Attendorn. Mit der LEWA und Viega wenden sich zwei wichtige Akteure vom Attendorner Prestigeprojekt „Bigge Campus“ ab. So reagiert der Bürgermeister.
Als Christian Pospischil (SPD) im November 2022 seine Unterschrift unter die Kaufverträge für die ehemaligen Hoesch-Hallen am Wassertor in Attendorn setzte, ahnte der Bürgermeister wohl noch nicht, dass ein gewaltiger Sturm aufziehen würde. In zwei brandaktuellen Briefen, die unserer Redaktion vorliegen, fordern Unternehmer Walter Viegener (Viega) und die LEWA den Bürgermeister dazu auf, unverzüglich die Notbremse zu ziehen: Die Stadt müsse von ihrem Prestigeprojekt, auf dem Gelände der alten Industriehallen einen Uni-ähnlichen Campus („Bigge-Campus“) zu errichten, wieder Abstand nehmen. Andernfalls, so der bekannte Attendorner Unternehmer Walter Viegener, würde man sich ein „Millionengrab“ schaufeln.
Die Stadt indes wird ihre Ideen, die noch in den Kinderschuhen stecken, nicht voreilig über Bord werfen: Sie will auf dem rund 26.000 Quadratmeter großen Areal an der Südumgehung einen modernen Campus errichten, unter anderem mit dem Ziel, junge Nachwuchskräfte auszubilden, um Attendorns Stellenwert als Hightech-Standort zu erhalten. Denkbar sind zudem Wohnformen, Freizeitangebote oder Büroflächen. Für den Bürgermeister ist jedoch klar, dass die Stadt das Projekt nur gemeinsam mit der Wirtschaft vorantreiben kann: „Deswegen ist der Rückzug dieser beiden Akteure ein starker Einschnitt für unser Projekt.“
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Die Unternehmer Walter Viegener und Felix G. Hensel, Beiratsmitglied der LEWA, einem aus einer gemeinsamen Lehrwerkstatt hervorgegangenen ausbildungs-orientierten Gemeinschaftsunternehmen der Wirtschaft im Kreis Olpe, kritisieren im Kern, dass der Stadt bis heute ein tragfähiges Konzept fehle. Der „Bigge Campus“ sei weder konzeptionell noch personell und finanziell durchdacht und somit nicht umsetzbar. Der Bürgermeister hält dagegen, dass die Stadt am Ende gar nicht „das“ Konzept vorgeben wolle, sondern Uni und Unternehmen die Zielrichtung vorgeben müssten. Genau dafür sei eine Task Force gegründet worden, die zeitnah das erste Mal tagen wolle. „Die Entscheidungsgrundlage muss doch erst noch erarbeitet werden“, versteht Beigeordneter Carsten Graumann den frühen Rückzug nicht.
Ein Engagement der Uni Siegen ist aus Sicht Walter Viegeners, der der Stadt jedoch vorwirft, schon seit Jahren das Vorhaben zu planen, allerdings ausgeschlossen, denn: „Ich habe erhebliche Zweifel, dass weitere Außenstellen im Interesse der Uni Siegen liegen.“ Die Universität habe in den vergangenen Jahren unter Leitung des ehemaligen Rektors Prof. Dr. Holger Burckhart stets eine „Zwei-Standort-Strategie“ vertreten – die Ingenieurwissenschaften auf dem Haardter Berg, alle anderen Fakultäten in der Innenstadt. Der Attendorner Unternehmer glaubt nicht, dass die Uni daran etwas ändern werde, zumal sie in den vergangenen Jahren etliche Studierende verloren habe und sie ihr Augenmerk darauf richten werde, „das anspruchsvolle Bauprogramm in der Siegener Innenstadt umzusetzen“.
An einer Finanzierung „kostenträchtiger Prestigeprojekte in Städten wie Attendorn“ werde die Uni kaum Interesse haben. André Zeppenfeld, Pressesprecher der Uni, erklärt auf Anfrage, dass man die Entwicklung in Attendorn interessiert verfolge und sich gerne an Gesprächen beteilige, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten, aber: „Es gibt seitens der Universität keine Absicht, hier einen weiteren universitären Standort im klassischen Sinne aufzubauen.“
LEWA hat keine Ressourcen
Darüber hinaus sei laut Viegener völlig unklar, wie viel Geld die Stadt an Eigenmitteln beisteuern muss, um das gesamte Vorhaben „Bigge Campus“ zu realisieren. Wie teuer beispielsweise der Abriss des Gebäudes (aus Viegeners Sicht gibt es keine Alternative zu einem Komplettabriss) und die Bodenarbeiten (Stichwort Altlasten) werden, sei derzeit noch ungewiss. Allerdings ist der „Bigge Campus“ ein Regionale-Projekt, der Stadt winkt daher eine beträchtliche Fördersumme. Darüber hinaus hat sie eine Entwicklungsvereinbarung mit dem Land NRW unterschrieben, das der Hansestadt nicht nur als Ansprechpartner bei der Durchführung aller Verfahrensschritte zur Seite stehen wird, sondern auch 90 Prozent der Kosten für die gutachterlichen und planerischen Leistungen übernehmen wird. Wie diese aussehen werden, sei heute noch unklar. Pospischil: „Die Kosten können nicht ermittelt werden, solange die Inhalte nicht stehen. Darüber hinaus glauben wir, dass das Projekt über Investoren finanziert werden muss und nicht von uns“, wehrt sich der Bürgermeister gegen die Kritik Viegeners, man würde sich ein „Millionengrab“ schaufeln.
Der Attendorner Unternehmer teilt der Stadt in dem Brief mit, dass sich sein Unternehmen aus dem laufenden Erarbeitungsprozess zurückziehen und keinerlei finanzielle Verpflichtungen eingehen werde. Genauso wie die LEWA, der vermutlich wichtigste strategische Partner: „Die LEWA hat überhaupt keine Ressourcen, sich auf einer weiteren Spielwiese auszutoben“, betont Beiratsmitglied Felix G. Hensel. Man verfüge dank der guten räumlichen Ausstattung (inklusive der ehemaligen Dingerkus-Hallen jenseits der Bigge) über ausreichend Kapazitäten: „An einem zusätzlichen Raumangebot in den ehemaligen Hoesch-Hallen ist die LEWA definitiv nicht interessiert“, heißt es in dem Brief. Diese Aussage verwundert den Bürgermeister insofern, als dass gerade die LEWA ein Befürworter der Campus-Idee gewesen sei. „Wir haben nicht ins Blaue geplant, sondern sind von Bedarfen der LEWA ausgegangen, und zwar auf dem Gelände der alten Hoesch-Hallen.“
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Dass die Stadt die alten Hallen, die nicht nur Walter Viegener als „Schandfleck“ bezeichnet, erworben habe, sei hingegen die völlig richtige Entscheidung gewesen. Für Walter Viegener sei das attraktiv gelegene Areal am Rande der Innenstadt ideal für „eine intelligente Wohnbebauung unter Einbezug von in sozialer Hinsicht relevanten Infrastrukturelementen“. Der Appell von Viegener und Hensel an Bürgermeister Christian Pospischil: Er solle die Notbremse ziehen. Dieser entgegnet: „Wir werden jetzt mit allen anderen Projektbeteiligten sprechen und anschließend die Situation neu bewerten.“