Siegen. Steffen Mues plädiert für vernünftige Diskussion; betont den Ehrungscharakter jeder Straßenbenennung und gibt zu bedenken: Wo ist die Grenze?
- Bürgermeister Steffen Mues ist in der Frage der Umbenennung belasteter Straßennamen zwiegespalten
- Die Debatte wird teils hochemotional geführt – an Konzept für Öffentlichkeitsbeteiligung soll her
- Einige Namen sind sicher nicht ehrungswürdig, so Mues – eine Grenzziehung generell aber schwierig
Die Debatte um die Umbenennung belasteter Straßen wird intensiv geführt – zunächst will sich die Politik aber auf das weitere Vorgehen verständigen (wir berichteten). Diskutiert wird aber, teils hoch emotional – in den sozialen Netzwerken, auch zur Berichterstattung dieser Zeitung.
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Während einige die Umbenennung unterstützen, lehnen andere sie rundheraus ab. Bürgermeister Steffen Mues ist, wie viele Akteure in der Kommunalpolitik, noch zwiegespalten, wie er im Gespräch mit dieser Zeitung darlegt.
Mues: Straßenbenennung als solche kann Teil der Siegener Geschichte sein
„Da sind Namen dabei, die muss man nicht auf Straßenschildern lesen“, sagt der Bürgermeister über die vom dazu einberufenen Arbeitskreis vorlegte Liste, „aber wir haben auch eine gewisse Verantwortung für die Erinnerungskultur und Geschichte dieser Stadt. Er sei nicht sicher, ob eine Streichung aller Namen der richtige Weg sei. Ihn beschäftige das Thema schon seit Langem, insbesondere ob alle Namen auf der Liste zum jetzigen Zeitpunkt hinreichend erforscht sind für eine fundierte Entscheidung.
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Die Benennung einer Straße als solches sei auch Teil von Erinnerungskultur und Geschichte, spiegle den Zeitgeist wider, findet Steffen Mues; wie die Menschen zu dieser Zeit dachten. Die Hindenburgstraße etwa sei ja bereits im Jahr 1915 nach dem damaligen Generalfeldmarschall benannt worden. Zu dieser Zeit kann zumindest vom „Steigbügelhalter Hitlers“, als der der spätere Reichspräsident heute unzweifelhaft gilt, noch keine Rede sein. „Damals wurde er jedenfalls für etwas ganz anderes geehrt“, gibt Mues ein Beispiel – wenngleich auch diese Ehrung aus heutiger Sicht kein Ruhmesblatt sei. Dieser Vorgang vor mehr als 100 Jahren könne auch Zeugnis der Kriegstrunkenheit jener Zeit sein, in der „ganze Siegerländer Schulklassen fanatisch in den Krieg zogen“.
Ein negatives Image für Siegen fürchtet Bürgermeister Steffen Mues nicht
Dennoch problematisch: Die Benennung einer Straße nach einer Person ist immer eine Würdigung dieser Person, auch ein Jahrhundert später noch, der geschichtliche Kontext überformt nicht die Verfehlungen eines Menschen. Eine Informationstafel unter dem Straßenschild ändert nichts am Ehrungscharakter, auch wenn für Passanten bei der Orientierung die Würdigung überaus nachrangig sein dürfte.
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Dass ein negatives Licht auf Siegen fällt, wenn die Stadt belastete Namen nicht aus dem öffentlichen Raum tilgt, befürchtet der Bürgermeister nicht. Die Zahl gerade der Hindenburgstraßen in Deutschland sei riesig, das sei offensichtlich zu früheren Zeiten ganz normal gewesen und betreffe kaum eine Stadt nicht. „Sieben hoch belastete Straßennamen sind bei einer Großstadt auch eher wenig“, findet Mues.
Umbenennung ist keine Tilgung – und wo ist die Grenze? Fürst Johann Moritz?
Der Bürgermeister findet es vor allem schwierig, eine Grenze zu ziehen: „Wenn wir alles, was ein Stück weit belastet ist, tilgen, wird es schwer“ – Fürst Johann Moritz hat sicherlich keine reinweiße Weste, was die Ausbeutung afrikanischer Sklaven in der brasilianischen Kolonie angeht, für die der Nassauer Herrscher militärisch und verwaltungstechnisch zuständig war. Gleichwohl ist in Siegen nicht nur eine Straße nach ihm benannt. Friedrich Ludwig Jahn war nicht nur „Turnvater“, sondern wollte junge Männer für den Krieg gegen Napoleon stählen.
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Bei anderen Personen, die ebenfalls auf der Liste des Arbeitskreises stehen, fehle womöglich weitere historische Aufarbeitung, so Mues Einschätzung – bei Alfred Fissmer habe die historische Aufarbeitung ergeben, dass der frühere Siegener Oberbürgermeister nicht so eng wie vermutet in die Nazi-Gräuel eingebunden war – vielmehr habe er im Gegenzug zu erreichen versucht, jüdische Menschen vor Plünderungen zu schützen. Daraufhin entschied man sich gegen eine Umbenennung der Fissmer-Anlage. Paul von Hindenburg und Adolf Stöcker indes seien sehr gut erforscht – und belastet. Auch wes Geistes Kind der glühende Nazi und Antisemit Lothar Irle war, ist unzweifelhaft.
Eine Umbenennung von Straßen ist indes aber keine Tilgung aus der Geschichte, wie es immer wieder in der Diskussion geäußert wird. Sollte die Hindenburgstraße in Siegen nicht mehr Hindenburgstraße heißen, gäbe es immer noch reichlich öffentlich zugängliche Informationen über den Mann.
Aufwand für betroffene Anwohner der Siegener Straßen „nicht dramatisch“
Der Aufwand für die betroffenen Anwohner könne kein Argument gegen die Umbenennung sein, findet der Verwaltungschef. Natürlich könne die Stadt etwa bei der Änderung von Personalausweisen unterstützen, die Gebühr erlassen, mit der Kfz-Zulassungsstelle reden. Aber letztlich seien die meisten Adressänderungen in der heutigen Zeit doch mit einigen E-Mails erledigt. „Es wird natürlich etwas Arbeit bei den Menschen bleiben, aber nicht dramatisch“, so Mues.
Der Verwaltungschef und die Fraktionsspitzen wollen einen geeigneten Weg der Öffentlichkeitsbeteiligung finden, anstatt am Ende per Ratsbeschluss „einfach zu streichen“. Es sei nicht auszuschließen, dass die negativen Aspekte überwögen und Straßen umbenannt werden – das ohne jegliche Diskussion mit der Bevölkerung zu beschließen, sei aber aus seiner Sicht nicht der richtige Weg. Dann könne eine fundierte und nachvollziehbare Entscheidung getroffen werden. Und wenn nicht umbenannt wird? Dann dürfte das Thema in ein paar Jahren wiederkommen, „das haben wir in anderen Städten auch gesehen“, so Mues.
Vernünftige Öffentlichkeitsbeteiligung statt Social-Media-Populismus
Dass eine Diskussion, teils hitzig, in den Sozialen Netzwerken geführt wird, könne der Sache nicht gerecht werden und liefere ein verzerrtes Stimmungsbild, meint auch der Bürgermeister, „von beiden Seiten“: Wer aus Facebook-Beiträgen eine öffentliche Meinung ableite, „liegt immer falsch“. Daher gelte es, eine vernünftige Öffentlichkeitsbeteiligung zu erarbeiten, um eine belastbare Mehrheitsmeinung zu erhalten, aus der die Politik auch vernünftige Rückschlüsse ziehen könne – anders als bei manch wutgeiferndem Facebook-Kommentar.
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Steffen Mues weist nochmals auf den Empfehlungscharakter hin, den der Abschlussbericht des Arbeitskreises ausdrücklich hat: „Den Arbeitskreis zu ignorieren wäre kein gutes Signal“, so der Bürgermeister – das Gremium war immerhin mit Vertretern verschiedener Fraktionen besetzt, sie alle seien „knietief in die Geschichte eingestiegen“, entschied mehrheitlich. „Wir sind froh dass sie das gemacht haben“.