Siegen. Den Prozess um die Fällung einer Silberweide am Siegufer („Antuung“) wollen Lena Hugger und Hagen Keller den Gerichtsprozess als Bühne nutzen.

Lena Hugger und das Kollektiv „Manege“ wollen den Gerichtsprozess um die „Antuung“ genannte Fällung einer Silberweide am Siegufer im Juli 2021 als Kunstaktion inszenieren. Das Kollektiv lädt in zumindest ungewohnter Rollenvertauschung die Öffentlichkeit zum Verfahrensauftakt am 27. Oktober ein. Im Stile einer Ausstellungseröffnung oder Theaterpremiere: Flyer, Werbetext und Hintergrund-Artikel einer Berliner Soziologin inklusive. Die Justiz gibt sich gelassen.

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Für tagelange empörte Aufschreie, vor allem digital, hatte die „Kunstaktion“ Ende Juli 2021 gesorgt. Nachdem die Gruppe zunächst recht unbeachtet durch Siegen gezogen war, „opferte“ sie unter Streicherklängen den Baum. Lena Hugger setzte die Kettensäge an, zurück blieb der Stumpf des im Zuge von „Siegen – Zu neuen Ufern“ gepflanzten Baums, ein „Manifest“ wurde verlesen. Ziel des Ganzen sei es gewesen, den Finger in die Wunde zu legen, das „Feigenblatt“ kleiner Bäume in durchdesignten Betonwelten zu enttarnen, begründete Hugger später die Aktion.

Die Stadt Siegen findet die Baumfällung nicht witzig – sie kostet viel Geld

Künstlerisch gedacht oder nicht: Die Stadt konnte der Aktion wenig abgewinnen, stellte Strafanzeige, auch mit Blick auf die durchaus beachtlichen Kosten, die Polizei deutete die Aktion in Kombination mit dem Bekenntnis als politische Aussage, der für politisch motivierte Vergehen zuständige Staatsschutz in Hagen übernahm. Der Arbeitskreis Siegerländer Künstler erkannte Lena Hugger wegen der Baumfällung einen Preis ab, im Bruchwerk-Theater fand eine Podiumsdiskussion statt und ziemlich lange ebbte die Diskussion darüber, ob die Aktion denn nun irgendwie Kunst war, nicht ab. Die meisten finden: Nein.

Die Justiz jedenfalls findet, dass – Kunst hin oder her – die Baumfällung ein Straftatbestand war. Die Staatsanwaltschaft erhebt im Mai Anklage wegen Sachbeschädigung gegen Lena Hugger, die Siegen da bereits verlassen hat und an die Kunsthochschule Düsseldorf gewechselt ist, sowie ihren Mitstreiter Hagen Keller.

Kollektiv „Manege“: Versuch der Inszenierung im Siegener Gerichtssaal

Den Gerichtstermin wollen die beiden Angeklagten nun in ihrem Sinne nutzen: Nicht die Justiz hat sie einbestellt, sondern hier veranstalten sie der „Antuung“ zweiter Teil, so der Inszenierungsversuch. Der Gerichtssaal werde von ihnen bespielt – die Kunstschaffenden machen die Regeln, nicht die Justiz als Hausherr, so die Botschaft. Um auf Nummer sicher zu gehen, bitten die Angeklagten die interessierte Öffentlichkeit, Anmeldungen „bei unserer Sachbearbeiterin“ (hinterlegt ist eine Telefonnummer des Gerichts) vorzunehmen, „aufgrund der begrenzten Kapazitäten“.

Ferner werden die handelnden Personen vorgestellt – Richterin, erster bis dritter Zeuge, die beiden Angeklagten, „begleitet durch jeweils zwei JustizbeamtInnen“, wie festgehalten ist, wenngleich Angeklagte in Prozessen vor dem Amtsgericht, das für vergleichsweise geringfügigere Vergehen zuständig ist, so gut wie nie vorgeführt oder auch vom Wachdienst begleitet werden. Eine Rolle in dieser Inszenierung zu spielen hätten demnach weiterhin Staatsanwaltschaft, Presse, Musizierende und Publikum.

Zweiter Akt im Siegener Baumfällungs-„Skandal“ – hat die Justiz Humor?

Der Wille, der Gerichtsverhandlung im Vorfeld den juristischen Ernst zu nehmen, ist erkennbar vorhanden, die Bühne soll in jedem Fall bereitet sein; sprich: Alle sollen kommen, gewissermaßen um den Skandal-Prozess nach der Skandal-Baumfällung auf keinen Fall zu verpassen. „Das vergangene Jahr bot uns viel Zeit, um uns mit den Handlungs- und Funktionsmechanismen des deutschen Justizsystems vertraut zu machen“, kündigt die Manege an – man wolle den Gerichtsprozess selbst zum „integralen Gegenstand der künstlerischen Arbeit machen“ und diesen Raum „performativ nutzen“.

Fraglich ist, ob es so weit kommt. Und was überhaupt. Die Justiz gibt sich betont entspannt. Die Flyer seien dem Gericht bekannt, so eine Sprecherin – demnach seien sie auch im Gerichtsgebäude verteilt worden. Es gebe wie immer die üblichen Sicherungs- und Ordnungsmaßnahmen, die Sitzungshoheit liege bei der Richterin. „Es wird sichergestellt, dass ein normaler Geschäftsbetrieb stattfinden kann“, so die Justiz-Sprecherin weiter und verweist auf die Sicherheitspforte und -kontrollen am Einlass, den Wachdienst. Dazu könnten im Zweifel Ordnungsmaßnahmen ergriffen werden.

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Erfahrungsgemäß ist das Recht an sich ziemlich frei von Humor und künstlerischen Ambitionen. Vermutlich versteht die Justiz auch bei Performances im Gerichtssaal wenig Spaß. Kaum anzunehmen, dass die Richterin tatenlos dabei zuschaut, sollte Lena Hugger im Gericht den Zeugentisch zersägen. Aber die Aufmerksamkeit („Sie wird doch nicht….?!“) ist der Manege schonmal einigermaßen sicher – auch dann, wenn Hugger und Keller einfach nur genauso still und reumütig im Gericht sitzen, wie die meisten anderen Angeklagten auch. Und womöglich macht sich eine Vorstrafe ja auch ganz gut im künstlerischen Lebenslauf...