Siegen. Einzelhandels-Experten Prof. Hanna Schramm-Klein sieht einige Hürden: Ob das neue Karstadt-Konzept in Siegen funktionieren würde – kritisch.

Stärker auf lokale Bedürfnisse ausrichten, diverse Dienstleistungen einbinden: Der insolvente Kaufhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) seine Filialen neu ausrichten. In Siegen könnte das schwierig werden, befürchtet Prof. Dr. Hanna Schramm-Klein, Lehrstuhl für Marketing an der Universität Siegen und Expertin für das Thema Einzelhandel.

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„Ich habe große Bedenken, dass das funktioniert“, sagt Hanna Schramm-Klein im Hinblick auf den Standort Siegen über das Restrukturierungskonzept – Galeria hatte dieses am 1. Februar in einer Pressemitteilung skizziert. Das Unternehmen darf sich nach einer Entscheidung des Amtsgerichts Essen innerhalb eines Eigenverwaltungsverfahrens eigenverantwortlich im laufenden Geschäftsbetrieb neu aufstellen, anstatt – wie bei einem regulären Insolvenzverfahren – die Zügel an einen Verwalter abzugeben. Kernpunkte des Plans: „Eine kundenfreundliche Verzahnung von Mobile-, Online- und Filialkaufmöglichkeiten“ sowie die Integration „weiterer kundenrelevanter Services wie Versicherungen, Schneidereien, Reinigungen oder Bürger-Services“, heißt es in den Ausführungen.

Karstadt an der Kölner Straße ist eine der zugkräftigsten Einzelhandelsadressen in der Siegener Oberstadt. Die Filiale hat auch von daher eine wichtige Funktion für diesen Teil der Fußgängerzone.
Karstadt an der Kölner Straße ist eine der zugkräftigsten Einzelhandelsadressen in der Siegener Oberstadt. Die Filiale hat auch von daher eine wichtige Funktion für diesen Teil der Fußgängerzone. © WP | Hendrik Schulz

Karstadt Siegen: Kaufhaus mit lokaler Ausrichtung erfordert „guten Kaufmann vor Ort“

Für eine quasi maßgerfertige lokale Lösung aber „brauche ich einen guten Kaufmann vor Ort, der genau guckt, was hier läuft und was nicht“, betont Hanna Schramm-Klein. Und der Einsatz solcher Fachleute, die individuelle Modelle für einzelne Standorte entwickeln, sei teuer. Selbst wenn dies gelinge und gut umgesetzt würde, „muss ich es auch erst einmal wieder hinkriegen, dass die Kundinnen und Kunden in den Laden kommen“. Da gerade seit Corona die Publikumsströme in Innenstädten insgesamt nachgelassen hätten, sei dies ein zusätzliches Problem.

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In der Krise stecken Kaufhäuser schon länger. In den vergangenen 20 Jahren gaben immer mehr Ketten ihre Häuser in deutschen Innenstädten auf, 2019 fusionierten mit Galeria Kaufhof und Karstadt zwei Riesen der Branche, die jahrzehntelang in Konkurrenz standen. „Seit den 1980ern, sogar schon früher, heißt es, dass das Konzept ,Kaufhaus’ ungünstig ist“, erläutert Hanna Schramm-Klein.

Karstadt Siegen: Kaufhäuser waren einst revolutionär. Jetzt sind sie auf Sinnsuche

Die Anfänge der Kaufhaus-Ära, die eine prägende Rolle für die Fußgängerzonen des 20. Jahrhunderts spielte, liegen im 19. Jahrhundert, Kaufhof und Karstadt wurden 1879 beziehungsweise 1881 gegründet. „Das Tolle war: Es gab alles unter einem Dach“, beschreibt die Expertin die Grundidee. Weil das in dieser Form regelrecht revolutionär war, war es enorm attraktiv. Kaufhäuser boten über das Warenangebot hinaus ein Erlebnis, da sie neu waren, Warenvielfalt illustrierten und oft viel Personal für die Bedienung der Kundschaft einsetzten. Inzwischen aber sei „das Konzept Kaufhaus runtergerockt“, wie Hanna Schramm-Klein es auf den Punkt bringt. Das hat mit dem veränderten Kaufverhalten aufgrund des Online-Shoppings zu tun, aber auch damit, „dass das Profil, wofür das Warenhaus einmal stand, weg ist“. Es gebe inzwischen eine „Suche nach dem Sinn, den das Warenhaus eigentlich hat“.

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Unternehmen, so sähen es Ansätze aus der Betriebswirtschaftlehre vor, müssten sich „klar positionieren – entweder kostenorientiert oder qualitätsorientiert“, erklärt Hanna Schramm-Klein. Der Großteil der Kaufhäuser jedoch bewege sich irgendwo dazwischen. Das sei ein Problem, weil in diesem Mittelfeld „das Besondere fehle“. Es gebe natürlich die Metropolen-Warenhäuser, die (auch) hochpreisige und exklusive Marken führen und damit das Luxussegment bedienen. Prominente Beispiele sind das KaDeWe in Berlin oder Harrods in London, die oft sogar als Sehenswürdigkeiten gelistet werden. Die gut sortierten Kaufhäuser in Großstädten hätten eine überregionale Anziehungskraft – und das zusätzlich zur hohen Publikumsfrequenz in den urbanen Fußgängerzonen, die auch noch reichlich Laufkundschaft ins Haus spült. In mittleren und kleineren Städten sei beides aber für gewöhnlich nicht gegeben, sagt Hanna Schramm-Klein. Dort würden Kaufhäuser oft eher auf Standardware setzen, welche Menschen inzwischen aber gern online kaufen. Letzteres gelte, sofern man nicht ausgerechnet sofort etwas brauche, auch für Alltagsartikel – wobei das Internet die Preise der Kaufhäuser in diesem Segment häufig unterbiete und den Verbraucherinnen und Verbrauchern über Abo-Modelle mittlerweile auch die Notwendigkeit abnehme, sich selbstständig um Nachschub kümmern zu müssen.

Siegen: Könnte das neue Konzept für Karstadt bei den Menschen in Siegen punkten?

Dass Einzelhandelsketten ihre Filialen in verschiedene Kategorien einteilen und diese auf verschiedene Typen von Standorten verteilen, ist schon lange gängige Praxis. Großstädte bekommen in der Regel die umfangreicheren und aufregenderen Sortimente. Für Warenhäuser dieser Kategorie sieht Hanna Schramm-Klein auch durchaus eine Zukunft, „die stehen nicht in der Kritik“. Am anderen Ende der Skala stünden allerdings schlimmstenfalls „Ramschhäuser“ – wobei die Marketing-Expertin das ausdrücklich nicht auf Karstadt in Siegen bezieht, sondern mit der Formulierung das allgemeine Spektrum deutlich macht. Mit einer solchen Differenzierung schafften Unternehmen „eine Zweiklassengesellschaft der Kunden“, sagt Hanna Schramm-Klein. „Auch das halte ich für gefährlich.“

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Mit dem neuen Galeria-Konzept sei ein Widerspruch verbunden, merkt die Lehrstuhlinhaberin an. Laut Ankündigung von Galeria sollen die Filialen künftig in fünf Vertriebsregionen unterteilt, die Strukturen so effizienter werden. Doch die lokale Ausrichtung mit lokalen Lösungen stehe dem eher entgegen. Allerdings zeige sich in dem Konzept auch eine Veränderung des Geschäftsmodells. Würden Flächen beispielsweise für Versicherungen, Reinigungen oder ein städtisches Bürgerbüro zur Verfügung gestellt, würden Erlöse nicht über Warenverkauf, sondern über Miete generiert. Die Frage bleibe nur, ob eine solche Anlaufstelle in der Kölner Straße von den Menschen in Siegen angenommen werde.

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