Siegen. „Wir platzen aus allen Nähten“: Warum 12.000 Quadratmeter mehr Fläche für das Siegener Diakonie Klinikum Jung-Stilling ein echter Durchbruch sind

Mit dem 12.000 Quadratmeter großen Anbau am Diakonie Klinikum Jung-Stilling könne endlich ein vernünftiges medizinisches Konzept umgesetzt werden, die interne, optimierte Struktur ermögliche deutlich verbesserte Abläufe – zum Wohle von Patienten und Beschäftigten, sagt Dr. Josef Rosenbauer, Geschäftsführer der Diakonie in Südwestfalen.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Seit Ausschachtung der Baugrube im März 2021 ging es ziemlich zügig für ein Bauvorhaben dieser Größenordnung: Das Fundament wurde im folgenden Juni gegossen, im August stand der Beton-Rohbau an der Wichernstraße, im Oktober kamen die ersten Module. Das ist eine Besonderheit, erklärt Architekt Oliver Schmidt: Die unteren Ebenen bestehen aus Betonfertigteilen, darauf wurde in Modulbauweise errichtet, im Grunde stählerne Kästen, die nach den Bedürfnissen des Krankenhauses gefertigt wurden. Krankenhaus-Architektur wiederholt sich – fast jedes Patientenzimmer hat den gleichen Grundriss inklusive Nasszelle, viele Stationen haben die gleichen Funktionsräume.

Ein so großes Gebäude so schnell und so „günstig“ – heute wäre es viel teurer

126 solcher Module wurden im neuen Gebäudeteil G verbaut – den ganzen zwölfgeschossigen Anbau so zu errichten, wäre unwirtschaftlich geworden, wie Oliver Schmidt erläutert: Der Brandschutz werde dann immer aufwendiger. Die Baulogistik sei durchaus herausfordernd: Die 20 Meter langen und 4 bis 5 Meter breiten, tonnenschweren Module müssen als Schwerlast hertransportiert werden, es braucht gewaltige Kräne und dafür geeignete Kranplätze an der Baustelle, alles während des laufenden Krankenhausbetriebs.

Der Campus Diakonie-Klinikum Jung-Stilling: Mit dieser baulichen Struktur kann das medizinische Konzept des Hauses vernünftig umgesetzt werden, betonen die Verantwortlichen.
Der Campus Diakonie-Klinikum Jung-Stilling: Mit dieser baulichen Struktur kann das medizinische Konzept des Hauses vernünftig umgesetzt werden, betonen die Verantwortlichen. © Diakonie in Südwestfalen

45 Millionen Euro für einen 40 Meter hohen Baukörper, inklusive der hochkomplizierten Haustechnik eines Klinikums, inklusive Innenausstattung und sogar noch die teilweise Ertüchtigung des Bestands – in Zeiten galoppierender Baukosten klingt das heute unvorstellbar. „Wir brauchen etwas länger“, sagt Architekt Oliver Schmidt, 18 statt der geplanten 14 Monate; am Ende hat das Jung-Stilling die derzeitige Lage mit Pandemie-Effekten und Lieferketten-Problematik doch noch ein wenig ereilt. Dass das Projekt insgesamt aber im wesentlichen im Zeit- und Kostenrahmen geblieben ist, sei auch den kurzen Entscheidungswegen zwischen allen Beteiligten zu verdanken. Und: „Wir dürfen viele Dinge, die die öffentliche Hand nicht darf“, erklärt der Architekt. An oft langwierige EU-weite Vergaben sei die Diakonie zum Beispiel nicht gebunden gewesen, die Gewerke seien von Firmen aus der Region erledigt worden. „Wir sind froh, dass wir dieses Zeitfenster genutzt haben“, sagt Geschäftsführer Rosenbauer. „Würden wir heute anfangen zu planen, würde das deutlich schwieriger.“

Fünf-Bett-Zimmer mit Toilette auf dem Flur im Siegener Jung-Stilling – nicht zeitgemäß

1966 nahm das „Stilling“ am Standort Wichernstraße nach vierjähriger Bauzeit den Betrieb auf, vorher war das Krankenhaus im heutigen Emmy-Noether-Campus der Uni Siegen am Fischbacherberg untergebracht. Seither wurde mehrfach angebaut, seit 2012 gezielt auf die angestrebte Struktur des Notfall-Krankenhauses im Drei-Länder-Eck, erläutert Josef Rosenbauer.

Neue Intensivstation im Anbau des Stilling mit zwei Deckenversorgungseinheiten für Beatmungsgeräte und Injektionspumpen pro Bett: Für die Pflegekräfte bietet die medizinische und räumliche Infrastruktur eine deutliche Entlastung, sagt Pflegedirektor Sascha Frank.
Neue Intensivstation im Anbau des Stilling mit zwei Deckenversorgungseinheiten für Beatmungsgeräte und Injektionspumpen pro Bett: Für die Pflegekräfte bietet die medizinische und räumliche Infrastruktur eine deutliche Entlastung, sagt Pflegedirektor Sascha Frank. © Hendrik Schulz

Im Altbau, dem mittleren Trakt des Stilling „haben wir riesigen Handlungsbedarf“, sagt Rosenbauer – in den meisten Zimmern dort stehen vier bis fünf Betten, zu großen Teilen mit Toiletten auf den Fluren, für Stauraum „kein Quadratmeter mehr“. Das Krankenhaus, konzipiert in den 60er Jahren für ganz andere Anforderungen und Abläufe, platzte förmlich aus allen Nähten. Die Aufstockung auf der früheren Hubschrauber-Landeplattform, die ganz oben auf das Dach gewandert ist (wir berichteten), brachte spürbare Entlastung, der Neubau auf der anderen Seite des Altbestandes soll dann den Durchbruch bringen.

Statt kreuz und quer durchs Jung-Stilling Krankenhaus künftig möglichst auf einer Ebene

Die Anbauten setzen die klare Struktur des Zentraltraktes fort: Beidseits eines zentralen Aufzugschachts führen zwei lange Flure von einem Ende der Klinik zum anderen, innen liegen die Funktionsräume, außen die Patientenzimmer. Weil insgesamt zu wenig Platz war und ein ganzes Klinikum im Laufenden Betrieb nicht auf einen Rutsch umziehen kann, sind zusammenhängende Abteilungen derzeit oft noch über den gesamten Komplex verteilt, was für weite Wege und hohen Zeitverlust sorgt.

Tag der offenen Tür

Samstag, 27. August, präsentiert das Jung-Stilling von 11 bis 17 Uhr den neuen Anbau und erinnert auch seine 75-jährige Geschichte. Auch die ADAC-Luftrettungsstation feiert mit – sie wird 40 –; ein Helikopter wird auf dem Parkplatz vor dem Eingang stehen. Auf der Bühne neben der Cafeteria findet ein Programm mit Unterhaltung und Gesprächen statt, außerdem sind unter anderem medizinische Fachvorträge im Hörsaal, Mitmach-Aktionen, medizinische Vorführungen und Führungen geplant.

Beispiel Endoskopie: Die ist in der ersten Etage, die Patienten liegen aber in der 7. Bei tausenden Untersuchungen im Jahr kommt die doppelte Menge an Aufzug-Bewegungen zusammen – hin und zurück. Patienten und Pflegepersonal müssen jedes Mal mindestens zehn Minuten warten, weil die Aufzüge stark frequentiert sind. Künftig sollen aber zusammenhängende Krankenhaus-Einheiten auf je einer Ebene zusammengefasst sein – ein Bett einen langen Flur entlang zu schieben, geht um ein Vielfaches schneller, als einen Raum auf einer anderen Etage zu erreichen. Statt also kreuz und quer durchs Gebäude werden Wege künftig überwiegend horizontal zurückgelegt und die Aufzüge bestimmten Funktionen zugeordnet, um den Einsatz effizienter zu gestalten. Parallel dazu werden auch Prozesse wie Patienten- und Bettenmanagement mit digitaler Unterstützung neu konzipiert. „Wenn ein Patient aufgenommen ist, kann es unmittelbar losgehen“, kündigt Dr. Rosenbauer an und verweist auf die derzeit oft noch komplizierten und zeitraubenden Abläufe.

Nach dem Anbau ist der Altbau dran: Ab 2023 wird am Siegener Jung-Stilling saniert

Erst mit dem Anbau und seiner enormen Fläche hat das Diakonie Klinikum die Möglichkeit, auch den Altbestand umzubauen. Derzeit arbeiten sich die Unternehmen von oben nach unten durch das Gebäude, es folgen behördliche Abnahmen, im Herbst beginnen dann die ersten Umzüge, zuerst die Palliativ-Station, die derzeit mitten im Gebäude liegt und viel Durchgangsverkehr hat; dann die Geburtshilfe, die ganz besonders aus allen Nähten platzt. Alle Stationen werden dann auch auf die Höhe der Zeit gebracht – in der Geburtshilfe beispielsweise mit Familienzimmern, wo auch die Partner und Kinder mit aufgenommen werden können.

Die Haustechnik eines Krankenhauses ist hochkompliziert. Im Erdgeschoss wird noch gearbeitet – aber die wesentlichen Systeme sind bereits installiert.
Die Haustechnik eines Krankenhauses ist hochkompliziert. Im Erdgeschoss wird noch gearbeitet – aber die wesentlichen Systeme sind bereits installiert. © Hendrik Schulz

Anfang 2023 soll der Anbau dann weitgehend belegt sein. Der Altbau wird dann Ebene für Ebene geschlossen, umgebaut und saniert und mit möglichst wenig Reibungspunkten zum Klinik-Alltag in die neue Krankenhaus-Struktur integriert. Bis das abgeschlossen ist, vergehen mindestens drei Jahre, schätzt Architekt Schmidt.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

Eine wichtige Rolle bei der Inbetriebnahme des neuen Anbaus spielen auch die Beschäftigten: Die muss die Diakonie nämlich erst einmal haben. Ende 2021 habe es schon 50 Vollzeitstellen mehr gegeben als ein Jahr davor, sagt Pflegedirektor Sascha Frank. Gerade erst habe man 21 Fachkräfte des aktuellen Abschlussjahrgangs des Diakonie-eigenen Pflegebildungszentrums übernommen, gleichwohl brauche man aber weiter Bewerber. Die zu gewinnen, dabei spiele ein struktureffizientes Haus durchaus eine Rolle: Kurze Wege, moderne Ausstattung etwa mit schienengeführten Patientenlifts seien im Bereich Pflege ein wichtiger Attraktivitäts-Faktor.

Patientenzimmer auf Normalstation im Anbau des Diakonie-Klinikums Jung-Stilling Siegen.
Patientenzimmer auf Normalstation im Anbau des Diakonie-Klinikums Jung-Stilling Siegen. © Hendrik Schulz
12.000 Quadratmeter, 1000 je Etage, bietet der neue Anbau Platz. Wenn er fertig bezogen ist, kann der Altbau (links daneben) renoviert werden.
12.000 Quadratmeter, 1000 je Etage, bietet der neue Anbau Platz. Wenn er fertig bezogen ist, kann der Altbau (links daneben) renoviert werden. © Hendrik Schulz
Auf der Normalstation auf Ebene 8 des neuen Anbaus müssen nur noch wenige Restarbeiten erledigt werden.
Auf der Normalstation auf Ebene 8 des neuen Anbaus müssen nur noch wenige Restarbeiten erledigt werden. © Hendrik Schulz
Weiter unten sieht es zwar noch mehr nach Baustelle aus – aber in anderthalb Monaten ist auch hier alles fertig, sagt der Architekt.
Weiter unten sieht es zwar noch mehr nach Baustelle aus – aber in anderthalb Monaten ist auch hier alles fertig, sagt der Architekt. © Hendrik Schulz