Siegen. Sie reisen durch die Welt und arbeiten, von wo sie wollen. Tim und Vera Bartsch leben das, wovon viele träumen, ließen dafür auch vieles zurück.
Um die Welt reisen, ohne das Enddatum der Reise zu kennen. Arbeiten, von wo und wann man will – was für viele wie ein Traum klingt, haben sich Tim und Vera Bartsch aus Siegen erfüllt. Derzeit reisen sie mit ihrem Bus „Kasimir“ durch Europa. Gerade sind sie in Österreich, Weihnachten haben sie in Griechenland verbracht. „Da gab’s Rouladen, Kartoffeln und Rotkohl bei offener Schiebetür am Meer und in kurzer Hose“, sagt Tim Bartsch. Urlaub sei das Ganze trotzdem nicht. „Aber ich bin hier der Herr über meine Zeit.“
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Sein und Vera Bartschs Berufsalltag unterscheidet sich nicht grundlegend von dem anderer Menschen. „Ich stehe auch um 7 Uhr auf und sitze spätestens um 10 Uhr am Rechner“, sagt der 36-Jährige. Das kann auch bis spät abends so weitergehen. Zwischendurch oder nach der Arbeit können die beiden Siegerländer allerdings auch einfach mal ans Meer gehen – je nachdem, wo sie sich gerade befinden. Er ist gelernter Werkstoffprüfer und Industriemeister. 16 Jahre lang arbeitete er in einem Siegener Stahlwerk. „Mit Anfang 30 habe ich mir dann gedacht: Das kann es noch nicht gewesen sein.“
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Ein Jahr lang war er anschließend im Vertrieb tätig, erledigte alles vom Büro aus. Und es wuchs der Gedanke: „Das kann ich in Siegen tun oder eben bei Wien.“ Zu diesem Zeitpunkt war er schon mit seiner Frau als „Virtuelle Assistenz“ im Online-Marketing nebenberuflich tätig. Mittlerweile ist daraus die Online-Marketing-Agentur „eco-minded“ entstanden. Vera Bartsch hat „Literatur, Kultur, Medien“ in Siegen studiert, arbeitete elf Jahre lang im Einzelhandel. Als ihr eigener Kiosk aufgrund der Corona-Pandemie nach zweieinhalb Jahren schließen musste, war das auch für Tim der Startschuss, aus dem Nebengewerbe ein Hauptgewerbe zu machen.
Das Ehepaar hat sich mit dem Podcast- und Content-Marketing bewusst auf etwas spezialisiert, was man auch von überall aus machen kann. Fünf Jahre lang arbeiteten Tim und Vera Bartsch als Virtuelle Assistenten in diesen Bereichen, gründeten schließlich ihre Agentur. „Wir wollten schon immer viel von der Welt sehen. Mit dem Kalender war aber immer der Feind mit unterwegs“, sagt Tim Bartsch. Im normalen Angestelltenverhältnis muss man nach dem Urlaub eben zu einem gewissen Zeitpunkt wieder auf der Arbeit sein. Große und lange Reisen sind da nur schwer möglich.
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Tim und Vera Bartsch entschieden sich daher dafür, alles hinter sich zu lassen. Rund eineinhalb Jahre brauchten sie für die Vorbereitungen. „Wir haben ganz normal am Rosterberg in einer 70-Quadratmeter-Wohnung gewohnt und die Zeit während Corona genutzt, um auszumisten“, erzählt Vera Bartsch. Als der Plan immer konkreter wurde, verkauften sie ihre Möbel, kündigten die Wohnung und packten nach und nach alles in ihren Bus. Er heißt genauso wie Vera Bartschs Opa. „So haben wir einen Opa mit dabei, der auf uns aufpasst.“
Minimalismus sei ein großes Thema, wenn man aus einer 70-Quadratmeter-Wohnung in einen zwölf Quadratmeter großen Bus zieht, betont Tim Bartsch. „Da merkt man erst einmal, wie wenig man braucht.“ Im Bus gibt’s ein Bad mit Dusche, Toilette, Waschbecken, eine Küchenzeile, eine Sitzecke, einen Schlafbereich, viel Stauraum und alles Mögliche an Technik, was man für das mobile Arbeiten benötigt. „Das ist wie eine kleine Eigentumswohnung“, so Vera Bartsch.
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Sie und ihr Mann unternahmen vor ihrer endgültigen Abreise aus Siegen auch immer wieder Camping-Trips mit ihrem Vorgänger-Bus „Hans“ (der Name von Tim Bartschs Opa). „Wir waren vier Jahre unterwegs, aber eben nicht Vollzeit“, so Tim Bartsch. Das half ihnen, einzuschätzen, was sie auf einer Fahrt ohne Ende wirklich brauchen würden.
Seit April 2022 sind sie nun unterwegs. Natürlich klappt nicht immer alles reibungslos. In Dänemark brachen Diebe in den Bus der Siegener ein, als sie nur zehn Minuten mit ihrem Hund Trixi Gassi gehen waren. „Es war auch schon die Wasserpumpe kaputt, da wurde uns dann eine neue nach Griechenland geschickt“, so Tim Bartsch. Bisher waren die beiden Siegener in Skandinavien, Österreich, Italien, Kroatien, Albanien und Griechenland. Zu Muttertag überraschten sie ihre Mütter im Siegerland mit einem Besuch. „Da hatten sie schon ein paar Tränchen in den Augen – wir haben uns ein Dreivierteljahr nicht gesehen.“
Tim und Vera Bartsch haben einander auf ihrer Reise, den Kontakt zu Familie und Freunden halten sie über Telefon, Sprachnachrichten und Video-Calls. „Wir legen auch jetzt schon Termine für die Zeitpunkte fest, an denen wir wieder in Siegen sind“, sagt Vera Bartsch. Danach geht’s wieder auf Tour. Beide machen aber auch klar: Sollte einmal etwas Schlimmes bei Familie und Freunden passieren, „fahren wir sofort nach Hause“. „Wir sind ja nicht aus der Welt, nur woanders“, unterstreicht Vera Bartsch.
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Ihre Reisen versuchen sie auch immer mal wieder mit der Arbeit zu verbinden. „Unser Büro kommt zu Kunden“, sagt Tim Bartsch. So werden auch die Geschäftskontakte persönlicher. Jedem, der ein ähnliches Leben wie das der Siegener anstrebt, rät er, sich erst einmal nebengewerblich auszuprobieren. „Da kann man klein anfangen und gucken, womit man Geld verdienen kann.“ Wer einen Weg für sich gefunden hat, sollte dann Raum für Raum in seiner Wohnung oder seinem Haus ausmisten, bevor er loszieht. „Was man nicht verkauft bekommt, verschenkt man.“
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Tim und Vera Bartsch haben nur noch wenig bei ihren Familien zurückgelassen: „Zum Beispiel Kochtöpfe, Hochzeitssachen und dicke Wintersachen“, sagt die 32-Jährige. Sie liebt Bücher, gerade deshalb war es schwer, sich dort nur auf das Nötigste zu beschränken. „Das, woran mein Herz hängt, steht bei meinen Eltern im Schrank. Zehn Stück habe ich dabei.“
Rund ein halbes Jahr im Voraus planen Vera und Tim Bartsch, wo sie dann sein wollen. „Den Sommer werden wir in Frankreich und Belgien verbringen“, so die Literaturwissenschaftlerin. Besonders angetan waren die beiden Marketing-Experten bisher von Albanien. „Da sind die Menschen so herzlich“, sagt Tim Bartsch. „Wir sehen auf unserer Reise nicht nur das, was das Reisebüro will, dass wir es sehen.“ Sie bekommen einen ganz anderen, ungefilterten Blick auf Land und Leute. Ihr Bus steht bei ihrem Trip immer wieder auf unterschiedlichen (kostenlosen) Stellplätzen, Campingplätzen oder in Bereichen, wo das frei stehen erlaubt bzw. geduldet wird.
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„Bis jetzt fühlen wir es nicht, sesshaft zu werden“, so Vera Bartsch. Für beide ist klar: Sie reisen so lange, bis sie keine Lust mehr darauf haben. Bislang genießen sie die neu gewonnene Freiheit einfach aus vollen Zügen: „Ich muss mich nicht mehr limitieren lassen“, so Tim Bartsch. Natürlich sei ihr Lebensstil nicht etwas für alle, ergänzt Vera Bartsch. Und ihr Mann betont: „Doch wir sind glücklich mit dem, was wir tun. Egal, was andere wollen und denken.“
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Über ihr Leben als Vollzeit-Reisende halten Tim und Vera Bartsch auch ihre Followerinnen und Follower auf YouTube und Instagram („remote.on.road“, ehemals: „crown.town.travellers“) auf dem Laufenden. Unter dem Titel „Remote on Road“ betreiben sie auch einen Podcast. Mehr Infos dazu gibt’s im Internet unter www.remote-on-road.de.
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