Siegen. Karstadt in Siegen wird geschlossen – für viele unvorstellbar. Experten sehen darin aber auch eine Chance: Als möglicher Gegenpol zur Unterstadt.

Am Tag nach der Hiobsbotschaft gibt es nur ein Thema in Siegens letztem Kaufhaus: Das Ende. „Wie geht es jetzt weiter?“ – diese oder eine ähnliche Frage stellen alle, die das Karstadt-Gebäude an der Kölner Straße am Dienstag, 14. März, betreten. Kundschaft und Personal kennen sich, das wird deutlich, die Anteilnahme ist groß. „Irgendeine Tür wird sich schon öffnen“, sagt ein Mitarbeiter immer wieder auf die immer gleiche Frage.

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Andere schwanken zwischen Resignation und Zynismus. Beschäftigte stehen in Grüppchen zusammen und reden über die Betriebsversammlung am Montag, als das Kaufhaus wegen der Veranstaltung geschlossen blieb – irgendwie auch bezeichnend –, bei der sie von der Schließung erfuhren. Sie sind immer noch sauer und traurig; über Jahre haben die teils langgedienten Karstadt-Beschäftigten in Siegen sich immer wieder reingehängt, immer wieder schwebte das Damoklesschwert der Schließung über ihnen, immer wieder konnte die abgewendet werden.

Uni Siegen beteiligt sich nicht an Spekulationen über Karstadt-Gebäude

Nicht zuletzt dank der Uni, für die das Gebäude gründlich umgebaut wurde und die neue, ungewöhnliche Konzepte und Nutzungen versprach. Mehr Uni gleich mehr Menschen in der Oberstadt und auch im Karstadt war die Formel, die nach Zukunftssicherheit klang, nach Wandel und nach Fortbestand. Das neue Kaufhaus-Konzept des insolventen Galeria-Karstadt-Kaufhof-Konzerns (GKK) konnten sich viele gut vorstellen an diesem Standort, dem Scharnier zwischen Ober- und Unterstadt, zwischen Universität und Fußgängerzone. Aus der Traum.

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Stattdessen: Ernüchterung, großes Bedauern, Unverständnis. Umgehend wird die Uni ins Spiel gebracht wenn es um die Nutzung der bald leerstehenden anderen Gebäudehälfte geht. Kanzler Ulf Richter weist das zurück: An Spekulationen über die Zukunft des Gebäudes werde man sich nicht beteiligen. Man bedaure sehr, dass GKK den Standort Siegen schließt, vor allem mit Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, betont der Hochschul-Verwaltungschef. „Für Siegen war Karstadt immer ein Fixpunkt in der Innenstadt, die Verbindung eines Warenhauses und einer Universität mit dem Hörsaalzentrum im Dachgeschoss ist bundesweit einzigartig.“

So schlimm das Aus von Karstadt in Siegen ist: Darin liegen auch Chancen

Viele Menschen verbinden mit Karstadt in Siegen ganz besondere Erinnerungen. „Ich habe mir dort mit meinem Vater mein erstes Zelt gekauft“, erzählt Thiemo Brinkmann, erster Vorsitzender der Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) Oberstadt. Dass das Kaufhaus irgendwann nicht mehr da sein wird, war für viele unvorstellbar. „Wir sind kalt erwischt worden“, sagt Brinkmann über die Schließung. „Wir fühlen mit den Mitarbeitern.“ Darüber hinaus sei es auch für das Stadtbild schade, dass das Kaufhaus schließe.

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Bei allem Mitgefühl mit der Belegschaft könne der Schlussstrich aber auch neue Chancen, neue Perspektiven für die Stadtentwicklung bedeuten. Die Oberstadt könne sich nach dem „verdammt langen Ende“ von Karstadt nun neu positionieren, sagt Thiemo Brinkmann. Mit einem „tollen Konzept“ könne man die drei Ebenen des Kaufhauses neu beleben. Das Bruchwerk-Theater suche zum Beispiel eine neue Bleibe. Vorstellbar sei, die Fläche auch für kulturelle und soziale Zwecke zu nutzten. Vielleicht lasse sich sogar ein „Gegenpol zur City-Galerie mit lokalem Charakter“ mit unterschiedlichen Händlern im Gebäude errichten. So gäbe es „im Herzen von Siegen wieder einen neuen Mittelpunkt“.

Auch wenn Karstadt nicht mehr da ist: Das Parkhaus ist für Siegen wichtig

Denn gerade in der Oberstadt gebe es generell wenig große Einzelhandelsflächen: Ein Manko“, findet Thiemo Brinkmann. Auch „Feinbier unterwegs“ habe zum Beispiel lange nach einer passenden Location gesucht – mittlerweile befindet sich das Outdoor-Geschäft im Krönchen-Center. Die jetzige Karstadt-Filiale könnte für andere Händler attraktiv sein, so Thiemo Brinkmann. Ein Händler hätte ihm gegenüber bereits Interesse geäußert. Wichtig sei, dass Parkhaus weiter zu erhalten. „Da muss man sich schnell etwas überlegen.“ Gerade rund ums Kölner Tor sei das ein oft genutzter Parkraum.

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„Ein ziemlicher Schlag“, sagt auch Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen, gerade für die Beschäftigten: „Schlimm!“ „Die Schließung ist nicht positiv“, betont er, die Perspektive, die daraus erwachse, sei aber „nicht allein negativ“, das sieht auch die IHK so. Siegen befinde sich im Transformationsprozess, der über die nächsten 30 bis 50 Jahre bestimme. Keine deutsche Stadt habe derart gute Chancen, aus der Schließung etwas Positives mitzunehmen, betont Gräbener. „Die Stadt pulsiert“ – gerade auch durch den Umzug der Uni ins Zentrum. Außerdem sei das Gebäude Teil einer „regionalen Eigentümerstruktur“. Sprich: Ein gelungener Neustart ist in ihrem Interesse – anders als bei Eigentümern, die irgendwo in Deutschland sitzen. „Das Ganze ist schlimm, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken“, sagt Klaus Gräbener.

NRW-Handelsverband: Handelsstandort Siegen durch Karstadt-Aus geschwächt

Karina Brühmann, Sprecherin des NRW-Handelsverbands, Region Südwestfalen, findet das Karstadt-Aus „sehr bedauerlich“. Der Handelsstandort Siegen werde geschwächt, ein Sortiment mit solcher Vielfalt (Schmuck, Kleidung, Haushaltswaren,...) gebe es in der Stadt sonst nirgends unter einem Dach. Das Karstadt-Ende habe sich aber bereits abgezeichnet, als Standort und Sortiment verkleinert wurden. Die Stadt habe es richtig gemacht, als die Uni ins Gebäude zog, betont Brühmann: „Durch die Studierenden kommt viel mehr Frequenz in die Innenstadt.“ Das habe aber anscheinend nicht gereicht.

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Für die 60 Beschäftigten, die in Siegen ihren Job verlieren, sieht sie gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt: „Dass sie auch im Handel bleiben, wäre sehr wünschenswert.“

Am Montagnachmittag verkündete die GALERIA Karstadt Kaufhof GmbH, dass sie die Schließung der Siegener Filiale zum 30.06.2023 plant. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) Siegen-Wittgenstein zeigt sich darüber bestürzt. „Gerade der Standort hier in Siegen schien immer noch im Verhältnis zu vielen anderen Filialen stabil zu sein. Die Schließung ist nun ein Schlag ins Gesicht“, so der Kreisvorsitzende Julian Siebel. Vor allem für die Beschäftigten erklärt Siebel die „uneingeschränkte Solidarität der CDA“. Egal wie, der Verband stünde bereit, um für einen möglichst sozial verträglichen Abschluss zu kämpfen. „Die Mitarbeiter haben in der Vergangenheit auf Geld verzichtet, um Ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Ich erwarte, dass eine Regelung gefunden wird, damit dieser Verzicht nachträglich kompensiert wird!“Auch die Auswirkungen für die Siegener Oberstadt könnten jetzt noch nicht genau erfasst werden. „Das Einkaufsverhalten mag sich geändert haben, aber dennoch. Der Standort war nach wie vor mit seinem umfassenden Angebot von Mode bis Hausrat oft ein Grund, um in die Oberstadt zu fahren. Das ist schon insgesamt ein schwerer Schlag“. Besonders verärgert zeigt sich Siebel über den Zeitpunkt der Schließung. „Nach Gesprächen, unter anderem auch mit Verdi, erschließt sich mir nicht, warum Siegen am 30.6. geschlossen wird.“ Auch wenn es letztendlich nur ein kleiner Trost wäre, hofft die CDA Siegen-Wittgenstein auf einen Aufschub zum 31.1.2024. „Dann hätten die Betroffenen noch etwas Zeit gewonnen. Das muss das Mindeste sein.“ Die CDA wolle sich mit den Abgeordneten der Region und den anderen Parteien abstimmen, um einen möglichst sozial verträglichen Abschluss zu finden. „Hier müssen alle zusammen dafür kämpfen, dass wir die beste Lösung erwirken. Die CDA lädt daher alle Arbeitnehmervertreter, die betroffen seien oder sich engagieren wollten zu einem Austausch ein. Ort und Zeit können wir noch bestimmen, aber mein Verband und ich sind offen dafür, um eine möglichst breite Front zu haben“, so Siebel.