Siegen. Die Not am Bett wird größer: Siegen-Wittgenstein holt Nachwuchskräfte für die Pflege aus Vietnam an neue Internationale Pflegeschule. Die Gründe.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein will am Bildungsinstitut für Gesundheitsberufe (BIGS) auf dem Wellersberg eine internationale Pflegeschule eröffnen. Ab 1. April 2023 sollen jährlich 20 junge Menschen aus Vietnam ihre Ausbildung zu Pflegefachkräften beginnen. „Wir wollen dazu beitragen, den Fachkräftemangel zumindest abzumildern“, sagt Landrat Andreas Müller. „Die Not am Bett wird größer", bestätigt Hubert Berschauer, BiGS-Geschäftsführer und Verwaltungsdirektor des Marienkrankenhauses. „Der Pflegeberuf ist ein wunderbarer Beruf, aber er ist körperlich und psychisch sehr anstrengend.“ Personalknappheit führe zu Überlastung, Überlastung treibt in die Teilzeit oder ganz aus dem Beruf heraus. Nur rund sieben Jahre, weiß der Landrat, halten Fachkräfte im Schnitt durch, bevor sie sich beruflich dann doch anders orientieren.

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Wie kommt Siegen auf Vietnam?

Eine der wenigen internationalen Pflegeschulen in Deutschland ist die des Kolpingwerks in Kempten. Diese hat den Kontakt nach Vietnam vermittelt. Die Sprachenschule Devi in Hanoi und das vietnamesische Generalkonsulat begrüßen die Siegener Initiative. Kriterium für die Auswahl des Herkunftslandes ist, dass durch die Anwerbung nicht dort ein neuer Fachkräftemangel erzeugt wird. Auch deshalb werden keine bereits ausgebildeten Kräfte angeworben.

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Wie läuft die Ausbildung?

Im Vorfeld hat der Kreis alle Beteiligten an einen Tisch geholt: von den Krankenhäusern bis zum Jobcenter, von der Volkshochschule bis zum Kommunalen Integrationszentrum. „Niemand hat gesagt, das geht auf keinen Fall", berichtet Thomas Wüst, Sozialdezernent des Kreises. Viele Aufgaben wurden erkannt. mögliche Lösungen angeboten. Sprachkompetenz und Integration stehen im Vordergrund. „Integration in die Städte und Dörfer“, betont Thomas Wüst – die jungen Pflegekräfte werden in eigenen Wohnungen oder Wohngemeinschaften dort leben, wo sie später auch arbeiten. Mit einem ersten Deutsch-Zertifikat kommen sie an, im ersten Jahr werden sie vor allem ihre Sprachkenntnisse ausfeilen, wahrend sie eine Ausbildung zu Pflegefachassistenten durchlaufen. Erst danach wird ihre dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft beginnen. „Wir reden über hochqualifizierte Fachkräfte“, betont Hubert Berschauer – Fachkräfte, die nicht nur mit Patienten sprechen, sondern auch Dokumentationen verfassen und Ärzten assistieren können müssen.

Kosten

Der Kreis will die Internationale Pflegeschule in den ersten vier Jahren mit jährlich 87.000 Euro unterstützten. Beraten und beschließen werden darüber Sozialausschuss und Kreistag.

Von dem Budget werden 39.000 Euro für eine zusätzliche halbe Verwaltungsstelle beim BIGS verwendet. Weitere Mittel werden für Beratungs-, Veranstaltungs-, Reisekosten, für Sprachausbildung und die Absicherung von Wohnraum eingeplant.

Wie werden die Schülerinnen und Schüler ausgewählt?

Sofern Bewerbungsgespräche vor Ort nicht möglich sind, wird die Videokonferenz das Medium sein, um Einstellungsgespräche zu führen, sagt BiGS-Leiter Uwe Mayenschein. Die angehenden Pflegeschüler werden mit Ausbildungsverträgen nach Deutschland kommen, die sie mit dem Klinikum Siegen, dem St. Marienkrankenhaus oder der DRK-Kinderklinik abgeschlossen haben. Dort absolvieren sie ihre praktische Ausbildung, während sie im BiGS in drei Jahren insgesamt 2100 Stunden theoretischen Unterricht erhalten.

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Wie werden die jungen Neu-Siegerländer unterstützt?

„Integration ist ein großer Aspekt“, betont Uwe Mayenschein, „für die jungen Leute geht ein großer Teil ihres Lebenstraums in Erfüllung – für uns beginnt eine große Verantwortung.“ Den Pflegeschülern aus Vietnam werden Informations- und Beratungsangebote vermittelt, Ansprechpartner genannt – das reicht von der Begleitung beim Behördengang bis hin zur Vermittlung in einen Sportverein. Kreis und BiGS setzen auch darauf, dass die Teams in den Krankenhäusern wichtige Kontakte für die Neuen werden. An der Uni erkundigt sich der Kreis nach Studierenden aus Vietnam – die Gleichaltrigen könnten gemeinsame Freizeitinteressen haben.

Stellen das Konzept für die Internationale Pflegeschule vor: Uwe Mayenschein, Andreas Müller, Thomas Wüst (von links).
Stellen das Konzept für die Internationale Pflegeschule vor: Uwe Mayenschein, Andreas Müller, Thomas Wüst (von links). © Kreis Siegen-Wittgenstein | Kreis Siegen-Wittgenstein

Warum werden nicht zuerst die bereits in Siegen und Umgebung angekommenen Geflüchteten gefragt?

Die internationale BiGS-Klasse hat 25 Plätze – neben den 20 Schülerinnen und Schülern aus Vietnam sind also noch fünf Plätze frei, die von hier lebenden Migranten belegt werden können. „Die Menschen müssen sich für den Beruf auch interessieren“, deutet Hubert Berschauer an, dass das Ausbildungsangebot von dieser Zielgruppe nur begrenzt angenommen wird. Insgesamt hat das 2019 eröffnete BiGS 400 Ausbildungsplätze, die längst nicht mehr alle belegt sind. Uwe Mayenschein erinnert aber auch an Erfolge, als 2015/16 viele Menschen aus Syrien und Afghanistan kamen, „Wir haben ganz tolle Entwicklungen gesehen.“ Nicht alle, die die Ausbildung beginnen, schaffen allerdings auch den Abschluss. „Bei allen, bei denen es nicht geklappt hat, lag es an der Sprache", sagt Landrat Andreas Müller

Wie ist die Perspektive der internationalen Pflegeschule?

Nach dem ersten Durchgang kann das Konzept erweitert werden: für Schülerinnen und Schüler aus anderen Herkunftsländer und für weitere Ausbildungsbetriebe. Kreis und BiGS erwarten nicht, dass die neu ausgebildeten Fachkräfte auf Dauer an „ihren“ Krankenhäusern bleiben – auch die ambulanten Pflegedienste in der Region brauchen Personal. Die 20 Plätze, sagt Hubert Berschauer, seien erst einmal „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

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