Siegen. Dass Straßen nach Nazis und Antisemiten benannt sind, könnte in Siegen so bleiben: Teile der Politik wollen andere Lösungen anstelle neuer Namen.
Siegener Straßen könnten weiterhin nach Anhängern des Naziregimes und Antisemiten benannt bleiben. Im Kulturausschuss zeichnete sich eine Mehrheit gegen die Umbenennung der vom zuständigen Arbeitskreis vorgeschlagenen Straßen ab. Das Gremium empfiehlt, die Entscheidung in den Herbst zu verschieben, um eine breitete öffentliche Diskussion und Informationsveranstaltungen zu ermöglichen. Eigentlich soll der Rat am 15. Juni einen Beschluss fällen.
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Der im Juni 2020 vom Rat auf den Weg gebrachte Arbeitskreis zur „Aufarbeitung der historischen Hintergründe von Straßennamen“ hat eine Methodik entwickelt, der zufolge sieben Straßen in die „Kategorie A“ fallen („Schwere Belastung, Umbenennung empfohlen“): Adolf-Wagner-Straße, Bergfriederstraße, Hindenburgstraße, Diemstraße, Lothar-Irle-Straße, Porschestraße und Stoeckerstraße. Weitere sieben Straße landeten in Kategorie B und sollen damit nicht umbenannt, aber mit Kommentaren an den Straßenschildern und QR-Codes für weiterführende Informationen online versehen werden.
Siegen: Straßen mit Nazinamen – CDU will Hinweisschilder statt Umbenennung
Für die CDU äußerte Isabelle Cathrin Schmidt den Vorschlag, die A-Straßen ebenfalls in Kategorie B zu verschieben – „gegen ein Vergessen“, so das Argument. Dem schloss sich Ausschussvorsitzende Eva-Marie Bialowons-Sting für die Fraktion „Gemeinsam für Siegen“ an. Für die SPD sagte Sibylle Schwarz, dass die Fraktion lediglich Stoecker-, Lothar-Irle- und Hindenburgstraße in Kategorie A lassen und die übrigen vier in B einordnen wolle.
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Die Kategorien habe der Arbeitskreis verwendet, um seine Schlussfolgerungen nachvollziehbar zu machen, erläuterte dessen Vorsitzender Raimund Hellwig. Der Abschlussberichtet nennt deshalb eine Reihe von Kriterien – unter anderem Bekleidung hoher Ämter im Naziregime, Verbreitung der Naziideologie, Kriegsverherrlichung, ausgeprägte persönliche Vorteile durch Kooperation –, die sich in den Lebensläufen der A-Persönlichkeiten nachweisen lassen. „Sie haben die Freiheit, unsere Einsortierung in Kategorien politisch zu bewerten. Wir empfehlen nur“, sagte Raimund Hellwig an die Kulturausschussmitglieder gewandt. Und angesichts der bisherigen Reaktionen auf das Thema ergänzte er: „Es gibt großen Diskussionsbedarf. Geben Sie dieser Diskussion Raum.“
Siegen: Nach Nazis benannte Straßen gelten als ausdrückliche Ehrung der Personen
Letzteres zeigte sich bereits im Ausschuss zweifelsfrei. Ein wesentlicher Faktor ist, dass eine Straßenumbenennung für Anwohnerinnen und Anwohner mit Aufwand und Kosten verbunden ist, da diese ihre neue Anschrift in allen möglichen Dokumenten und Einträgen ändern lassen und sämtlichen Korrespondenzpartnern mitteilen müssen. Der Arbeitskreis schlägt deshalb vor, dass die Stadt ein Servicepaket anbietet, das es den Betroffenen zumindest erleichtern soll.
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Dr. Patrick Sturm, Leiter des Stadtarchivs, äußerte sich kritisch zu einer Lösung lediglich mit Infoschildern. „Geschichte mit Hinweisen an Straßennamen zu vermitteln: schwierig“, sagte er. Außerdem wies er auf einen Punkt hin, der bereits im Abschlussbericht des Arbeitskreises ausdrücklich erwähnt ist: Die Benennung einer Straße nach einer Person sei eine explizite Ehrung – und darum nach offizieller Lesart ungeeignet für eine mahnende Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Menschen.
Siegen: Nazinamen auf Straßenschildern gehen in Ordnung – „Am Westhang“ ging nicht
Einigkeit herrschte im Kulturausschuss in dem Punkt, dass das Thema zu sensibel und vielschichtig sei, um zum jetzigen Zeitpunkt entscheiden zu können. Grüne und Volt stellten den Antrag, dem Haupt- und Finanzausschuss die Vertagung zu empfehlen. Außerdem – das hatte Kulturamtsleiterin Astrid Schneider ins Gespräch gebracht – soll der Ältestenrat zwecks Vermittlung hinzugezogen werden.
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An einen anders gelagerten Fall einer Straßenumbenennung erinnerte Eric Dietrich (Volt). Im November 2013 hatte eine Mehrheit aus CDU, UWG und FDP einer Umbenennung der Straße „Am Westhang“ in „Wildrosenallee“ zugestimmt: Ein Investor, der dort Immobilien sanierte, hatte darum gebeten, da „Am Westhang“ in Siegen als keine gute Gegend verschrien war. „Aber ,Lothar-Irle-Straße’ kann stehen bleiben? Das will mir nicht in den Kopf“, so Eric Dietrich.
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