Bad Berleburg. Die Realität hat die Vision von 2021 eingeholt. In Bad Berleburg gibt es ganz unterschiedliche Reaktionen auf die angekündigten 84 Windräder.

„Sorge vor über 80 Windrädern“ titelte diese Redaktion im Februar 2021. Damals war der Regionalplanentwurf der Bezirksregierung Arnsberg gerade bekannt geworden. Mit 16 möglichen Windkraftbereichen und einer Schätzung von 80 bis zu 160 möglichen Windrädern allein im Stadtgebiet von Bad Berleburg sorgte diese Diskussionsgrundlage für den Regionalplan – um im Bild zu bleiben – für einen Sturm der Entrüstung.

Nach neuesten Zahlen kommen zu den acht aktuell bereits laufenden Anlagen im Osterholz und auf dem Prenzenberger Kopf Genehmigungsverfahren und zum Teil auch Vorbescheide für weitere 76 Anlagen: Unterm Strich sind das 84 Anlagen, die bald in Bad Berleburg stehen könnten. Aus den abstrakten Sorgen von vor zwei Jahren ist jetzt ein sehr viel konkreteres Bild geworden. Für ganz Wittgenstein ist aktuell von 147 Anlagen die Rede.

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„Veränderung, die ich nicht gut finden kann“

„Das wird eine massive Veränderung unserer Heimat, die ich nicht gut finden kann“, formuliert der CDU-Fraktionsvorsitzende Martin Schneider seine Gefühle. Aber der Vorsitzende des Bauausschusses macht auch deutlich, dass die Zahlen, die diese Zeitung jetzt veröffentlicht hat, noch nicht vollständig bei der Stadt Bad Berleburg angekommen sind. „Wir haben noch nicht alle Bauanträge bekommen“, so Schneider.

Hier geht es zur vollständigenListe der Bauvorhaben in Wittgenstein.

Der Kommunalpolitiker sieht aber dennoch Handlungsspielräume: „Wenn geplante Anlagen außerhalb unserer Vorrangzonen liegen, können wir das Einvernehmen versagen und die Genehmigungsverfahren zurückstellen. Deswegen haben wir als CDU auch auf dieses Flächennutzungsplanverfahren gedrängt, um Schadensbegrenzung betreiben zu können. Hätten wir die Vorrangzonenplanung nicht, hätten wir keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen.“

Vorrangzonen
Vorrangzonen © Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Acht Anlagen bereits zurückgestellt

Im April dieses Jahres – als das FNP-Verfahren noch nicht vom Rat verabschiedet worden war – hatte die Stadt bei acht von zwölf Anlagen aus einem Paket des Projektierers WestfalenWind GmbH Co. KG das Einvernehmen versagt. Betroffen von dem Nein der Stadt sind die am 27. Oktober 2022 beim Kreis Siegen-Wittgenstein eingereichten Baugenehmigungsanträge für die Gemarkungen Elsstrauch (3), oberhalb des früheren Forsthauses Dödesberg in Schüllar, sowie Neujagen (1), Rentmeisterskopf (2) im Dreieck zwischen Wemlighausen, Girkhausen und dem Dambach sowie einem Antragspaket Wingeshausen West (2).

Vier Anlagen, die am Standort Homburg liegen könnten, aber wohl gebaut werden, weil diese innerhalb der Vorrangzonenpläne liegen. Für den kleinen Ortsteil Christianseck betont Schneider, dass dieser längst „mit Windkraftanlagen zugepflastert“ würde, wenn man die Vorrangzonen-Planung nicht genutzt hätte.

Handlungsspielraum der Kommunen begrenzt

Denn die Ausschlusswirkung bzw. Abstandsregelung bei kleinen und Streusiedlungen gegenüber im Zusammenhang bebauten Ortsteilen ist hier nicht gegeben. Im Rahmen dieses FNP-Verfahrens sei dies aber möglich gewesen. Allerdings macht Martin Schneider auch klar, dass die insgesamt über 80 Anlagen für Bad Berleburg realistisch sind. „Im Flächennutzungsplanverfahren ist deutlich geworden, dass der Handlungsspielraum der Kommunen begrenzt ist. Es muss eine Positiv-Planung gemacht werden.“ Schneider kritisiert dabei vor allem den Wegfall vieler Artenschutzrechtlicher Beschränkungen, den auch schon die NABU-Vorsitzende aus Siegen-Wittgenstein, Prof Dr. Klaudia Witte, im Gespräch mit der Redaktion angesprochen hatte. Und neben dem Wegfall der Regelungsmöglichkeiten sieht Schneider auch die andere Seite: „Die Grundstückseigentümer werden mitspielen. Die sehen die Dollarzeichen.“

Gut für Industriestandort

Vor zweieinhalb Jahren saß der erste Schock über die Regionalplanung auch bei der Bad Berleburger SPD-Fraktionsvorsitzenden Iris Gerstmann tief. Dass inzwischen „nur“ noch rund 80 statt möglicher 160 Anlagen gebaut werden, liegt für Gerstmann auch an der technischen Entwicklung: „Es sind einfach auch viel größere Maschinen“, sagt sie.

Die Bad Berleburger SPD-Politikerin hat inzwischen eine differenzierter Sichtweise auf die Energiewende in Wittgenstein: „Wir werden jetzt Stromversorger. Mit den Windkraftanlagen können wir drei Viertel der Leistung eines Atomkraftwerkes erzeugen. Das wird Wittgenstein verändern. Wir müssen uns vom Tourismus verabschieden. Weil wir aber mehr Strom erzeugen werden als wir verbrauchen, werden sich energieintensive Industriebetriebe hier ansiedeln“, sieht Gerstmann in der Entwicklung auch Chancen.

Mit der Auffassung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Martin Schneider, dass die Vorrangzonenplanung weiteren Wildwuchs verhindern könne, geht Gerstmann nicht konform. „Wir sehen doch, dass das, was der Regionalplanentwurf angekündigt hat, auch kommt. Und ob die Vorrangzonen ausschließende Wirkung haben werden, hängt davon ab, ob das Land NRW sein Flächenziel für Windkraft erreicht“. Gerstmann ist da skeptisch.