Siegen. Wolfgang führt ein selbstbestimmtes Leben – ohne die Hilfe von Pflegern wäre das nicht möglich. Der Pflegenotstand sorgt nun für ernste Probleme.

Fast jeder Mensch wünscht sich ein selbstständiges Leben. Damit das auch unter den schwierigen Bedingungen von Behinderung und schweren chronischen Erkrankungen gelingen kann, erhalten Betroffene und ihre Familien oft Unterstützung durch professionelle häusliche Pflege. Seit 1996 nimmt die häusliche Krankenpflege und Kinderkrankenpflege der DRK-Kinderklinik Siegen mit fast 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Aufgabe in der Region wahr. Doch nun gibt es immer mehr Personalprobleme. „Sollten wir keinen weiteren Mitarbeiter für Wolfgang finden, müsste der 41-Jährige nach über 20 Jahren sein selbstbestimmtes Leben aufgeben und in eine Wohngemeinschaft wechseln – menschlich eine Katastrophe“, sagt Susanne Solbach, Leiterin der Häuslichen Kinderkrankenpflege (HKKP), einem Tochterunternehmen der DRK-Kinderklinik Siegen.

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Wolfgang ist nur ein Beispiel von vielen: Er ist seit rund 20 Jahren Patient der HKKP und aufgrund einer degenerativen Muskelerkrankung dauerbeatmet. Er gilt als intensivpflichtiger Patient: 24 Stunden am Tag an sieben Tagen die Woche wird er von einem festen Team in seinen eigenen vier Wänden gepflegt und zu Ausflügen, Arbeit und Terminen begleitet.

Weitere Infos

Mehr Infos zur häuslichen (Kinder-)Krankenpflege der DRK-Kinderklinik Siegen gibt’s unter www.ambulante-pflege-siegen.de. Bei Fragen und Interesse sind Susanne Solbach und Angelique Badstübner telefonisch erreichbar unter 02 71 / 23 45 -378 oder -417 sowie per E-Mail an hkkp@drk-kinderklinik.de.

Ob in der Awo-Werkstatt in Deuz, auf seinem wöchentlichen Birkenhof-Ausflug in Wilgersdorf oder bei Besuchen mit Freunden – immer ist eine Pflegefachkraft aus dem festen HKKP-Team mit dabei. Ohne deren Hilfe wäre ein autonomes Leben für Wolfgang und 13 weitere HKKP-Patienten gar nicht möglich.

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Hinter der guten Sache steckt viel personeller Aufwand: Bei der häuslichen Krankenpflege und Kinderkrankenpflege gibt es eine 1:1-Betreuung. „Alles ist auf den Menschen ausgerichtet“, sagt Susanne Solbach. In der Regel befinden sich zehn Mitarbeitende im Team für einen Patienten der 24-Stunden-Pflege, nicht alle davon arbeiten Vollzeit, erläutert Susanne Solbach. Zudem müssen auch nicht alle Patientinnen und Patienten in diesem zeitlichen Ausmaß betreut werden.

Ohne Unterstützung der HKKP-Mitarbeiter in Siegen wäre ein selbstbestimmtes Leben für viele Patienten nicht umsetzbar, sie müssten ihr Zuhause verlassen und in eine soziale Einrichtung ziehen.
Ohne Unterstützung der HKKP-Mitarbeiter in Siegen wäre ein selbstbestimmtes Leben für viele Patienten nicht umsetzbar, sie müssten ihr Zuhause verlassen und in eine soziale Einrichtung ziehen. © DRK-Kinderklinik Siegen | Stefan Wendt

Regelmäßig bekommt Susanne Solbach Anfragen von weiteren Interessenten, die eine häusliche Krankenpflege in Anspruch nehmen wollen. Diese Anfragen abzulehnen, falle ihr unglaublich schwer. „Der Pflegenotstand ist überall“, so so Susanne Solbach. Momentan gehen besonders viele Babyboomer in Rente und Fachpersonal, das nachrückt, ist kaum noch zu finden.

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Dabei ist es so ein vielfältiger Beruf, den die Pflegefachkräfte der HKKP leisten: „Jeder Tag ist anders“, sagt Susanne Solbach. Die, die einmal Mitglied des Teams sind, würden meist nie wieder weg wollen. Mit ihrer Hilfe wird den Menschen oft erst ermöglicht, im eigenen Zuhause bleiben zu können. Die häusliche (Kinder-)Krankenpflege ist eine besondere Art der Pflege, weil sie noch individueller und persönlicher ist als die Arbeit in vielen anderen Pflegebereichen. Ohnehin sei Pflege ein „toller Job“, betont Susanne Solbach. Man bekomme von den Patientinnen und Patienten unheimlich viel wieder.

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Doch kaum jemand kennt die Möglichkeit der häuslichen Krankenpflege, wenn er nicht gerade persönliche Berührungspunkte damit hat. „Die Intensivpflege ist unbekannt“, betont Susanne Solbach. Wer an Pflege denkt, dem kommen zumeist als erstes Krankenhäuser oder Altenheime in den Kopf, nicht unbedingt die häusliche Krankenpflege.

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Hinzu komme, dass einige Pflegefachkräfte Angst davor hätten, sich um dauerbeamtete Patienten zu kümmern. „Dabei wird man bei uns super eingearbeitet“, so Susanne Solbach. Eine entsprechende Weiterbildung müssen die Pflegefachkräfte natürlich auch besuchen.

Pflege in Siegen-Wittgenstein: Ein hart umkämpfter Markt

Wenn die HKKP in Siegen auf lange Sicht keine weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter findet, ist nicht klar, wie lange das Angebot noch aufrechterhalten werden kann. „Wenn wir nicht schnell die wegfallenden Stellen besetzen können, ist die Versorgung der Patienten gefährdet“, sagt Susanne Solbach. „Ist die Versorgung zu Hause nicht mehr sichergestellt, müssten die Eltern die Pflege alleine managen – was eigentlich nicht leistbar ist. Alternativ wäre dann nur noch die Unterbringungen in einer stationären Institution möglich.“ Und eben das geht oft mit einem Verlust an Autonomie einher.

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„Jeder von uns ist gefährdet, irgendwann querschnittsgelähmt zu sein“, so Susanne Solbach – Unfälle können jeden Tag passieren. Umso wichtiger ist es, das Angebot der häuslichen (Kinder-)Krankenpflege aufrechtzuerhalten. „Vielen Menschen ist nicht bewusst, was in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird“, betont die Leiterin der Häuslichen Kinderkrankenpflege. Gerade Pflege sei mittlerweile ein hart umkämpfter Markt. Mehr Geld zu zahlen, sei nicht immer die Lösung. „Wer wegen Geld geht, geht woanders auch wieder“, sagt Susanne Solbach. Und gerade in der häuslichen Pflege sei es wichtig, stabile Bezugspersonen zu haben. „Ich muss mich auf jemanden 100 Prozent verlassen können.

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