Siegen. Im Siegener Bruchwerk wird über Lena Huggers Baumfällung am Sieg-Ufer diskutiert. Schaden liegt laut Stadt bei 20.000 Euro.
„Was kann Kunst, was darf Kunst und - vielleicht noch viel grundsätzlicher - was ist Kunst und was ist sie nicht?“ Das sind die Fragen, über die am Donnerstag, 23. September, im Bruchwerk in Siegen diskutiert werden soll, ausgelöst durch die „Baumfäll-Aktion“ im Sommer von Lena Hugger und Hagen Keller, sowie den heftigen Reaktionen darauf.
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Gut 90 Minuten dauert der Abend, bei dem sich vornehmlich ein einsamer Kritiker mit einer ganzen Gruppe von Unterstützern auseinandersetzt. Ein richtiges Ergebnis gibt es hinterher nicht. Aber immerhin eine weitgehend faire Diskussionskultur. Der Kritiker ist Wolfgang Suttner, der sich bereits direkt nach dem „Happening“ zu Wort gemeldet hatte und seine Positionen nun gegen viel Opposition unterstreicht.
Er muss eine Menge Gelächter und Häme über sich ergehen lassen, beklagt sich über die mitgebrachten Claqueure, kann sich schlussendlich aber doch durchaus behaupten in einer leicht aufgeheizten Stimmung, findet sogar Gemeinsamkeiten mit Hagen Keller, der ihm gegenüber sitzt. Für den früheren Kulturdezernenten des Kreises geht es gar nicht, kollektives Eigentum der Bürger für eine Kunstaktion zu zerstören.
Siegen: Wolfgang Suttner hält Aktion für misslungen
Suttner hält die Aktion, deren Absichten er im Nachhinein besser verstehe, für insgesamt misslungen. Weil die Menschen sie nicht verstanden hätten, „und wir jetzt schon eine halbe Stunde darüber reden, was der Sinn gewesen ist“. Tatsächlich hatte Moderator Falk Rößler den Künstler gebeten, noch einmal die Hintergründe jenes „Stadtrundganges“ zu erläutern, der im von Musik begleiteten Fällen des Baumes gipfelte.
„Das tut jetzt noch weh, das zu sehen und das Gejohle zu hören“, merkt Wolfgang Suttner nach dem Einspielen eines TV-Beitrages an und erntet erneut höhnisches Gelächter. Er gehe doch auch nicht in fremde Gärten, um dort private Bäume abzusägen oder Tiere zu erstechen, schüttelt er den Kopf. Was wiederum Reaktionen im Publikum erzeugt, das überwiegend aus Anhängern und Freunden der beiden Künstler besteht. Allerdings ist Siegens stellvertretender Bürgermeister Jens Kamieth dabei, und Jens von Heyden, der aktuelle Leiter des Kultur!Büro,s des Kreises.
Letzterer wird später die Frage nach der Gewalt in der Aktion stellen, wie weit Kunst in dieser Hinsicht überhaupt gehen darf. Hagen Keller macht deutlich, dass er im Absägen eines Baumes keine Gewalt gegen ein Lebewesen sieht. „da halten wir uns ganz an den Wortlaut des Gesetzes. Danach ist ein Baum ein Gegenstand“. Das Gejohle sei allerdings nur von jener Gruppe Teilnehmer gekommen, die im Vorfeld Alkohol bekommen hätte. Die anderen seien still „und eher entgeistert“ gewesen.
Größere Entwicklung nicht auf Siegen beschränkt
Die dritte offizielle Diskutantin, Marie Rosenkranz, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berliner Humboldt-Universität, die zum Verhältnis von Kunst und Politik forscht und zum Thema „Künstlerischer Aktivismus in Europa“ promoviert, ordnet die Aktion in „eine größere Entwicklung“ ein. Diese sei nicht auf Siegen beschränkt und Resultat „des wachsenden Drucks von Rechts auf die Kunst“, der einen stärkeren und emotionaleren Aktivismus erforderlich mache.
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Die Aktion der Künstler könne naturgemäß niemals Gewalt sein, „weil zur Gewalt immer Macht gehört“. Künstler übten aber keine Macht aus. Für sie sei vielmehr die Reaktion Gewalt, die Kritik und die Beschimpfungen. Natürlich gehe es gar nicht, was zum Teil gegen Lena Hugger in den sozialen Medien gelaufen sei, stellt Wolfgang Suttner an dieser Stelle fest und bedauert erneut, dass die eigentlichen Ziele der Aktion, auf die Umweltzerstörung und den Klimawandel aufmerksam machen zu wollen, mehr oder weniger untergegangen seien.
Aus dem Publikum gibt es wiederum heftiges Gelächter, als der 70-Jährige die Behauptung kontert, Wirtschaftswald sei Kollektiveigentum. Dieser werde für die Zwecke der Verwertung angepflanzt und „wie Kartoffeln geerntet“. Eine Zuhörerin versteht die Aufregung über einen gefällten Baum nicht, werde doch auch für jede Bildhauerarbeit aus Holz so etwas nötig. Eine andere moniert die Aussage Suttners, es sei überflüssig, eine halbe Stunde über die Aktion zu sprechen. Sie selbst nehme sich oft viel mehr Zeit, über ein Kunstwerk nachzudenken.
Lena Hugger auch im Siegener Bruchwerk anwesend
Die vielgescholtene Lena Hugger ist anwesend, hält sich allerdings ziemlich zurück, buchstäblich im Schatten des sehr spärlich beleuchteten Raums. Sie übernimmt allerdings die Verantwortung für das Absägen und auch dafür, „dass ich danach nach Portugal geflogen bin“. Es sei typisch für die patriarchalische und misogyne Gesellschaft, dass „nur der weiblich gelesene Teil des Künstlerkollektivs“ beleidigt und beschimpft worden sei, ruft eine dritte Zuhörerin.
Vor allem Bürgermeister Steffen Mues wird aus dem Publikum heftig gescholten. Dieser habe eine peinliche Figur abgegeben, die Kinder seiner Stadt im Stich gelassen und mit seinen Einlassungen den hasserfüllten Mob angeheizt. Interessanterweise sieht Hagen Keller die Dinge deutlich gelassener. „Ich hatte die Idee zu der Aktion“, sagt der 29-jährige Künstler, der sich nach der „Antuung“ gegen den geopferten Baum in die Krone setzte und eine Erklärung verlas, die wiederum Lena Hugger verfasst hatte. Weshalb sich Keller zu deren Inhalt nicht äußern will, den er zum Teil amüsant finde. Dass es eine Straftat war, sei allen immer klar gewesen. Den Schaden beziffert die Stadt nach einer AfD-Anfrage auf 20.000 Euro. Sie beabsichtige ihn, „sobald dieser endgültig bezifferbar ist, gegenüber den Verantwortlichen geltend zu machen“.
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Weshalb sie auch das Auftreten der Polizei und des Ordnungsamtes erwartet und sich direkt gestellt hätten. Er wolle Kunst nicht erklären oder verständlich machen. Kunst müsse nicht immer erklärbar sein, solle aus seiner Sicht Menschen ratlos zurücklassen. Vielleicht sei sie angesichts des großen Klimaproblens gar überflüssiger Luxus. „Ich glaube nicht, dass wir wirklich genau verstehen, was wir machen“, sagt Keller und sieht seine Aufgabe darin, die Reaktionen der Menschen auszuhalten: „Sie haben sich so verhalten, wie ich es erwartet habe!“
Siegener Künstler Hagen Keller bereit, sich Bürgern zu stellen
Keller möchte Kunst viel mehr in Aktionen mit anonymen Gruppen inszenieren, was jedoch mit den Vorstellungen weiter Kreise kollidiere, Marken und Stars zu kreieren. Wolfgang Suttner bedauert, dass eine wirkliche Konfrontation mit den Kritikern aufgrund der Einseitigkeit des Publikums nicht möglich geworden sei.
Und bekommt Zustimmung. Er habe die Entscheidung von „Bruchwerk“ bedauert, diesen Rahmen zu wählen, entgegnet Hagen Keller. Die Aktion sei bewusst öffentlich und am hellen Tage erfolgt. Er sei als Künstler auch bereit, sich den Bürgern zu stellen und deren Reaktionen zu ertragen, wiederholt er noch einmal. Er habe sich eine offene Debatte „mitten auf der Straße“ gewünscht.
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