Siegen. Die Arbeitsbelastung in der Pflege macht viele Fachkräfte krank, es kommt zu Engpässen. Was berichten Betroffene – und was sagen Arbeitgeber?

Die schlimmen Zeiten von Corona und Grippewelle sind vorbei, trotzdem ist die Ausfallquote unter den nichtärztlichen Krankenhausbeschäftigten hoch, die Personalsituation angespannt. Das berichten Pflegekräfte aus dem Siegerland; immer mehr würden sich aufgrund psychischer Erschöpfung arbeitsunfähig melden, knapp ein Drittel der Belegschaften sei in manchen Häusern permanent nicht da.

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Das habe sicher auch mit dem aus ihrer Sicht äußerst unfairen Corona-Bonus zu tun, der nur an einen begrenzten Teil der Pflegekräfte ausgezahlt wurde und der zu Verwerfungen innerhalb der Belegschaften geführt habe: „Sie holen sich das Geld, indem sie zuhause bleiben, auf dem Buckel derer, die den Bonus bekommen haben“, sagt einer. Viele würden ihren Stellenumfang bereits reduzieren, weil sie immer weniger zu 100 Prozent arbeiten können – mitunter bedeutet das zehn Tage Schichtdienst am Stück. Viele Hausärzte würden diese Nöte verstehen – „die Leute sind am Ende. Sie sind arbeitsunfähig“, hätten sich dennoch lange zur Arbeit geschleppt. Das ständige Kompensieren werde immer enger, sagt eine andere Fachkraft.

Siegen: Schon junge Pflegekräfte leiden unter der Arbeitsverdichtung im Alltag

Wenn die Ausfallzahlen in Sachen seelische Erschöpfung steigen, müssen die anderen kompensieren, sagt Krankenschwester Sabine Reuter von der Initiative „Pflege am Boden“. Das betreffe gar nicht nur längere Fehlzeiten, sondern gerade ältere Kolleginnen und Kollegen bräuchten zwischendurch eine Pause im Dienstmarathon, schildert sie. Aber auch jüngere Beschäftigte hätten immer öfter das Gefühl, mit zu vielen Diensten am Stück „verheizt“ zu werden, sagt sie. Viele würden sich gar nicht trauen, ihren seelischen Zustand als Ursache anzugeben, sondern würden Grippe oder ähnliches nennen.

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Seit Jahren klagen Pflege und angeschlossene Tätigkeitsfelder über Arbeitsverdichtung und -überlastung, das werde sich weiter verschlimmern, prognostiziert Marius Janeczek, OP-Pfleger und Mitarbeitervertreter am Diakonie-Klinikum Jung-Stilling. „In den nächsten fünf Jahren hört ein Fünftel auf. Kaum jemand macht länger als bis 63. Das bekommen wir durch Auszubildende nicht aufgefangen.“ Viele Berufseinsteiger wüssten um die Altersstruktur in der Pflege, sähen und spürten die Arbeitsverdichtung. „Das motiviert richtig“, sagt Janeczek bitter. Der Ausblick sei düster – für alle: „Stell Dir vor, Du musst ins Krankenhaus und keiner ist da. Wir sind auf dem besten Weg dahin.“

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Angesichts mancher Arbeitsstrukturen müsse man sich klarmachen, dass das Privatleben oft schlicht „im Eimer“ sei, sagt Suse Büdenbender, Servicekraft im Klinikum Siegen. „In jedem Jahr bricht man mehr zusammen, das geht auf Dauer nicht.“ Auch viele jüngere Beschäftigte wollten nicht mehr. Sie berichtet von zwölf Tagen Arbeit am Stück in der Altenpflege, wo sie vorher tätig war. Der Beruf müsse so attraktiv gemacht werden, „dass die jungen Leute wieder Bock drauf haben“, fordert sie.

So reagieren die Siegener Krankenhäuser auf die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte

Diakonie Klinikum Jung-Stilling: „Derzeit verzeichnen wir eine hohe Zahl an kranken Mitarbeitern“, sagt der Ärztliche Direktor Prof. Dr. Christian Tanislav, eine Zuspitzung könne man aber nicht beobachten. Vielmehr sei der Krankenstand durch alle Berufsgruppen hindurch seit Wochen hoch. „Personelle Engpässe kennen wir also bereits.“ Man sei daher froh über überdurchschnittlich hoch motivierte Mitarbeiter, dank derer man jeden Tag den Auftrag als Notfallkrankenhaus der höchsten Versorgungsstufe erfüllen könne. „Die vorhandenen Ressourcen zu organisieren, ist für uns eine tägliche Auseinandersetzung, die wir bislang, dank unserer Mitarbeiter, gut bewältigt haben. Notfallpläne oder ähnliche Katastrophenszenarien mussten wir nicht auslösen.“ Bei der Mitarbeitergewinnung könne das Stilling mit dem modernen Neubau, der medizinischen Ausstattung auf universitärem Niveau und den starken Teams als Arbeitgeber punkten.

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St. Marien-Krankenhaus: Nachdem man im Dezember noch mit extremen Ausfällen aufgrund der Corona- und Grippewelle zu kämpfen hatte, habe sich die Situation auf den Stationen inzwischen deutlich beruhigt, sagt Pflegedirektor Markus Cimiotti. Aktuell gebe es wieder verstärkt Erkältungen, das werde aber als jahreszeitlich normal und völlig unproblematisch gesehen.

Siegen: Personalengpässe in der Pflege – Krankenhäuser haben Problem auf dem Schirm

Klinikum Siegen: Die Ausfallquote der Beschäftigten in der Pflege sei in den vergangenen Wochen wieder deutlich zurückgegangen, es gebe nur noch vereinzelte Krankheitsfälle, so Pressesprecherin Lara Stockschläder: „Wir haben aktuell also keine nennenswerte Ausfallquote.“ Demografische Entwicklung und Fachkräftemangel seien natürlich eine besondere Herausforderung, „wir sehen uns hier jedoch gut aufgestellt“, betont sie: Dem trete man „geschlossen als Team“ mit vielen Maßnahmen entgegen, etwa einem besonderen Fokus auf den Bereich der Aus- und Weiterbildung, Projekten zur Attraktivierung des Arbeitsplatzes oder Personalgewinnungskampagnen. So gelinge es bisher, eine stabile Stellenbesetzung zu erreichen und die Personaluntergrenzen einzuhalten.

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DRK-Kinderklinik: Im Krankenhaus und den angeschlossenen Einrichtungen (Häusliche Pflege, MVZ) ist der Krankenstand inzwischen auf einem normalen, saisonal etwas höheren Stand, so Klinik-Sprecher Arnd Dickel. Belastend wirken demnach die weiterhin für Gesundheitseinrichtungen geltenden Corona-Vorgaben, die vereinzelt zu einigen längeren Fehlzeiten führten. „Sowohl die Pflege als auch der Ärztliche Dienst sehen einer Normalisierung des Betriebes in den nächsten Monaten positiv entgegen“, so Dickel. Auch auf dem Wellersberg rechnet man damit, dass in den kommenden Jahren die „geburtenstarken Jahrgänge“ in den Ruhestand gehen. Daher sei eine Vielzahl Maßnahmen angestoßen worden, um auch künftig Nachwuchs auszubilden und zu qualifizieren, für die vielen attraktiven Berufe mit Perspektive im Gesundheitssystem zu werben. Dazu gehören etwa das Bildungsinstitut für Gesundheitsberufe, Personalentwicklungsmaßnahmen im ärztlichen Dienst, in der Pflege und in therapeutischen Bereichen. „Wir öffnen uns immer weiter dahin, schon frühzeitig mit jungen Menschen in den Kontakt zu kommen und diesen unsere engagierte, positive Arbeit zu vermitteln“, betont der Sprecher – indem die Kinderklinik aktiv in Schulen, auf Berufsmessen präsent ist und Einblicke vor Ort gewährt. Das habe etwa der sehr gut angenommene Kennenlerntag im BiGS Ende Januar gezeigt. Werde diese Arbeit auch positiv anerkannt, „sind wir zuversichtlich, gemeinsam auch diese Herausforderungen hier in Siegen-Wittgenstein zu bewältigen. Den hierfür notwendigen Mehraufwand wollen wir gerne aufbringen.“

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