Mit 17 Jahren verunglückte Daniel Huckebrink schwer, bis heute braucht der Mendener viel Pflege - wir zeigen, wie die Familie damit umgeht.
Seit Rosenmontag 2006 ist im Leben von Heike und Rüdiger Huckebrink nichts mehr wie zuvor. Ihr einziger Sohn saß damals auf der Rückbank eines Autos, das bei Blitzeis verunglückte. Wer den Wagen sieht, fragt sich unweigerlich, wie ein Insasse überhaupt überleben konnte. Daniel aber hat überlebt – mit schwersten Behinderungen. Mehr als 13 Jahre ist das nun her. Wie schafft es eine Familie, dieses Schicksal auszuhalten und vor allem anzunehmen? Ein Besuch bei Familie Huckebrink.
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Er lacht. Mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht geht der heute 31-jährige Daniel auf die Reporterin zu, streckt ihr seine Hand entgegen. Im Laufe der Jahre hat die WP Daniel immer wieder besucht. Das Strahlen in Daniels Gesicht ist selten verschwunden. War er immer so ein Sonnenschein? „Nein“, sagt seine Mutter Heike Huckebrink. „Er war immer sehr sozial.“ Aber das Strahlen kam erst einige Zeit nach dem Unfall, hat mit der Hirnschädigung zu tun, wie sein Vater Rüdiger Huckebrink erklärt. „Einige Menschen werden durch solch eine Verletzung abgrundtief böse, andere lieb.“ Daniel wolle „nie jemandem weh tun“.
Nach dem Unfall lag der damals 17-Jährige im künstlichen Koma. „Ich habe gedacht, das muss so wie eine starke Narkose sein“, sagt Heike Huckebrink (56). Im Rückblick staunt sie über ihre Naivität: „Ich habe gedacht, er wacht wieder auf und sagt: ,Ej, was ist denn los?‘“
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Doch dazu kam es nicht. Daniel glitt aus dem künstlichen Koma direkt ins Wachkoma. Seine geöffneten Augen starrten ziellos ins Leere. Familie Huckebrink hat ein dickes Buch mit Berichten und Fotos angelegt, auch diesen Zustand haben Daniels Eltern dokumentiert: „Wir wissen bis heute nicht, was bei ihm wirklich angekommen ist.“
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Winzig kleine Babyschritte
Zur Begrüßung haben sie Daniel immer an der Schulter berührt und gesagt: „Hallo Daniel, wir sind da.“ An den angeschlossenen Monitoren konnten Daniels Eltern ablesen, wie Blutdruck und Herzfrequenz leicht anstiegen. Das Wachkoma war für Heike und Rüdiger Huckebrink schwer auszuhalten: „Hätte dieser Zustand angehalten, wäre es besser gewesen, er hätte nicht überlebt.“
Kein Arzt konnte sagen, ob Daniels Zustand sich je ändern würde. Doch Daniel schaffte es. Warum der junge Mann letztlich aus dem Wachkoma aufwachte, weiß niemand. Eine Krankenschwester habe ihm gesagt, berichtet Rüdiger Huckebrink, dass Daniel ihr aus Versehen beim Schneiden der Fußnägel aus dem Bett gefallen sei. Danach wachte er aus dem Wachkoma auf.
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Daniels Eltern starteten ihr eigenes Reaktivierungsprogramm – nicht immer zur Freude der Ärzte und Pfleger. Als Daniel zum ersten Mal schwach die Hand seiner Mutter drückte, erzählte sie dies Freude strahlend einer Schwester. Diese glaubte ihr nicht und sagte: „Gucken Sie mal nach Sendeschluss in den Fernseher. Wenn Sie lange genug hingucken, sehen Sie da auch was.“
Daniel saß auf der Rückbank, Fahrer war viel zu schnell auf eisglatter Straße unterwegs
Am 27. Februar 2006, nachts um 3 Uhr, fuhr Daniel im Auto eines Freundes von einem Bekannten mit. Der junge Mann, der aus Süddeutschland stammte, verunglückte mit seinem Auto auf der Bismarckstraße. Laut Gutachter sei er dort, wo man 50 km/h fahren darf, viel zu schnell gefahren, sagt Heike Huckebrink. Zudem habe es Glatteis gegeben. Der Notarzt habe glücklicherweise ganz in der Nähe an der Droste-Hülshoff-Straße einen Einsatz gehabt, von dem aus er in Minutenschnelle am Unfallort war. „Er musste die Opfer suchen, weil alles voller Trümmer war“, erinnert sich Heike Huckebrink.
Der Fahrer starb wenige Minuten später noch am Unfallort, der Beifahrer kam vergleichsweise glimpflich davon, er erlitt Schürfwunden und Schnittverletzungen. Daniel, der auf der Rückbank des Autos gesessen hatte, wurde schwerstverletzt, er erlitt unter anderem ein Schädelhirntrauma. Er wurde so schwer verletzt, dass Ärzte in der Dortmunder Klinik seine Eltern baten, von ihrem Sohn Abschied zu nehmen.
Gegen jede Wahrscheinlichkeit erholte sich Daniel. Heute arbeitet der junge Mendener tagsüber in den Iserlohner Werkstätten. Auf Pflege und Hilfe im Alltag ist er dauerhaft angewiesen.
Eltern zeigen große Eigeninitiative
Doch Heike und Rüdiger Huckebrink ließen sich nicht bremsen, zeigten immens große Eigeninitiative. Mit winzig kleinen Babyschritten kehrte Daniel ins Leben zurück. Rüdiger Huckebrink (57) schulte zum Ergotherapeuten um, um seinem Sohn helfen zu können. Daniels Aussichten waren schlecht, „infauste Prognose“, hieß es, erinnert sich Rüdiger Huckebrink. „Daniel könnte nie mehr laufen, sprechen, denken, sagten die Ärzte.“ Doch auch hier gaben die Huckebrinks nicht auf. „Wenn wir das alles nicht gemacht hätten, säße Daniel noch heute im Rollstuhl und könnte nicht essen“, sagt Heike Huckebrink.
Zwei Jahre lang funktionierten Daniels Eltern nur, pendelten zwischen dem Zuhause und Kliniken. Irgendwann waren die Kräfte aufgebraucht. „Als ich Daniel in der Klinik besucht habe, habe ich Späße mit ihm gemacht. Sobald ich im Bus nach Hause saß, fiel die Klappe“, erinnert sich Heike Huckebrink. Dann kam die Leere. Nach einer Kur waren die Energiereserven wieder aufgeladen. Kurz darauf ging es Rüdiger Huckebrink ähnlich, auch er fuhr in eine Kur. Seither gab es keine längere Auszeit mehr.
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Die Freunde von früher gibt es nicht mehr. „Bei Daniels Freunden verstehe ich das, die waren ja noch so jung“, sagt Heike Huckebrink. Doch von ihren Freunden sei sie enttäuscht. Niemand hätte sich dafür interessiert, „wie es uns geht“. Neue Freundschaften sind entstanden. „In der Not erkennst Du Deine wahren Freunde“, sagt Rüdiger Huckebrink nachdenklich.
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Ganz langsam verbesserte sich Daniels Zustand in den ersten Jahren nach dem Unfall, er gewann Eigenständigkeit beim Essen, Trinken, Anziehen, Denken zurück, Orientierung und Laufbild entwickelten sich positiv. Dann kam 2014 der große Einbruch. Damals erlitt Daniel seinen ersten großen epileptischen Anfall, lag mehrere Tage in einer Art Wachkoma. Als er wieder erwachte und seine Eltern ihn fragten, wie es ihm gehe, antwortete er: „Der Luftballon ist lila.“ Durch den Anfall sei „viel kaputt gegangen“, erläutert Rüdiger Huckebrink. Weitere Anfälle folgten. Bei jedem „Gewitter im Gehirn“ werden weitere Hirnzellen zerstört. Die Eltern schlafen mit Babyphon am Bett – um frühzeitig ein röchelndes Atmen zu hören, das einen neuen Anfall ankündigt. Dann muss es schnell gehen und Daniel braucht ein Notfallmedikament. Hilft das nicht, muss der Notarzt kommen.
Kein Kurzzeitgedächtnis mehr
Statt sich abzunabeln, wie andere Jugendliche es in Daniels Alter tun, dreht sich das ganze Leben seiner Eltern um ihn. Daniel kann nicht alleine bleiben, braucht rund um die Uhr Pflege und Begleitung. Beim Zähneputzen muss Heike Huckebrink die Zahnpasta auf die Bürste geben, beim Duschen ihm den Waschhandschuh anziehen, vor dem Anziehen ihm die Kleidung in der richtigen Reihenfolge hinlegen. Das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr. Daniel, das steht für seine Eltern fest, bleibt zu Hause wohnen, solange sie sich kümmern können: „Daniel kommt in kein Heim.“ Ob die Kraft reicht, diese Frage stellen sie sich nicht. Sie muss reichen. „Nur manchmal, da bin ich schon mal aggressiv und verzweifelt“, sagt Heike Huckebrink. Etwa wenn sie ihrem Sohn bei jeder Kleinigkeit helfen muss. „Du musst das doch hinkriegen“, sage sie dann, und im nächsten Moment weiß sie: „Er kann doch nichts dazu.“ Sie freut sich, wenn sie mit Daniel ausgelassen lachen kann. Bei allem, was Daniel früher mal konnte und jetzt nicht mehr kann, sieht sie mit dem Herzen einer Mutter: „Ich sehe noch ganz viel vom alten Daniel.“
Daniel Huckebrink: Von seinem Unfall bis heute