Brüssel. Der EU-Rechnungshof sieht große Probleme beim Umstieg auf Elektromobilität: Autofahrern und Industrie droht die Überforderung.
Die Europäische Union will den Umstieg auf Elektroautos mit einem drastischen Verbot erzwingen: Ab 2035 dürfen laut EU-Gesetz in Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten keine neuen Pkw mit Verbrennermotor mehr zugelassen werden. Doch jetzt warnen Experten vor einem Scheitern dieser Strategie: Die EU müsse dringend handeln, sonst drohe das Verbrenner-Aus die Verbraucher und die Autoindustrie zu überfordern, heißt es in einem am Montag in Luxemburg vorgelegten Bericht des Europäischen Rechnungshofs.
Der geplante Ausbau der Elektromobilität könne zum Dilemma werden zwischen Umweltzielen einerseits, Industriepolitik und den Kosten für Autofahrer andererseits, sagte Mitautorin Annemie Turtelboom. Die Diskussion über andere Antriebe als Ausweg halten die Prüfer aber für trügerisch: Biokraftstoffe und E-Fuels, auf die Kritiker inzwischen setzen, sind laut Rechnungshof „keine glaubwürdige Alternative“.
Hauptkritikpunkt in der brisanten Expertise: Sowohl der Rückstand bei der Batterietechnologie als auch die fehlende Ladeinfrastruktur erwiesen sich in der EU zunehmend als Problem. Bei der Batterieherstellung sei „die europäische Industrie im globalen Wettbewerb zurückgeblieben“, drei Viertel der Produktion komme aus China, weniger als zehn Prozent aus Europa. Die Kosten für in Europa hergestellte Batterien seien mit durchschnittlich 15.000 Euro trotz umfangreicher öffentlicher Unterstützung nach wie vor viel höher als geplant: „Das kann dazu führen, dass sich europäische Elektrofahrzeuge für den Großteil der Bevölkerung als unerschwinglich erweisen“, so die Prüfer.
Die bisherigen Verkäufe von E-Autos, so geben sie zu bedenken, seien öffentlich subventioniert worden und hätten größtenteils in der Preisklasse von mehr als 30.000 Euro gelegen. Die Warnung des Rechnungshofs: „Wenn bei den Kapazitäten und der Wettbewerbsfähigkeit keine klare Verbesserung erzielt wird, besteht die Gefahr, dass die ‚Elektroauto-Revolution‘ in Europa auf Importe angewiesen ist und sich nachteilig auf die europäische Autoindustrie mit ihren 3 Millionen Arbeitsplätze auswirkt.“
Woher die Importe kommen, sagen die Prüfer nicht, aber ihre Warnung ist auch so unmissverständlich: Die Autobauer hierzulande könnten das Nachsehen hinter der Konkurrenz aus China haben. Deren Anteil an batterieelektrischen Neufahrzeugen in Deutschland steigt sprunghaft, erläutert der ADAC in einer aktuellen Übersicht, er liegt bereits bei knapp neun Prozent. Als Bilanz aus den Autotest-Ergebnissen von 13 Modellen aus den letzten drei Jahren zeichnet der ADAC ein klares Bild: „Chinesische Fahrzeuge sind ernstzunehmende Konkurrenten und überzeugen in vielen der Testkategorien.“
ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze sagt: „Die chinesischen Hersteller haben stark aufgeholt und können mit etablierten Marken inzwischen mithalten.“ Preislich würden chinesische Modelle europäische Modelle beinahe immer unterbieten, oft um mehrere tausend Euro.
Lesen Sie auch: Experte nennt besten Zeitpunkt für Kauf eines Elektroautos
Doch gilt auch für die Konkurrenz aus Fernost, dass Verbraucher, die mit Elektroautos liebäugeln, in der Praxis vor einer weiteren Hürde stehen: Es fehlen nach wie vor ausreichend Ladepunkte, wie der Rechnungshof in seiner Expertise beklagt. Es gebe nicht nur zu wenig davon, die Verfügbarkeit sei in der Union auch von Land zu Land sehr unterschiedlich. Auf Frankreich, Deutschland und die Niederlande entfalle dabei der Großteil der Ladestationen, vor allem in Osteuropa sei die Versorgung noch sehr viel schlechter: So aber sei es schwierig, die EU überhaupt mit einem Elektroauto zu durchqueren.
Die Warnung der Prüfer ist deutlich: „Die EU hat nicht viele Trümpfe auf der Hand, wenn es um die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte geht.“ Fehlender Rohstoffzugang, hohe Kosten für Industrie und Verbraucher sowie mangelhafte Infrastruktur könnten dazu führen, dass die EU „ihren Einsatz verspielt“, sagte Rechnungshof-Mitglied Turtelboom. Europa müsse jetzt dringend Maßnahmen ergreifen, damit der Ehrgeiz beim Klimaschutz nicht auf Kosten der industriellen Souveränität gehe.
Allerdings sehen die Prüfer auch keine praktikable Alternative zum Elektroauto. Das Ziel der EU, den Kontinent bis 2050 klimaneutral zu machen, lasse sich nur mit der Reduzierung der Pkw-Emissionen erreichen. „Aber trotz ehrgeiziger Ziele und strenger Anforderungen stoßen die meisten herkömmlichen Autos immer noch so viel C02 aus wie vor zwölf Jahren“, klagt Rechnungshof-Prüfer Nikolaos Milionis.
Die klassischen Verbrennermotoren, die immer noch drei Viertel der Neuzulassungen ausmachten, seien zwar in diesem Zeitraum effizienter geworden, doch würden diese Erfolge durch im Schnitt heute zehn Prozent schwerere Autos und um 25 Prozent leistungsstärkere Motoren zunichtegemacht. Vernichtend das Urteil zu Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen: Die würden zwar als „emissionsarm“ eingestuft, die tatsächlichen Emissionen auf der Straße seien aber im Schnitt um 250 Prozent höher als im Labortest gemessen.
Und alternative Kraftstoffe wie E-Fuels, Wasserstoff oder Biokraftstoffe, wie sie Kritiker des Verbrennerverbots gerade in Deutschland immer wieder ins Spiel bringen? Die Prüfer winken ab: Sie halten die künftig verfügbare Brennstoffmenge für nicht ausreichend, Biokraftstoff sei auch noch gar nicht wettbewerbsfähig. Und die Umweltfreundlichkeit werde überschätzt. Schließlich sieht der Rechnungshof ein grundsätzliches Problem: „Es stellt sich die ethische Frage, ob die Erzeugung von Kraftstoffen Vorrang vor der Erzeugung von Lebensmitteln haben sollte.“