrieexperte Alexander Schiersch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin dieser Redaktion.
Bundeskanzler Scholz schrieb am Dienstagvormittag auf der Plattform „X“, man nehme die Verzögerung des Magdeburger Werks „mit Bedauern zur Kenntnis“. Das Projekt halte man aber „weiterhin für sinnvoll und unterstützenswert“.
Was bedeutet das für den Industriestandort Deutschland?
SPD-Politikerin Hubertz bezeichnete Intels Planänderung als „Rückschlag“. Die Ankündigung fällt in eine Zeit, in der es dem deutschen Standort nicht sonderlich gut geht. Wirtschaftliches Wachstum gibt es kaum. Stattdessen denken viele Firmen laut über Standortverlagerungen nach. Vor allem die aus Sicht der Wirtschaft überbordende Bürokratie und hohe Energiekosten belasten.
Alle nicht für #Intel benötigten Mittel müssen zur Reduzierung offener Finanzfragen im Bundeshaushalt reserviert werden. Alles andere wäre keine verantwortungsbewusste Politik. CL
— Christian Lindner (@c_lindner) 16. September 2024
Können nun die zuvor an Intel zugesagte Fördermittel anders genutzt werden?
Das wollen zumindest SPD und FDP. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) schrieb bereits kurz nach der Intel-Verkündung, frei werdende Gelder müssten „zur Reduzierung offener Finanzfragen im Bundeshaushalt reserviert werden“. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingegen verwies darauf, dass die Mittel im Klimaschutzfonds KTF verbleiben müssten. FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer sagte dieser Redaktion: „Die jetzt nicht für Intel benötigten Haushaltsmittel sind für die Reduzierung der Globalen Minderausgabe zu nutzen, da ist die Einigung zwischen Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner klar.“
Wie gehts es jetzt weiter?
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff (CDU) sagte am Dienstagnachmittag, Intel-Chef Gelsinger habe ihm versichert, an dem Projekt festhalten zu wollen. Es werde nun auch mit Mitarbeitern aus dem Bundeskanzleramt ein Team gebildet, um das Projekt weiter im Standby-Modus zu betreuen. Der kurze Draht zu Intel soll also bestehen bleiben – auch, wenn die Ansiedlung selbst zunächst wohl nicht mehr schnell vorankommen wird.