Siegen. „Himmelschreiende Ungerechtigkeit“: In den Krankenhäusern schuften alle, mit einem Bonus gewürdigt wird das nur für manche – viele gehen leer aus
Einmal mehr hat die Politik es für die Pflege schlimmer gemacht, anstatt besser. Siegerländer Krankenhaus-Personal kritisiert: Der Corona-Bonus 2022 wurde so dermaßen ungerecht an die Belegschaften ausgeschüttet, dass der ohnehin schon hohe Frust-Pegel vor allem in den Kliniken nochmals drastisch gestiegen sei.
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Nicht alle, die die durchaus beachtliche zweite Sonderzahlung erhielten, haben zwangsläufig auch mit Covid-Patienten gearbeitet. Wer an einem von bundesweit 837 Krankenhäusern mit besonders vielen beatmeten Covid-Patienten und mindestens 185 Tage auf einer „bettenführenden Station“ tätig war, bekam 2200 Euro – wenn die dreijährige Ausbildung absolviert wurde („examinierte Pflegefachkraft“). Deutschlandweit profitierten rund 217.000 Klinik-Pflegekräfte, die die Kriterien „am Bett“ und „examiniert“ erfüllten. Die meisten hingegen gingen leer aus.
In den Pflegeheimen klappte es besser: Alle bekamen weniger – aber alle bekamen was
Kaum Verwerfungen gab es in den Senioren- und Pflegeeinrichtungen. Dort fielen die Sonderzahlungen zwar für die einzelnen geringer aus, dafür aber profitierten alle, vom Bufdi über die Küchenhilfe bis zur Pflegefachkraft. Sie alle konnten letztlich den Kontakt zu potenziell infizierten Bewohnern nicht gänzlich vermeiden – was in Krankenhäusern mit höherem (Corona-) Patientenaufkommen und mehr Fluktuation generell genauso gilt.
Nicht nur viele examinierte Pflegefachkräfte hatten, Bonus hin oder her, Kontakt zu Covid-Patienten. Viele Beschäftigte arbeiten an und mit den Infizierten, setzten sich der Gefahr einer Virusübertragung aus. Im Grunde ist gesamte Klinikpersonal betroffen: Hol- und Bringedienst, Therapeutischer Bereich, Reinigungskräfte, Zentrale Notaufnahme, OP-Pflege, Auszubildende, Pflege- und Serviceassistenzen, medizinische Fachangestellte, Hebammen, Sekretariat. Viele fühlen sich abgehängt, wertlos, wütend.
Servicekraft in Siegener Klinik: „Wir fühlen uns richtig scheiße, minderwertig, fertig“
Die Servicekraft: „Ich fühle mich total scheiße“, sagt unumwunden Suse Büdenbender, die in der Neurologie am Klinikum Siegen arbeitet. „Es ist so unfair und gemein, so demütigend.“ Was sie und ihre Kolleginnen und Kollegen während der Pandemie geleistet hätten, „sieht kein Mensch. Alle halten uns für Saftschubsen, dass wir knitterhagelkaputt das Haus verlassen, interessiert keinen.“ Nach der Schicht fühlten sie sich oft „richtig scheiße, minderwertig und fertig.“ Zu Beginn der Pandemie seien sie es nicht einmal wert gewesen, die sichereren FFP2-Masken zu bekommen. „Wir haben sowieso das Gefühl, dass man auf uns herunterschaut, dass wir ‘niedere Arbeiten’ verrichten. Es heißt zwar immer, wir gehören zum Team. Das empfindet man aber nicht.“ Der Corona-Bonus: Eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“, sagt sie – „wir bringen Essen, trösten, bereiten die Grundreinigung der Zimmer vor“, sie seien mittendrin unter den Infizierten, für die sie dutzende Male am Tag die Schutzkleidung wechseln. Die Arbeit sei zeitintensiver geworden, allein durch das Umziehen, für jedes einzelne Isolationszimmer: Verhüllen, rein, Essen bringen, raus, ausziehen, nächstes Zimmer, beim Abräumen genau das gleiche, schweißtreibende Prozedere. Entlastung an anderer Stelle: Fehlanzeige, sagt Büdenbender. Zeit und Zimmer bleiben gleich, „alles, was wir länger brauchen, kriegen wir nicht bezahlt.“ Die Patienten seien isoliert, brauchen auch mal einen Menschen, sagt sie. „Wir sind die, denen sie ihr Herz ausschütten, wenn ihnen etwas auf der Seele liegt.“ Es gebe Kolleginnen und Kollegen, die immer noch unter Nachwirkungen leiden würden, nachdem es zu einem Corona-Ausbruch kam und die Station vorübergehend geschlossen wurde.
Der OP-Pfleger: „Im Krankenhaus ist alles aufeinander abgestimmt, alle sind in diesem System aufeinander angewiesen, sonst funktioniert es nicht“, sagt Marius Janeczek, OP-Pflegekraft im Diakonie-Klinikum Jung-Stilling. Auch er hat keinen Corona-Bonus erhalten. Das sorge für Spaltung. „Die einen bekommen viel, eine Pflegeassistenz, die jeden Tag aufs gleiche Zimmer geht und fast die gleiche Arbeit macht, bekommt nichts.“ Er hätte sich gewünscht, dass die Kliniken wenigstens etwas in die Bresche springen und als Zeichen der Wertschätzung einen kleinen freiwilligen Bonus zahlen. „Ich kenne keine Klinik, in der das passiert ist.“ Hätten alle etwas bekommen, dafür weniger, „hätte das die Belegschaften gestärkt, keiner hätte sich beschwert. So wurde die Pflege insgesamt geschwächt.“ Wenn eine Kollegin dank Bonus zwei Wochen Urlaub auf Fuerteventura machen könne und die andere leer ausgeht: „Das macht was mit den Leuten.“ Früher, sagt Janeczek, wurde geklatscht. „Jetzt war es eine Klatsche für uns.“ Er fordert: Künftig die Betroffenen fragen, was hilft und was nicht. „Diese Beschlüsse haben bestimmt keine Pflegenden getroffen.“ Man müsse sich inzwischen fragen, ob genau diese Entwicklung politisch so gewollt sei.
Die Krankenschwester: Sabine Reuter hat den Bonus erhalten, die examinierte Krankenschwester arbeitet „klassisch“ auf Station im „Stilling“. Selbst da gebe es noch Ungerechtigkeiten, sagt sie: Wer eine Fachweiterbildung für Anästhesie oder Intensivpflege absolviert habe, habe sogar 3300 Euro bekommen. Vom ersten Bonus hätten noch alle profitiert – bei der zweiten Runde, in einer Zeit, in der ohnehin deutlich weniger Covid-Patienten beatmet werden mussten, die Häuser dennoch randvoll waren, nur ein kleiner Teil. Es gehe gar nicht um die Summe selbst, sagt sie, sondern um die Geste, die Wertschätzung. Der Bonus selbst sei wohl eher gedacht gewesen als Beruhigungspille. „Politik wertschätzt Pflege nicht“, sagt sie bitter. „Und wir sind nicht kampfbereit genug. Wir müssten uns anders aufstellen.“
Das sagen Krankenhaus-Beschäftigte aus Siegen und Umgebung über den Corona-Bonus
Matthias Blöcher arbeitet im Hol- und Bringedienst und hat ein Gesprächsprotokoll über einen Austausch im Kollegenkreis verfasst.
„Ein Krankenhaus besteht nicht nur aus Pflege am Bett. Alles spielt zusammen. Die Verantwortlichen haben unangemessen gehandelt und Ungerechtigkeiten verstärkt.“
„Die Entlohnung ist eine einzige Katastrophe. Gerade untere Einkommensschichten brauchen in der aktuellen Situation Unterstützung. Im Krankenhaus herrscht allgemein eine prekäre Situation, die unbedingt verbessert werden muss.“
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„Für mich als Familienvater mit Frau und vier Kindern wäre ein Bonus von 2500 Euro für unsere Familienkasse eine große Erleichterung gewesen.“
„Als Mitarbeiter im Klinikum empfindet man diese ungerechte Verteilung von Geldern als einen Schlag ins Gesicht. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung und der geringen Entlohnung des Dienstes ist das im Ganzen weiter stark demotivierend.“
„Man muss auch mal über den Vertrauensmissbrauch in dieser Sache nachdenken. Die Arbeit mit Covid-Patienten wird getan, aber andere, die teilweise nichts oder nur gelegentlich damit zu tun haben, wurden ausschließlich nach Status – und nicht nach ihrer Tätigkeit – zusätzlich belohnt.“
„Jedes Arbeitsfeld im Krankenhaus ist betroffen. Man hätte im Vorfeld eine Unterscheidung zwischen Covid-Kontakt- und Nicht-Covid-Kontakt-Betreuenden treffen müssen. Ich stelle mir grundsätzlich die Frage, warum es in Gesundheitseinrichtungen keine situationsbezogenen Gefahrenzulagen wie in der Industrie gibt.“
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„Wertschätzung für die Pflege bleibt in der Politik weiterhin ein Fremdwort. Wen wundert es, dass sich immer weniger Menschen für diesen Beruf entscheiden oder ihm schnell wieder den Rücken kehren.“
„Ich betrete nie wieder ein Zimmer mit einem Corona-Patienten, selbst wenn ich gekündigt werde. Das nehme ich in Kauf.“