Geseke. HeidelbergMaterials will das Zementwerk in Geseke für 500 Millionen Euro „grün“ umbauen. Abgeschiedenes CO2 soll zur Nordsee transportiert werden.
Die Region Geseke/Erwitte ist ein Mekka der Zementindustrie. Das hat geologische Gründe. Hochwertiger Kalkstein und Mergel sind hier relativ oberflächennah und damit leicht abzugraben. Kein Wunder, dass viele der insgesamt mehr als 30 deutschen Zementwerke hier zuhause sind – und heute alle das gleiche Problem haben: Wohl kaum ein Massenbaustoff ist klimaschädlicher als Zement beziehungsweise das Nachprodukt Beton. Bauwirtschaft ohne Zement ist allerdings kaum denkbar.
Für die Zementindustrie innerhalb der Europäischen Union ist es in Zeiten des Emissionshandels überlebensnotwendig, sich schnell neu zu erfinden, weil sie für das bei der Produktion freigesetzte CO2 teure Ausgleichs-Zertifikate kaufen müssen, die im Preis weiter steigen werden. Um im weltweiten Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben, muss sich die Branche rasch in Richtung Klimaneutralität bewegen. Bereits seit Jahren denken die Unternehmen in Deutschland darüber nach, welcher Weg der richtige ist.
Erst im Dezember Klarheit
Ein ambitionierter Versuch ist das Projekt GeZero. Eine halbe Milliarde Euro soll der Umbau des Zementwerks von Heidelberg Materials in Geseke kosten. Die EU hat Mitte Juli bekanntgegeben, das Projekt im Rahmen des mit 3,6 Milliarden Euro gefüllten EU-Innovationsfonds fördern zu wollen.
Heidelberg Materials plant den Umbau der Produktion im Werk „Milke“ in Geseke, südlich von Lippstadt. Hier soll 2029 das erste vollständige dekarbonisierte Zementwerk Deutschlands stehen. Mitverantwortlich für das Projekt ist der Werkleiter Dr. Steffen Gajewski: „Es ist schon sehr spannend“, sagt der Ingenieur. Nicht nur, weil der Baustoffkonzern in Geseke enorme Summen investiert, sondern weil noch nicht alle Rahmenbedingungen klar sind. Zum Beispiel die Höhe der Fördersumme. „Wir hoffen auf ein Drittel der Kosten“, sagt Gajewski. „Bis Ende 2023 sollen die Verträge mit der EU geschlossen sein. Dann erst ist auch definitiv klar, dass wir Geld bekommen und wie viel.“
Der Umbau des Werkes in Geseke soll 2026 beginnen und die neue Anlage drei Jahre später in Betrieb genommen werden. Ein sogenannter Oxyfuel-Ofen der zweiten Generation soll eingesetzt werden. Beim Erhitzen des Kalksteins wird dann statt Luft reiner Sauerstoff zugesetzt werden. In Kombination mit einer CO2-Reinigungs- und Verflüssigungsanlage, bei der das freigesetzte Kohlendioxid hoch rein abgeschieden, aufgefangen und schließlich abtransportiert werden soll, will man in Geseke erstmals in Deutschland Klimaneutralität bei der Zementproduktion erreichen und so die Freisetzung von mindestens 700.000 Tonnen CO2 pro Jahr verhindern.
Im aus Sicht des Unternehmens besten Fall würde das überschüssige CO2 über eine Pipeline abtransportiert in Richtung deutsche Nordseeküste. Von einer solchen Pipeline könnten auch andere Zementwerke in der Region profitieren, die ebenfalls an technischen Lösungen zur klimaneutralen oder zumindest deutlich CO2-reduzierten Zementproduktion arbeiten. Bis eine solche Pipeline Wirklichkeit wird, könnte es aber länger dauern als bis 2029, wenn die Produktion bei Heidelberg Materials in Geseke beginnen soll. Die Alternative ist der Abtransport des CO2 in Tankwagen über die Schiene bis nach Wilhelmshaven über den Projektpartner Wintershall Dea. „Als Übergangslösung ist ein Bahntransport möglich“, erklärt Gajewski.
Wintershall Dea plant CCS
Wintershall Dea mit Sitz im nahen Kassel gehört zu 70 Prozent dem Chemieriesen BASF. Wintershall Dea plant das CO2 auf die Nordsee zu bringen und unter dem Meeresgrund zu verpressen. „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass dann eine große Gasblase unter der Nordsee entsteht. Das CO2 kristallisiert“, sagt Ingenieur Gajewski. Das CCS (Carbon Capture and Storage) genannte Verfahren ist dennoch umstritten und in Deutschland grundsätzlich (noch) verboten. „Es wird kommen müssen, aber die Regeln sind eben noch in der Diskussion.“
Das neue Produktionsverfahren bei Heidelberg Materials hätte den enormen Vorteil, dass eines der klimaschädlichsten, aber in der Bauindustrie kaum zu ersetzenden Produkte umweltfreundlicher wird. Allerdings: „Es wird das Produkt am Ende teurer machen“, sagt Gajewski. Der Energiebedarf für die ohnehin energieintensive Produktion werde sich noch einmal mehr als verdoppeln. Einen Teil des enormen Strombedarfs möchte man in Geseke über eine eigene Photovoltaikanlagen abdecken. „10 bis 15 Prozent des Eigenbedarfs sind möglich“, sagt Gajewski. Die Hoffnung ruhe auf einem neuen Solarpaket, das PV-Anlagen auch auf Flächen ermöglicht, die heute noch nicht genutzt werden dürfen. „Alte Steinbrüche wären hervorragend geeignet“, findet der Ingenieur.
Grenzausgleich notwendig
Bei der Klimaneutralität hat sich der Konzern wie andere auch auf den Weg gemacht. Beim Thema Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gegen Zement aus Asien beispielsweise gibt es weiter Zweifel. Der Mescheder Europaabgeordnete Peter Liese (CDU) hat in Brüssel für GeZero geworben. Als Verhandlungsführer des Europa-Parlamentes hat sich Liese auch für den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) eingesetzt. Danach sollen Produkte, die außerhalb der Europäischen Union hergestellt wurden, mit einer CO2-Abgabe belegt werden, um die Belastung für Unternehmen wie Heidelberg Materials durch den EU-Zertifikatehandel auszugleichen. „Funktioniert der Mechanismus nicht, ist der Standort Deutschland beziehungsweise Europa tot“, schätzt Steffen Gajewski. Dann nützt auch die sauberste Technik nichts. Nicht erst 2029, wenn das GeZero-Projekt umgesetzt sein soll, dürfte darüber Klarheit herrschen. CBAM soll ab 1. Oktober dieses Jahres wirksam werden, auch für Zementprodukte.
NRW Schwerpunkt der Zementindustrie
Mit 16 Werken und rund einem Viertel der gesamtdeutschen Produktion ist NRW ein Schwerpunkt der Zementherstellung in Deutschland. Allein in der Region Erwitte/Geseke sind fünf Unternehmen angesiedelt, die gemeinsam zum Teil gemeinsam am Thema Klimaneutralität arbeiten.
Am vergangenen Sonntag ist in Geseke ein Zement-Transportzug eines benachbarten Mitbewerbers entgleist und der Lokführer beim Unglück tragischerweise ums Leben gekommen.