Siegen. Im Namen der Kunst und fürs Klima sägten sie einen Baum am Siegufer um. Der „Baumopferprozess“ vor dem Amtsgericht Siegen ist ziemliches „Trara“.
Jeweils 1000 Euro Strafe müssen Lena Hugger und Hagen Keller zahlen, 50 Tagessätze zu 20 Euro. Das Amtsgericht Siegen hat sie am Mittwoch, 14. Juni, der „gemeinschädlichen Sachbeschädigung“ und der Durchführung einer nicht angemeldeten Veranstaltung schuldig gesprochen. Sie hatten als Kunstkollektiv „Die Manege“ im August 2021 einen Baum am Siegufer gefällt, das „Antuung“ genannt und zur Kunstaktion erklärt.
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Sie wollten aufrütteln, auf die Klimakrise aufmerksam machen, eine Debatte in Gang setzen, begründeten sie das später. Und so begründen sie das auch vor Gericht, bekennen sich gleichzeitig schuldig im Sinne der Anklage. Zumindest was den Baum angeht. Amtsrichterin Dr. Hanne Grüttner verweist auf Recht und Gesetz: Kein Anliegen sei so wichtig, dass es die Beschädigung fremden Eigentums rechtfertigt.
Siegener Gerichtsgebäude strotzt nur so vor Justiz-Wachtmeistern
Die nunmehr Verurteilten müssen auch die Kosten des Verfahrens tragen. Das war, vorsichtig ausgedrückt, aufwendig, woran Hugger und Keller nicht ganz unschuldig waren. Sie hatten bekannt gegeben, den Prozess auch dafür zu nutzen, ihre Aktion weiterzuführen. Prompt verstärkte die Justiz die Sicherheitsmaßnahmen. Das kann dann umständlich werden. Vor Prozessbeginn sind Klimaaktivisten und Unterstützer vorm Gerichtsgebäude versammelt – alles angemeldet. Zwei Polizisten beobachten aus dem Schatten, wie Getränke verteilt, Reden gegen die Route 57 und das Wohngebiet Wellersberg gehalten werden. Zur Würdigung der Justiz hatten die Angeklagten ihre Unterstützer aufgerufen, in Abendgarderobe zu erscheinen. Dem sind einige nachgekommen. Weitere Menschen treffen ein, Unterstützer, Interessierte und auch Polizei, die Schlange am Einlass wird länger. Wolfgang Suttner ist da, der ehemalige Kreiskulturreferent findet immer noch, dass das keine Kunst gewesen sei. Ziel: Legitim. Methode: Falsch. Wut und Empörung überlagere das Anliegen.
Das Gerichtsgebäude strotzt nur so vor Justizpersonal, in jeder Ecke, auf jedem Treppenabsatz stehen Wachtmeister. Saal 165, sonst für die „großen“ Fälle, nicht für juristische Lappalien, ist abgeriegelt wie für einen Terrorprozess. Nach der Einlasskontrolle werden alle mehrmals durchsucht, gründlich. Alle paar Minuten tröpfelt eine frisch durchsuchte Person herein. Eine Frau soll das Kopftuch abnehmen. Wolfgang Suttner, heute Vorsitzender des Deutschen Kunstrats in Berlin, erzählt, dass die Sicherheitsvorkehrungen bei der Kanzlerin nicht so streng gewesen seien. Einer sagt: „Am Flughafen warnse nicht so gründlich.“ Eine Frau berichtet derweil, wie sie zwei Jahre lang beweisen musste, dass sie der Nachbarin nicht ins Auto gedotzt ist. Lena Hugger auf der Anklagebank darf ihr mitgebrachtes Wasser nicht trinken. Nach knapp anderthalb Stunden sitzen endlich die knapp 50 Menschen auf den Zuschauerbänken.
Amtsgericht Siegen weist alle Beweisanträge im „Baumopferprozess“ ab
Die Angeklagten machen „das Trara vor Gericht“ nicht, um zu provozieren, wie Hagen Keller in seinem letzten Wort noch mal betonen wird. Als es dann endlich losgeht, bleiben sie im Rahmen, nutzen die Möglichkeiten, die das Recht ihnen gibt, nicht mehr und nicht weniger. Mit Beweisanträgen zum Beispiel: Gutachter sollen vor Gericht bestätigen, dass die Klimakrise die Menschheit in ihrer Existenz bedroht; dass ziviler Ungehorsam ein geeignetes Mittel sei um Veränderungen anzustoßen, weil Proteste und Demonstrationen nicht reichen. Dass die Aktion etwas bewirkt hat, nämlich Diskussionen in Schulklassen oder im Bruchwerk-Theater; dass die Junge Union daraufhin angefangen hat, Bäume zu pflanzen. Alle Anträge lehnt die Richterin ab: Weil das Fakten sind, die aber keine Rolle für die rechtliche Wertung der Vorwürfe spielen. Aber Hugger und Keller sind losgeworden, was sie sagen wollten. Dass Angeklagte ihre Motive erklären und Hintergründe der Vorwürfe detailliert darlegen, dass es emotional wird, lässt die Strafprozessordnung problemlos zu.
Juristisch ist die Sache ohnehin recht klar. Sie wussten, dass sie etwas Problematisches machen, das die Polizei auf den Plan rufen würde, für das sie die Verantwortung übernehmen würden, hatte Hagen Keller gleich zu Beginn gesagt: „Wir haben was kaputt gemacht, das uns nicht gehört, und es war klar, dass niemand anderes für diesen Schaden bezahlen würde als wir.“
Die Siegener Justiz demonstriert Emotionslosigkeit, Nüchternheit
Die Justiz gibt sich nüchtern, emotionslos und alle Mühe, das zu demonstrieren: „Recht und Gesetz verpflichten uns, die Sache zu prüfen“, sagt Richterin Grüttner schließlich in der Urteilsbegründung. Das habe nichts Dogmatisches – der Sachverhalt sei klar, die Tat eingestanden. Es wurde fremdes Eigentum zerstört, stellt sie fest, knapp 7000 Euro Schaden verursacht, da tue es auch nichts zur Sache, dass die Angeklagten den Schaden bis auf den letzten Cent beglichen haben. So weit reiche Kunstfreiheit nicht, bei allen durchaus lobenswerten Motiven.
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Sie haben gut argumentiert, ihre Sache noch mal in der Öffentlichkeit des Gerichtssaals verteidigt, ihr Anliegen klar gemacht. Sie bitten um milde Strafe, wenn es denn sein muss, wie viele Kulturschaffende leben sie „am Existenzminimum“. Lena Hugger liest Kommentare und Leserbriefe vor, in denen sie geschmäht und beschimpft wurde. Als das Urteil verkündet ist, fallen sich Hugger und Keller grinsend in die Arme. Der Saal leert sich beträchtlich schneller, als er gefüllt wurde. Draußen warten die Unterstützer mit Häppchen.