Geseke. 500 Millionen Euro investiert Heidelberg Materials in Umbau von Zementwerk. Vom möglichen Verkauf eines Projektpartners überrascht.

Kaum eine Industrie pustet mehr Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre als die Zementindustrie. In Deutschland und Europa hat sie daher nur eine Zukunft, wenn sie klimafreundlicher wird. Mit dem 500 Millionen Euro teuren Projekt GeZero des Baustoffkonzerns Heidelberg Materials soll genau das gelingen. In Geseke, südlich von Lippstadt, an der Grenze zwischen Süd- und Ostwestfalen, wird seit Sommer vergangenen Jahres der Umbau des Zementwerks „Milke“ zum wahrscheinlich ersten klimaneutralen Zementwerk in Deutschland geplant. Klimaschädliches Kohlendioxid soll dort in Zukunft nicht mehr freigesetzt, sondern abgeschieden, abtransportiert und unter der Nordsee eingelagert werden. Dieses sogenannte CCS-Verfahren (Englisch: Carbon Capture and Storage) ist umstritten.

Der Verkauf von Wintershall Dea hat uns unvorbereitet getroffen.
Dr. Stefan Gajewski - Leiter des Zementwerks Milke in Geseke

Heidelberg Materials Partner im Projekt GeZero für den Transport zur Küste und zur endgültigen Einlagerung von CO2 unter dem Nordsee-Meeresboden sollte die BASF-Tochter Wintershall Dea werden. Die steht aber gerade in weiten Teilen zum Verkauf. „Der Verkauf der Dea hat uns unvorbereitet getroffen“, sagt Dr. Steffen Gajewski, Leiter des Werkes „Milke“ in Geseke. Was nun?

Britischer Konzern Harbour Energy

Ende vergangenen Jahres gab es zwei Überraschungen. Die positive: Mit 191 Millionen Euro fördert die Europäische Union den Umbau des Werkes in Geseke. Auf ein Drittel der Investitionssumme hatte man bei Heidelberg Materials gehofft, etwas mehr ist es geworden. Die zweite, weniger positive Überraschung war der Verkauf wesentlicher Teile von Wintershall Dea an den britischen Öl- und Gaskonzern Habour Energy. Abgestoßen werden sollen neben Öl- und Gasgeschäften auch die CCS-Projekte.

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Derzeit arbeite Wintershall Dea ungeachtet des Verkaufs nach Großbritannien, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage dieser Zeitung. Dies gelte auch für die CCS-Projekte. Wie allerdings Harbour Energy verfahre, wisse man bei Wintershall Dea nicht.

Wintershall Dea-Verkauf immer noch in der Prüfung

Ob die Briten Wintershall Dea übernehmen dürfen, ist allerdings auch noch gar nicht klar. Das Bundeswirtschaftsministerium lässt derzeit prüfen, ob hier nicht zu viel kritische Infrastruktur aus deutscher Hand gegeben wird. Ein Politikum, zu dem sich das Ministerium auf Anfrage nur sparsam äußert: „Die Prüfung ist noch im Gang“, heißt es aus Berlin dazu.

CCS-Verfahren grafisch dargestellt.
CCS-Verfahren grafisch dargestellt. © dpa | dpa-infografik GmbH

Den Zeitplan des ehrgeizigen Projekts GeZero in Geseke, das Werk umzubauen und Zement ab 2029 klimaneutral herstellen zu können, wird das Gezerre um Wintershall Dea nicht beeinflussen, hofft Steffen Gajewski. „Egal, welcher Name dran steht, es ist ein Zukunftsmarkt“, sagt der Ingenieur mit Blick auf die Abscheidung und Verpressung von Kohlendioxid. Dies gilt nicht nur für die Zementbranche, sondern auch für CO2-intensive Industrien wie Chemie, Stahl oder Kalkwerke. Bei Heidelberg Materials gehe man davon aus, dass das Projekt wie geplant weiterlaufen wird.

Bundesminister Robert Habeck für CCS

Zumal Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Die Grünen) sich jüngst klar für die nach wie vor umstrittene Technologie ausgesprochen hat. „Ohne CCS können wir unmöglich unsere Klimaziele erreichen“, erklärte Habeck Ende Februar. Nun will der Bundesminister einen entsprechenden Entwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes ins Kabinett und schließlich durchs Parlament bringen. Ohne CCS und CCU - die Abscheidung und Verwendung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Utilization) - fürchtet Habeck um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Und nicht nur der Vizekanzler. Am Mittwoch erklärte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme zum Thema: „Der Atmosphäre muss zusätzlich auch das wichtigste Treibhausgas CO2 aktiv und dauerhaft entzogen werden.“ Die Wissenschaftler gingen sogar noch einen Schritt weiter: Gegen die unterirdische Speicherung von CO2 auf dem Festland spreche aus wissenschaftlicher Sicht nichts, wenn sorgfältige Erkundung, transparente Standortwahl und fortlaufendes Monitoring gewährleistet würden.

Umstrittene Technologie

Südwestfalens CDU-Europaabgeordneter Peter Liese, der sich unter anderem für die Förderung von GeZero stark gemacht hatte, hält Habecks Vorschlag ebenfalls für gut, allerdings komme er viel zu spät. „Dass CCS in Deutschland erlaubt wird, ist unverzichtbar. Aber es geht alles viel zu langsam. Noch ist es nur ein Referentenentwurf im Bundesministerium“, kritisiert der umweltpolitische Sprecher der konservativen Fraktion im Europaparlament (EVP). Dass es dieses Verbot im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten in der Bundesrepublik überhaupt noch gebe, sei die Schuld aller Parteien, räumt der Christdemokrat ein. CCS ist durch das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz in Deutschland seit 2012 explizit verboten - im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern (Niederlande, Dänemark, Norwegen).

Die Wettbewerbsfähigkeit der Zementindustrie am Standort Deutschland leidet heute bereits dadurch, dass es eine nationale CO2-Bepreisung gibt. Wer, wie die Zementindustrie, im Produktionsprozess viel CO2 verursacht, gilt manchen nicht nur als „Klimakiller“, sondern muss auch entsprechend viel Ausgleichszertifikate kaufen. Ein direkter Anreiz, um in klimafreundliche Technologien zu investieren, wie es der Konzern Heidelberg Materials in Geseke vorhat.

Reiner Sauerstoff für die Produktion

Zement und Beton sind bislang unverzichtbare Baustoffe. Soll Zement in Zukunft nicht aus Ländern außerhalb der Europäischen Union importiert werden, wo vielfach geringere Umweltstandards gelten, müssen die rund 30 deutschen Zementwerke in neue Technologien investieren. „Es gibt nicht immer die eine Lösung“, sagt Steffen Gajewski. Allein im Werk „Milke“ am Standort in Geseke fallen nach Unternehmensangaben aktuell jährlich rund 700.000 Tonnen CO2 bei der Produktion an. Gajewski rechnet damit, dass die Planung für den Umbau des Werkes noch bis Ende 2025 dauern wird. Erst dann werden die neuen Oxyfuel-Öfen zur Abscheidung des CO2 bestellt und aufgebaut. Beim Erhitzen des Kalksteins wird in den neuen Öfen dann statt Luft reiner Sauerstoff zugesetzt werden. Das Verfahren ist enorm energieintensiv und entsprechend teuer.

Dr. Steffen Gajewski mit einem Entwurf des Umbaus.
Dr. Steffen Gajewski mit einem Entwurf des Umbaus. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

Klimaneutraler Zement aus Deutschland wird teuer

Ab 2029 hofft man dann in Geseke, das im Produktionsprozess angefallene CO2 in Richtung deutscher Nordsee abtransportieren lassen zu können. Übergangsweise per Bahn in Kesselwagen, später möglichst über eine Pipeline, an der dann auch andere Zementwerke aus der Region hängen könnten. Wie lange es braucht, um ein solches CO2-Pipeline-Netz aufzubauen und wer es bezahlen soll, ist noch unklar. Wie schwierig der Umbau der Infrastruktur ist, kann gerade beim Thema Wasserstoffnetz betrachtet werden. Sicher ist allerdings, dass die neue Technik den Baustoff Zement „am Ende teurer machen wird“, sagt Gajewski.