Hagen/Lüdenscheid. IG Metall: Wird in Duisburg weniger Stahl produziert, droht der Industrie im Raum Hagen und dem Märkischen Kreis eine Kettenreaktion.
Europas Stahlstandort Duisburg bebt. Wird die Ankündigung von Thyssenkrupp, die Stahl-Produktion zu reduzieren und Arbeitsplätze abzubauen, umgesetzt, gefährdet dies auch in Südwestfalen Tausende Arbeitsplätze in mittelständischen Unternehmen, die Thyssenkrupp-Stahl verarbeiten. „Wenn es am Anfang aufhört, reißt die gesamte Wertschöpfungskette“, warnt Fabian Ferber, Chef der Industriegewerkschaft Metall im Märkischen Kreis.
Auch von HKM im Duisburger Süden abhängig
In den Industriebetrieben in der Region werde kein anderer Werkstoff häufiger verarbeitet als Stahl. Eine große Menge davon kommt heute aus der Produktion der Hochöfen im Duisburger Norden von Thyssenkrupp und aus dem Duisburger Süden von HKM, der Hüttenwerke Krupp Mannesmann, dem Gemeinschaftsunternehmen,das zu 50 Prozent zu Thyssenkrupp, zu 30 Prozent zum Stahlkonzern Salzgitter aus Niedersachsen und zu 20 Prozent dem französischen Rohrhersteller Vallourec gehört und dessen Zukunft davon abhängt, ob ein kostspieliger Umbau gelingt, um in Zukunft grünen Stahl produzieren zu können.
Kaltwalzindustrie ist Kunde für Duisburger Stahl
„Rund 1,1 Millionen Tonnen Stahl kommen jährlich direkt von HKM zu Thyssenkrupp-Hohenlimburg über die Bahnstrecke“, nennt Jens Mütze, IG-Metall-Bevollmächtigter in Hagen, ein konkretes Beispiel. Im Thyssenkrupp-Werk in Hagen-Hohenlimburg wird Mittelband produziert. Die Coils werden von dort unter anderem direkt an die benachbarte Kaltwalzindustrie in die Werke von C.D. Wälzholz, Bilstein und Risse + Wilke geliefert. Eine fein abgestimmte Lieferkette, bei der HKM-Stahl nicht einfach ersetzt werden könne. „Ob andere wie Salzgitter oder Arcelor Mittal die Mengen liefern könnten, steht in den Sternen“, sagt Mütze.
Die Duisburger Hüttenwerke betreiben im Süden der Stadt zwei Hochöfen, in denen mit Kokskohle Stahl produziert wird. Eine Technologie, von der sich die Branche wegen der Klimaschädlichkeit verabschieden muss. Nach Informationen des Gewerkschafters Mütze müsse ein Hochofen von HKM in zwei Jahren ersetzt werden. Das müsse jetzt entschieden werden, sagt Mütze. Schließlich sei der Standort nur mit zwei Hochöfen nicht wirtschaftlich zu betreiben. HKM benötigt also finanzielle Unterstützung vom Staat beim Bau einer klimafreundlichen Anlage nach dem Beispiel von Thyssenkrupp.
Bei Thyssenkrupp wird einer der vier Hochöfen in Duisburg durch eine moderne, klimaneutrale Direktreduktionsanlage für die Stahlproduktion ersetzt. Den Auftrag erhielt SMS mit Sitz in Düsseldorf und Werk im Siegerland. Der Staat unterstützt diesen Umbau mit rund zwei Milliarden Euro, 1,3 Milliarden vom Bund und 700 Millionen Euro vom Land Nordrhein-Westfalen. Es ist die größte Einzelförderung für ein Unternehmen in der Geschichte des Bundeslandes - aber aus Sicht des Gewerkschafters Fabian Ferber bei weitem nicht ausreichend: „Es war ein Fehler, dass sich NRW nicht an Thyssenkrupp beteiligt hat.“ Dies stand zur Diskussion, weil das Traditionsunternehmen aus Essen Finanzpartner für das Stahlgeschäft suchte, das für Milliarden umgebaut werden muss.
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Seit vergangenem Sommer ist Miguel López neuer Chef des Thyssenkrupp-Konzerns. Lopez präsentierte nun den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky als Investor. Er werde 20 Prozent Anteile an der Stahlsparte übernehmen, hatte López angekündigt, ohne die Arbeitnehmervertreter mit einzubeziehen. Zudem kündigte der Thyssenkruppchef an, die Stahlproduktion am Standort Duisburg von 11,5 auf 9,5 Millionen Tonnen reduzieren und entsprechend Arbeitsplätze abbauen zu wollen. „So wird Porzellan zerschlagen“, kritisiert der IG-Metall-Bevollmächtigte Ferber.
Zwei Millionen Tonnen jährlich weniger Stahl aus Duisburg bedeuten in der Folge eine Kettenreaktion, die bis in südwestfälische Betriebe reicht, skizziert der Gewerkschafter für den Märkischen Kreis: „Mehr als 10.000 Menschen ziehen, gießen, schmieden, stanzen und walzen den Stahl hier. Auch wenn er aus anderen Orten als Duisburg zugeliefert wird: Sicher ist die Stahlverarbeitung nur, wenn die Wertschöpfungskette in Deutschland und Europa abgesichert ist. Insofern gilt für uns: Was für Duisburg entschieden wird, wird in der Folge auch uns treffen.“
Kunststoffindustrie ähnlich gefährdet
Ähnlich gefährdet sieht Ferber die Wertschöpfungskette in der deutschen Kunststoffindustrie. Wenn BASF, Lanxess, Covestro, Evonik und Co ihre Produktionen von Deutschland ins Ausland verlagern, werde sich das negativ auf die Kunststoffverarbeiter auswirken, von denen es ebenfalls viele Betriebe mit vielen Arbeitsplätzen in der Region gebe. Ferbers Forderung: „Wir müssen mit Investitionen mehr Raum für Industrie schaffen und nicht durch Kaputtsparen die Deindustrialisierung befördern.“ Dazu gehöre auch, die Stahl- und Chemieindustrie abzusichern und für wettbewerbsfähige Energiekosten zu sorgen. Einmal mehr geht der Blick beim Thema staatliche Hilfe bei der Transformation über den großen Teich. „Die USA machen das Portemonnaie auf“, erinnert Ferber.