Siegen. Die Video-Identifikation sollte die Verwaltung in Siegen bürgerfreundlicher machen. Daraus wird nichts, die Politik hat Sicherheitsbedenken.

Womöglich wäre es in der Tat eine „kleine digitale Revolution“ gewesen. Wäre. Denn die Video-Identifikation wird nicht kommen. Beantragt hatte das im Rat die Volt-Fraktion: Um die Verwaltung bürgerfreundlicher zu machen – wer sich mit Hilfe eines sicheren, etablierten Verfahrens und des Personalausweises von zuhause via Video identifizieren kann, hätte sich manchen Weg ins Rathaus sparen können. Hätte. Denn die Sicherheitsbedenken einer Mehrheit im Rat führten, obwohl grundsätzlich nicht abgeneigt, ebenso zur Ablehnung wie – einmal mehr – die Folgen der Cyberattacke auf die Südwestfalen-IT.

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Volt hatte auf das Vorbild der Stadt Wiesbaden verwiesen, wo 98 Prozent der Betroffenen ein Videoident-Verfahren nutzen. Die Verwaltung der hessischen Landeshauptstadt habe für den Antrag beraten. Man könne dort rund um die Uhr digital den Perso vorlegen, anstatt dies per Termin vor Ort zu tun; so wie es verschiedene Dienstleister überall auf der Welt für tausende Menschen sicher gewährleisten würden, hieß es. Der Cyberangriff sei an der Stelle sogar eine Chance, argumentierte Fraktionsvorsitzender Samuel Wittenburg: Stadt, respektive SIT, müssten ja sowieso die Software für ihre Dienstleistungen („Fachverfahren“) neu ans Laufen bringen – da könne man diese zusätzliche Möglichkeit gleich mit aufbauen. Ausdrücklich ohne Zeitvorgabe für die geplagte Verwaltung und ohne dass das persönliche Erscheinen im Rathaus dadurch ersetzt werden würde, wie Wittenburg vorsorglich hinterherschob: „Natürlich müssen die Siegener weiter persönlich vorbeikommen dürfen!“ Die digitale Alternative biete aber einfach einen extrem hohen Mehrwert, städtisches Personal könne zudem effizienter eingesetzt werden.

Bleibt in Siegen: Mühsamer Weg ins Bürgerbüro

„Das geht in die richtige Richtung“, fand nicht nur Achim Bell (UWG), nicht nur er äußerte aber Bedenken wegen ungeklärter Sicherheitsfragen. Silke Schneider (Linke) sprach von „sensiblen persönlichen Daten“, für die die Sicherheit „in Videokonferenzen“ gewährleistet sein müsse. Ihr Fraktionsvorsitzender Henning Klein hingegen warb für das Verfahren: „Das ist der Lauf der Zeit – ich eröffne auch ein Bankkonto so.“ Es sei zudem nicht Aufgabe von Stadtverordneten, sich Gedanken um die Sicherheit zu machen, „dafür gibt es Fachleute. Wir sollten das Digitale nicht verteufeln. Die Generation 40 und jünger erwartet einfach digitale Lösungen.“ Manche Ratsmitglieder sollten sich vielleicht einmal vergegenwärtigen, „wie alt man ist“.

Das ist der Lauf der Zeit – ich eröffne auch ein Bankkonto so.
Henning Klein - Fraktionsvorsitzender Die Linke

Für die Bürger wäre das eine gute Möglichkeit, fand auch Florian Kraft (Grüne), gerade mit Blick auf Barrierefreiheit. Die bedeute, dass es mehrere Wege und Zugänge gibt – dieser sei da nur ein weiterer und kein Ersatz. Die Stadt Wiesbaden werde die Sicherheit garantiert gründlich geprüft haben und in anderen Bereichen sei auch die Stadt Siegen ja bereits digital unterwegs, etwa bei den biometrischen Daten des Personalausweises. Seine Fraktionskollegin Svenja König verwies auf das Onlinezugangsgesetz (OZG): Danach sei man künftig ohnehin gesetzlich verpflichtet, eine solche Lösung anzubieten. „Warum also nicht jetzt?“, meinte auch Michael M. Schwarzer, LKR-Fraktion. Im Netz seien „wesentlich sensiblere Daten im Umlauf“.

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Grüne Siegen: Absolute Sicherheit gibt es nicht

„Sowas wie die SIT wird immer wieder passieren“, erinnerte Martin Heilmann (Grüne), absolute Sicherheit könne es nun einmal nicht geben. Früher seien bedauerlicherweise Rathäuser abgebrannt, dennoch habe man neue gebaut; nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs habe auch niemand gefordert, keine Archive mehr zu bauen, weil die ja eh irgendwann einstürzen. Die Digitalisierung solle nicht weiter ausgebremst werden, „weltweit ist das Standard, nur in Deutschland hinken wir hinterher“. Und wer öfters eine Verbotskultur beklage: „So ein Verfahren ist ein Stück Freiheit für die Betroffenen“. Auch Fraktionschef Michael Groß fand, dass mit der Cyberattacke an dieser Stelle falsch argumentiert sei: „Es wäre doch absurd, erst das alte wieder aufzubauen und dann wieder umzubauen.“

Wir haben einen Riesenberg an Aufgaben zu bewältigen.
Arne Fries - Stadtrat

Bei aller Digital-Skepsis einiger Stadtverordneter: „Im September hätten wir noch zugestimmt“, sagte Markus Nüchtern. Der FDP-Fraktionschef verwies aber auf die Cyberattacke: Die Stadt habe ihre „digitale Grundversorgung“ noch nicht ans Laufen bekommen – später werde Videoident eine „sinnvolle und notwendige Ergänzung“, jetzt sei es aber noch zu früh. Fand auch Marc Klein (CDU): Seine Fraktion sehe Anträge zur Digitalisierung in der Verwaltung derzeit kritisch. Übrigens auch die Verwaltung: Man denke in der zuständigen Fachabteilung ohnehin in diese Richtung, so Dezernent Arne Fries. Aber bis heute habe er noch keinen Zugriff auf seine E-Mails und die Aktenstruktur, „wir haben einen Riesenberg an Aufgaben zu bewältigen. Es ist heftig viel zu tun, wir kommen mit der Abarbeitung nicht hinterher.“ Auch ohne neue Aufträge wie diesen. Die Verwaltung könne überdies keine seriöse Auskunft darüber treffen, wann die reguläre Arbeitsumgebung wieder herstellt sei, sagte auch Dirk Helmes, Leiter der Personalabteilung.

Siegen: Manche Abteilungen nach Cyberattacke noch immer nicht arbeitsfähig

Die Einführung dieses neuen Zugangs zu einer städtischen Dienstleistung ist nur ein Beispiel für Dinge, die wegen der Folgen des Cyberangriffs nicht gehen. Die Verwaltung ist zwar in aktuellen Fragen generell wieder arbeitsfähig, berichtete Stadtbaurat Henrik Schumann, der auch den „Stab für Außergewöhnliche Ereignisse“ (SAE) leitet. Daneben gelte aber einerseits abzuarbeiten, was während der Phase der totalen Nicht-Arbeitsfähigkeit manuell erledigt wurde oder ganz liegenblieb. Und andererseits habe man immer noch keinen Zugriff auf ältere digitale Pläne und Unterlagen.

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Das treffe auch und gerade die Grünflächen- und Friedhofsabteilung, so Schumann. Mit Vehemenz diskutierte die Politik über pflegefreie Grabanlagen. Diese neue Bestattungsform war bereits 2021 beschlossen worden und sollte 2022 umgesetzt werden, so die Grünen, die nun darauf drängten, wenigstens eine solche Anlage zu errichten. Dazu solle ein geeigneter Standort ermittelt werden. Kurzfassung: Geht nicht. Ohne die Pläne sei das sinnvollerweise nicht machbar – zumal die zuständige Abteilung überdies auch noch personell über die Maßen ausgedünnt sei.