Wilgersdorf. Vor sechs Jahren erleidet 42-jähriger Wilgersdorfer einen Schlaganfall. Heute fährt er wieder Auto, geht mit dem treuen Labrador Rocky spazieren.

Der Rollstuhl steht im Schuppen, ganz hinten. Da gehört er auch hin. Denn Meik Schöler gehört nicht in den Rollstuhl. Er musste trotzdem drin sitzen: 2013 erlitt er einen Schlaganfall. Jahrelang kämpfte er für einen möglichst normalen, selbstständigen Alltag. Dass er mit Rocky, treue Labrador-Seele, seit 13 Jahren an seiner Seite, wieder Spazierengehen kann, hätte noch vor relativ kurzer Zeit kaum einer für möglich gehalten.

Meik Schöler ist ein Macher. Handwerksmeister, Stuckateur im Außendienst, Fußballer, jeder im Ort kennt ihn. 2013, sein drittes Kind war gerade geboren, musste Schöler wegen eines Knorpelschadens ins Krankenhaus, OP. Der Eingriff war nicht schwer, in der Klinik kein Bett frei, er konnte danach nach Hause. „Morgens beim Zähneputzen bin ich umgefallen“, sagt Schöler. Schlaganfall. Er konnte sich nicht mehr bewegen, musste vieles neu lernen. Zwei Jahre lang war er nur ab und zu am Wochenende zuhause.

Der Mut zu schenken

„Wilgersdorfer helfen Wilgersdorfern“ heißt die Aktion des umtriebigen Oldie Clubs im Ort (siehe Infobox) und genau für solche Fälle wie Meik Schöler gibt es sie. Alle im Dorf waren wie vor den Kopf geschlagen, als sie von Schölers Schicksalsschlag hörten, sagt Vorsitzender Karl Heinz Müller. Alle überlegten: Wie kann Meik wieder nach Hause? Was können wir tun? Er brauchte ebenerdige Räume, damit er nicht die Treppen hoch musste. Sein Haus hatte eine Garage. Das könnte klappen.

Der Oldie-Club

Seit 1999 beschäftigt sich der Oldie-Club mit hilfsbedürftigen Kindern in Wilgersdorf und rief aus diesem Grund die Benefizveranstaltung „Wilgersdorfer helfen Wilgersdorfern“ ins Leben.

Jedes Jahr kommt der komplette Erlös den Kindern zu Gute. In den vergangenen Jahren wurden mehr als 100.000 Euro ausgezahlt.

Der Oldie Club stellte und sammelte Spenden, das Dorf packte an. Wortwörtlich „das Dorf“, „die Hilfsbereitschaft war unglaublich, um Meik zu ermöglichen, wieder zuhause zu leben“, sagt Müller.

Die Berufsgenossenschaft zahlt alle Umbauten – das Geld ist wieder frei

Im Lauf der Zeit stellte sich heraus, dass Schölers Schlaganfall ein „BG-Fall“ war – ein Arbeitsunfall. Die Berufsgenossenschaft hatte die Details recherchiert – der Knorpelschaden, Grund für die Operation, war bei der Arbeit entstanden, „plötzlich hatte ich Schmerzen“, erinnert sich Schöler. Und die OP verursachte wohl den Schlaganfall. Auch Schölers Arbeitgeber kümmerte sich sehr um ihn.

Jedenfalls zahlte die Berufsgenossenschaft alle nötigen Umbauten in Schölers Haus, auch alle anderen Folgekosten, Reha-Maßnahmen. Das „Problem“, wenn man so will: Es war ja schon alles bezahlt. Der Oldie Club hatte Spenden gesammelt, die Wilgersdorfer hatten Schölers Haus umgebaut. Die Sache war erledigt.

Meik Schöler und Rocky.
Meik Schöler und Rocky. © Hendrik Schulz

Karl Heinz Müller erinnert sich: „Meik rief mich an und meinte, dass er das ganze Geld wiederkriegt.“ Und dann lief Müller kalt den Rücken runter – und das tut es noch heute. Denn Schöler sagte: „Ich will das Geld wieder spenden.“

„Ich hätte das auch getan, wenn er nicht mein Freund gewesen wäre“

Meik Schölers direkter Nachbar hatte wenige Monate vorher ebenfalls einen Schlaganfall erlitten. Auch während der Arbeit – aber es war kein BG-Fall. „Das verstehe ich nach wie vor nicht“, sagt Schöler. Jedenfalls brauchte sein Freund ebenfalls Umbauten im Haus, breitere Türen, ebenerdiges Schlafzimmer, was alles dazugehört. Die beiden sind Nachbarn, „wir haben beide im Dorf Fußball gespielt. Er ist mein Freund“, sagt Schöler. Obwohl Schöler Gladbach-Fan ist und sein Freund Schalker. Ihm wollte Schöler das Geld, das er selbst nicht mehr brauchte, zur Verfügung stellen. Karl Heinz Müller verkündete die Nachricht in der Turnhalle, nach einem Fußballturnier beim TuS Wilgersdorf. „Man konnte eine Stecknadel fallen hören“, sagt er.

Es gibt so viele anderen Menschen in Not, meint Meik Schöler. Warum hätte er das Geld behalten sollen? Keiner hätte ihm einen Vorwurf gemacht, wenn er es getan hätte. Aber so ist er nicht. „Ich hätte das auch gemacht, wenn er nicht mein Freund und Nachbar gewesen wäre.“

Der Mut zu kämpfen, für sich und für andere

Meik Schöler konnte seinem Freund nicht wieder beim Verputzen helfen, wie damals, als der das Haus gebaut hatte. Aber er hat es möglich gemacht, dass er wieder nach Hause kann. Und er kämpft für sie beide.

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Anfangs, nach dem Schlaganfall, konnte Meik Schöler keinen Ton mehr sprechen. Manchmal sucht er noch nach die richtigen Worte, aber „das hat sich sehr positiv entwickelt“, sagt er. Und nicht nur das. 2018 fuhr er das erste Mal wieder Auto, ins Stadion nach Gladbach, zu seinen geliebten Fohlen in den Borussia-Park. „Borussenfestung Siegerland“ steht auf den Nummernschildhalterungen an seinem Wagen, einem Spezialumbau, damit er mit einer Hand und einem Fuß alles bedienen kann.

„Es gibt viele, denen es schlechter geht“

Schöler hatte mit den Händen gearbeitet, war sportlich aktiv, viel unterwegs, im Dorf engagiert. Vieles davon ging nicht mehr, aber er wollte trotzdem nicht aufgeben. Schöler hat sich aus dem Bett, dem Rollstuhl herausgekämpft. Geschafft hat er das mit seinem Willen. „Ich habe drei Kinder“, sagt er, sie haben ihn lange nur im Krankenhaus gesehen. „Ich wollte raus, mit ihnen spielen.“ Es musste ihm einfach wieder besser gehen, es ging gar nicht anders. Manchmal hätte er alles hinschmeißen und nur noch heulen können. „Ich konnte es nicht ändern.“

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„Er hat schwer dafür gekämpft, dass es so ist, wie es ist“, sagt Karl Heinz Müller, der Schöler seit Jahren gut kennt, nicht erst seit sein Oldie Club sich für ihn einsetzte. „Meik kann wieder leben und am Leben teilnehmen“, sagt Müller und Schöler nickt heftig. „Es gibt viele, denen es schlechter geht“, sagt er und meint auch seinen Freund, der im Nachbarhaus liegt.

Weitere Mutmacher in der Region:

Kleine Fortschritte sind wichtig

Ihm will er Mut machen. Dass man nicht ans Bett gefesselt sein muss, auch wenn es ausweglos erscheint. Die Berufsgenossenschaft hat Schöler eine Reittherapie bezahlt, „das hat mir richtig gut getan“, erzählt er. Er fragte seinen Freund ob er mitkommt, der wollte nicht. Schöler nahm ihn trotzdem mit. „Er hat Spaß dran gefunden“, sagt er.

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Kleine Verbesserungen, die sind wichtig. „Jedes Mal, nachdem ich Meik etwas länger nicht gesehen habe, fällt mir wieder eine Verbesserung auf“, sagt sein Freund Karl Heinz Müller.

Der Mut, ein Vorbild zu sein

Schöler will nicht in Watte gepackt werden. Sein Körper will nicht mehr so wie früher, aber er ist immer noch der gleiche Meik Schöler. „Ich gucke vielleicht manchmal ein bisschen komisch“, sagt er, „aber ich lebe mein Leben. Ich kann einkaufen. Treppen steigen muss ich halt noch üben. Damit bin ich noch nicht fertig. Vielleicht wirds auch nicht wieder wie vorher.“ Er arbeitet aber dran. Schöler geht immer noch ab und an mal mit den Kumpels einen trinken. „Er stößt im täglichen Leben immer wieder an Grenzen, überlegt aber immer, wie er es umgehen kann“, sagt Karl Heinz Müller.

Zu Konzerten – zuletzt Rammstein und Metallica – nimmt Schöler den verhassten Rollstuhl doch mit, zur Sicherheit. Wegen der vielen Menschen und weil er fürchtet, dass die Lichtshow einen epileptischen Anfall auslösen könnte. Im Rollstuhl kann er immerhin nicht fallen. Aber im Urlaub am Tegernsee – wenn die Borussia im Trainingslager ist – fährt er mit dem Fahrrad. Das hat drei Räder und passt ins Auto.

Der Mut für einen Neuanfang

Seinen rechten Arm und sein rechtes Bein kann Meik Schöler nicht gut bewegen. „Aber ich kann laufen“, sagt er. „Ich lebe noch eine Weile – ich will das beste draus machen und nicht aufgeben.“ Den Traum eines selbstbestimmten Lebens hat er sich erfüllt.

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Jetzt würde er gern die schwere Zeit hinter sich lassen. Schöler saß lange im Rollstuhl, konnte sich berappeln, fährt wieder Auto, kann wieder laufen, wieder zuhause wohnen. Dann verließ ihn seine Frau. Der älteste Sohn lebt bei ihm, die beiden jüngeren bei der Mutter. „Die Erinnerung schmerzt, ich würde das gerne hinter mir lassen.“ Vielleicht in ein anderes Haus ziehen. Nicht weit.

Wieder arbeiten ist auch ein Traum. Sein Job hat ihm immer Spaß gemacht. „Ich habe das immer noch im Kopf. Ich würde es gerne auch wieder in die Finger kriegen.“ Schöler tauscht sich regelmäßig mit anderen jungen Schlaganfallpatienten aus, was geht und was nicht. Er ist immer auf der Suche nach neuen Aufgaben. Meik Schöler gibt nicht auf.

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