Siegen. Lena Hugger und Hagen Keller haben einen Baum am Siegufer in Siegen gefällt. Nun stehen sie vor Gericht: „Möchten die Verantwortung übernehmen“.
Die gefällte Silberweide haben sie in der Zwischenzeit fast abbezahlt. Wie teuer so ein Baum tatsächlich ist, hat Lena Hugger und Hagen Keller dann doch etwas überrascht. Bevor sie im Sommer 2021 die Säge am Siegufer ansetzten, hatten sie Informationen eingeholt: ein paar hundert Euro. Die Stadt Siegen hatte eine fünfstellige Summe genannt, am Ende seiend es rund 6600 Euro geworden.
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„Es war für uns von Beginn an klar, dass das nicht die Steuerzahler übernehmen sollen“, sagt Lena Hugger. „Wir möchten die Verantwortung übernehmen“, betont Hagen Keller, auch finanziell, „mit unserem eigenen, erarbeiteten Geld.“ 700 Euro sind durch Spenden hereingekommen. Am Donnerstag beginnt in Siegen die Gerichtsverhandlung, in der sich die beiden juristisch verantworten müssen – und wollen.
Scharfe Ablehnung in Siegener Öffentlichkeit an Baumfällung auch ein Erfolg?
Nach der „Antuung“ genannten Baumfällung kommt der „Baumopferprozess“, als zweiter Teil einer Kunstaktion, die größer geworden ist als die Aktion selbst, was auch genau so geplant war. Schon am Begriff „Kunst“ hatte sich die empörte Debatte entzündet – ist das überhaupt Kunst? „Das steht bei Kunst immer in Frage“, sagt Hagen Keller – sie wird dazu, indem sie dazu erklärt wird. Alles kann Kunst sein, muss das aber nicht für alle sein. Auf die Fällung folgte Berichterstattung, die Debatte, jetzt der Prozess, wieder Berichterstattung.
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Auch die Ablehnung sei ein Erfolg, sagt Lena Hugger: „Es ist vielen nicht egal gewesen.“ Viele hätten gefragt, ob sie für ihr Anliegen, die Klimakatastrophe zum Thema zu machen, nicht einen Baum hätten pflanzen können. „Das hätte diesen Effekt nicht erzeugt.“ Der Klimawandel und seine Auswirkungen gerieten immer wieder in Vergessenheit. „Unsere Aktion nicht.“ In der bildenden Kunst werde der Klimawandel breit beachtet, bleibt aber in dieser „Blase“, wenn man so will. Die Gesellschaft sollte darüber reden, über den Umweg Baumfällung, mit allen Folgewirkungen. Das ermögliche auch der Prozess.
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Vor allem Lena Hugger bekommt Hass ab: Fantasien über Kettensägen-Zerstückelung
Die Debatte hatte sich sehr schnell auf die Person Lena Huggers fokussiert, die ja seinerzeit auch in Siegen studierte (Hagen Keller lebt in Düsseldorf). Mit den Anfeindungen, auch Hass habe sie leben müssen, mit E-Mails, in denen fantasiert wurde, sie mit einer Kettensäge zu zerteilen. „Das lässt mich natürlich nicht kalt, aber ich habe das überwunden“, sagt sie. „Dieser Hass ist genauso Teil dieser Arbeit“ – und zeige irgendwo auch die Effektivität der Aktion. Zumindest habe sie dazu geführt, dass Menschen emotional auf die Fällung eines Baumes reagierten. Und die Junge Union habe als Reaktion auf das Umsägen der Silberweide Bäume gepflanzt, was sie sonst womöglich auch nicht getan hätte, merkt Hugger grinsend an.
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Andererseits habe es auch ein hohes Maß an Bereitschaft gegeben, zuzuhören, zu diskutieren. „Auf die Frage ‘Warum machen die das, wenn sie doch das Gegenteil wollen’ gab es viele Gelegenheiten zu sprechen, zu erklären und auch zu verstehen“, sagt Hugger. Viele hätten die Aktion als solche danach immer noch abgelehnt, den Zweck aber zumindest nachvollziehen können. Im Unterschied zum Aktivismus, der klare Forderungen stellt, „werfen wir eine Frage auf, die wir selber nicht beantworten können“, sagt Hagen Keller. „Und wir ertragen das Unverständnis.“
Gerichtsprozess in Siegen zur Baumfällung nicht ins Lächerliche ziehen
Das soll auch der Gerichtsprozess bewirken. Hugger und Keller wollen als Kollektiv „Manege“ das Gericht nicht ins Lächerliche ziehen. Mit ihrer Ankündigung hätten sie wohl eine gewisse Unruhe im Justizgebäude verursacht, es seien Maßnahmen ergriffen worden, die sonst womöglich eher gewalttätigen Straftätern vorbehalten sind als zwei jungen Menschen, die im schlimmsten Fall eine Geldstrafe erwarten dürfte. „Als ob wir die Richterin opfern würden oder so.“
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Strafrecht und Kunst funktionieren anders, fast schon gegensätzlich, und das reizt sie, erklären die beiden. Seit einem Jahr bereiten sie ihre Verteidigung vor, haben sich viele Gerichtsprozesse angeschaut und erarbeitet, welche Möglichkeiten sie für eine künstlerische Performance haben, ohne die Regeln des Gerichts zu verletzen oder zu verunglimpfen. Das wollen sie nämlich ausdrücklich auch nicht: „Wir sind keine Anarchisten. Wir nehmen diese Institution ernst“, betont Hagen Keller. In Gerichtssälen würden viele hochkontroverse Themen und Probleme von hohem öffentlichen Interesse verhandelt.
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Öffentlichkeit nutzen: Baumopferprozess in größeren Gerichtssaal in Siegen verlegt
Womit sich die Frage stellt: Wäre es ohne die öffentlich geführte Debatte, die Empörung, den Hass, überhaupt zu einem Gerichtsprozess gekommen? Der Schaden ist bezahlt, ein neuer Baum gepflanzt – Anlass für ein Verfahren? Wenn eine Schuld da ist, soll der Prozess das zeigen, dem wollen sie sich stellen. „Wir haben etwas gemacht, das fraglich ist. Wir werden da sein und Rede und Antwort stehen“, bekräftigt Hagen Keller. Es werde eine Gerichtsverhandlung sein, aber es werde auch noch etwas anderes sein, „wir machen den Prozess auch zu etwas Ästhetischem, mit einem Bedeutungsmehrwert.“
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Zu Anfang hätten sie sich alles mögliche ausgedacht, „wir wollen aber niemanden verarschen, wir nehmen das sehr ernst.“ Das Verfahren werde nicht übermäßig extrovertiert, „aber auch nicht langweilig.“ Die Öffentlichkeit ist eingeladen, die Justiz hat das Verfahren bereits in einen größeren Gerichtssaal verlegt. Und um 8 Uhr am Donnerstag haben Studierende, die sich nach eigenen Angaben „Fridays For Future und Co verbunden fühlen“ eine Kundgebung „Klimanotstand? Rodungsstopp!“ vor dem Landgericht Siegen angekündigt: Die Gruppe möchte damit auf das massive Waldsterben bei gleichzeitig weiterhin geplanten Rodungsmaßnahmen aufmerksam machen, „und die Menge schweigt?“. „Wir können den Unmut über die Aktionsform der Antuung verstehen, wollen aber nicht, dass der Anlass in Vergessenheit gerät“, heißt es in der Ankündigung.