Hagen. Mehr Geld für Busse in Hagen, Bürgerbeteiligung, mehr Platz für Radfahrer – warum Oberbürgermeister Schulz eine positive Bilanz zieht.

Oberbürgermeister Erik O. Schulz steht immer wieder in der Kritik der Ratsopposition, der Unternehmerschaft, der Medien aber auch der Bürger. Die Wahlbeteiligung in Hagen sinkt alarmierend, die Lage der Familien bleibt angesichts der Kita- und Schulversorgung kompliziert, und das Thema Zuwanderung diktiert den Rhythmus der Stadt. Im Gespräch mit der Stadtredaktion zieht der Verwaltungschef vor dem Hintergrund der aktuellen Situation eine Bilanz seines Wirkens.

Acht Jahre sind Sie nun im Amt. Für welche Erfolge steht Erik O. Schulz? Was konnten Sie erreichen?

Erik O. Schulz: Das Thema Intensität von Krisen, die wir seit 2014 hatten, stellt sicher eine Besonderheit dar, auch wenn manche davon schon halbwegs vergessen sein können. Die bedrohliche Lage bei Enervie, die Haushaltssperre gleich zu Beginn meiner ersten Amtszeit, die Zuwanderung aus Südosteuropa, die Flüchtlingskrise 2015, Corona, die Flut in Hagen, der kriegsbedingte Zustrom aus der Ukraine oder die Gas-Mangellage. Ich weiß nicht, ob es schon mal einen OB gab, der über 100 Krisenstabssitzungen in einer Amtszeit hatte.

Zieht nach acht Jahren im Amt eine positive Bilanz: Erik O. Schulz, Oberbürgermeister der Stadt Hagen.
Zieht nach acht Jahren im Amt eine positive Bilanz: Erik O. Schulz, Oberbürgermeister der Stadt Hagen. © WP | Michael Kleinrensing

Also sind Sie „nur“ ein Krisenmanager?

Nein. Ich glaube schon, dass wir neben dem Umgang mit Krisen auch andere Themen nach vorne gebracht haben. Auch wenn es darüber und über die Umsetzung eine unterschiedliche Sicht geben mag. Ich will nur das Integrierte Stadtentwicklungskonzept „ISEK“ nennen, das wir ja nicht im Elfenbeinturm, sondern unter großer, breiter Öffentlichkeitsbeteiligung auf den Weg gebracht haben. Auch in Sachen Mobilität haben wir viel erreicht. Wir haben nicht nur Masterpläne gemacht, sondern auch ganz konkret Dinge umgesetzt. Auch im Vergleich mit anderen Ruhrgebietsstädten ist hier viel passiert. Wir haben drei Millionen Euro in die Hand genommen und in den ÖPNV investiert. Das ist ein großer Schluck aus der Pulle. Auch beim Radverkehr muss man genau hinsehen, was in den letzten 20 Jahren passiert ist und was in den letzten drei. Es ist immer eine Frage, von wo aus man auf die Lage guckt. Wir haben 15 Kitas mit 1600 Plätzen gebaut und 1000 OGS-Plätze geschaffen. Dazu schreitet die Entwicklung am See voran – die Brücke rüber nach Werdringen, das Strandhaus. Am See haben wir einige Projekte in den Stiel gestoßen. Wir werden nun in ein Wettbewerbsverfahren für den Seepark gehen. Wir wollen landschaftsplanerisch bald zeigen können, wo wir hinwollen. Ich glaube, dass das eine durchaus positive Bilanz ist.

Die Zuwanderung nach Hagen hört ja nicht auf. Ist die Stadt dem überhaupt noch allein gewachsen?

Ganz klar: nein. Wir haben haben gezeigt, dass wir Zuwanderung und Flüchtlingsbewegungen organisieren können, aber wir werden es dauerhaft nicht allein schaffen. Wir werden es auch kurzfristig nicht schaffen, noch mehr Menschen aus der Ukraine unterzubringen. Da reicht die Unterstützung für die Kommunen, ähnlich wie bei den Altschulden, einfach nicht aus.

Und es verändert auch die Stadtgesellschaft, oder?

Bei den 0- bis 15-Jährigen haben wir aktuell schon einen Migrationshintergrund von 60 Prozent. Das ist eine Realität. Man muss aber auch aufpassen, dass man diese Entwicklung nicht als Gefahr für die Stadtgesellschaft deklariert. Ich kann mich erinnern, wie wir in meiner Schulzeit über die einwandernden Italiener und Türken sprachen und wie sich da Ängste entwickelten, die sich aus heutiger Sicht nicht bestätigt haben. Wir dürfen aber auch nicht einfach sagen „Wir sind bunt“. Wir müssen deutlich machen, in welchem Wertesystem wir leben und dass wir auch Erwartungen formulieren. Da müssen wir Angebote machen. Das geht nur über Bildung. Es liegen also Chancen und Risiken in der Zuwanderung für Hagen.

Sie haben im vergangenen Jahr einen neuen Fachbereich „Integration und Zuwanderung“ geschnitten. Was konnte er schon erreichen?

Der Fachbereich ist im vergangenen Februar an den Start gegangen. Die Kollegen haben gezeigt, dass sie schnell in der Lage waren, den Flüchtlingszustrom aus der Ukraine gut zu organisieren. Allein die Anmietung von 150 Wohnungen ist schon enorm. Da war übrigens auch nicht jedes Angebot für uns hilfreich. Da haben manche durchaus versucht, strategisches Leerstandsmanagement zu betreiben, um es mal vorsichtig zu sagen.

Wie soll das angesichts dieses Drucks weitergehen?

Wir haben alle keine Einschätzung, wie das weitergeht. Wir hören von Flüchtlingszahlen, die dramatisch sind. Und wir sind ein attraktives Zielland. Wir mieten prophylaktisch Wohnungen in zweistelliger Höhe an. Aber auch damit wird es angesichts der wohl steigenden Zahlen eng. Wir brauchen nicht nur Geld, wir brauchen auch Aktivitäten bei der Schaffung von zentralen Unterbringungen. Und da nehme ich Land und Bund in die Pflicht. Bei jedem Städtetag formulieren wir das auch erneut.

Selbst in der Pflicht sind Sie bei der Entwicklung von Gewerbeflächen. Sie haben Wirtschaftsförderung nicht zuletzt auch als Chefsache bezeichnet. Warum geht es auf Flächen wie bei Varta oder an der Westside so schleppend voran?

Bei Varta mussten wir zunächst die Eigentumsverhältnisse klären. Wir mussten erstmal Besitzer der Fläche werden. Und dann müssen wir auch noch über Altlastensanierung sprechen. Das ist ja bei der Westside schon geschehen.

Visionen, wie die Flächen entlang der Bahnhofshinterfahrung gestaltet werden könnten, gibt es reichlich. Allerdings lässt ein Umsetzung mit interessierten Investoren auf sich warten.
Visionen, wie die Flächen entlang der Bahnhofshinterfahrung gestaltet werden könnten, gibt es reichlich. Allerdings lässt ein Umsetzung mit interessierten Investoren auf sich warten. © WIRTSCHAFTSENTWICKLUNG GmbH

Und wieso dauert es dann so lange? Man wusste doch mit Beschluss zur Bahnhofshinterfahrung schon, dass da eine Fläche entsteht.

Als die Bahnhofshinterfahrung noch nicht freigegeben war, brauchte man auch noch keinen Investor zu suchen. Man kann niemandem eine Fläche anbieten, wenn er nicht weiß, wie Straßen verlaufen und wie sie angebunden sind. Als sie dann fertig war, haben wir zunächst ein anderes Vorgehen präferiert. Wir wollten die Fläche nicht mit einem Bebauungsplan, sondern mit einem potenziellen Investor entwickeln. Und dann landeten wir bei der Frage von Henne und Ei. Interessierte fragten uns: Was ist mit der Anbindung an den Bahnhof? Weil wir nun einen politischen Beschluss haben, den Werdetunnel mit anpacken zu können, verändert sich unser Vorgehen wieder. Nun konkretisieren wir zunächst die Rahmenbedingungen, um den Prozess vorzubereiten.

Da wird weitere Zeit ins Land ziehen…

Die Fläche wird nicht unter dem Qualitätsmerkmal „Schnell vermarktet“ weggehen. Das haben wir ja schon beim Hallen-Thema gesehen, als darüber diskutiert wurde, ob hier eine Sport-Arena realisiert werden kann. Manchmal muss man eben warten und hinnehmen, dass einige Menschen die Entwicklung als nicht schnell genug erachten. Wir wollen hier aber den richtigen Schritt für Hagen gehen. Das ist übrigens eine parteiübergreifende Ansicht.

Wie sieht es bei der oft beschworenen Brachen-Reaktivierung in Hagen aus?

So viele davon gibt es gar nicht mehr. Und eine Statistik des Regionalverbands Ruhr zeigt auch, dass die Nutzungsquote der Hagener Brachen höher ist als im übrigens Verbandsgebiet. Wir haben unser uneingeschränktes Erwerbsinteresse für Fläche der ehemaligen Dolomitwerke hinterlegt. Wir werden sie aber nicht selbst erwerben können. Das sprengt jede denkbare finanzielle Dimension. Und in der Obernahmer, wo es noch größere Flächen gibt, sehe ich es verkehrstechnisch kritisch. Das wird nicht gehen. Zur Wahrheit gehört auch: Die großen reaktivierungsfähigen Flächen haben wir nicht mehr.

Offenkundig wird ja auch aus einem Gewerbegebiet Böhfeld nichts. Oder doch noch irgendwann?

Beim Böhfeld gibt es keine Bereitschaft von entscheidenden Flächenbesitzern zum Verkauf. Das Thema wird in der Verwaltung deshalb auch derzeit nicht mit Hochdruck betrieben, weil wir, wie beschrieben, keine Kapazitäten haben. Wenn man die Fläche theoretisch doch erwerben könnte, wäre ja nichts schlimmer als sie nach einem Kauf liegen zu lassen.

2016 ist das Gutachten des Professors und Raumforschers Dr. Guido Spars auf Ihrem Schreibtisch gelandet. Der Hagener Wohnungsmarkt sei demnach versaut und mancherorts gibt es Mieten zwischen zwei und drei Euro pro Quadratmeter. 350 solcher Schrottwohnungen sollten jedes Jahr verschwinden, 150 zukunftsgerechte Wohnungen entstehen. Wie kommen Sie da voran?

Die Wahrheit ist: Wir kommen nicht schnell genug hinterher. Von 350 sind wir weit entfernt. Das ist aber letztlich nicht nur eine Frage der Stadt. Ich würde mich freuen, wenn der ein oder andere private Hausbesitzer, statt billigen Wohnraum anzubieten und die Notlage vieler Menschen auszunutzen, handeln würde. Wir brauchen eben mehr zukunftsfähigen Wohnraum.

Aber es müssen zunächst noch mehr Schrottimmobilien in Hagen vom Markt verschwinden? Tun Sie da genug?

Wo wir es mit Geld vom Land tun konnten, haben wir es vollends ausgeschöpft. Dazu haben wir das Förderprogramm genutzt. Aber auch da gab es in nahezu allen Fällen auch kritische Stimmen zum Abriss einzelner Objekte. Ich bleibe dennoch dabei: Wir können Menschen, egal wo sie herkommen, nicht zumuten, in solchem Wohnraum zu wohnen. Wenn man mal zum Bodelschwinghplatz guckt, ist das der richtige Weg, den wir dort mit der Entwicklung und die Hagener Erschließungs- und Entwicklungsgesellschaft mit der Sanierung von Wohnraum eingeschlagen haben.

Die Prognos-Studie hat der Stadt zuletzt eine düstere Zukunftsprognose ausgestellt. Ist so eine Botschaft nicht fürchterlich für Hagen?

Ich will jetzt nicht so verstanden werden, dass die Stadt sich bemüht, die Studienmethoden zu hinterfragen. Fakt ist aber schon: Die Themenbereiche Wohlstand, Arbeitsmarkt und Soziale Dimension werden in der Studie hoch gewichtet. Die Bereiche Wirtschaft und Innovation, wo wir im Mittelfeld liegen, werden für das Gesamtranking weniger gewichtet. Für mich ist die Studie daher insgesamt nicht Ausdruck von mangelnder Zukunftsfähigkeit dieser Stadt. Sie muss dennoch Ansporn sein für uns, Maßnahmen zu entwickeln.

Die guten Botschaften Hagens blendet die Studie also aus?

Es geht uns in dieser Stadt manchmal ab, die guten Botschaften ordentlich genug einzuordnen und zu würdigen. Wir reden zum Beispiel eher über abwandernde Unternehmen oder solche, die uns in den vergangenen Jahren verlassen haben, als dass wir uns freuen, dass Dörken 50 Millionen hier investiert und 300 Arbeitsplätze entstehen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass es nur das Narrativ gibt, dass Veränderungen bei Putsch, Nordwest und Douglas in Hagen ständig passieren. Tatsächlich ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hagen seit 2014 um rund 3500 gestiegen. Die schlechten Prognosen gelten ja für alle Ruhrgebietsstädte. Und trotzdem gibt es dort überall Möglichkeiten, Impulse zu setzen. Ich habe das mit gefühlt 1000 Themen in den vergangenen acht Jahren so erlebt. Ich weiß, dass ich nicht alle Probleme sofort lösen kann. Aber soll ich als OB jetzt den Kopf in Sand stecken? Ich will dauerhaft darauf hinwirken, etwas zu verbessern.

Sind die Horizonte, die wir in Prozessen in Hagen festlegen, nicht zu weit entfernt? Nehmen wir als Beispiel mal die Wachstumsstrategie „Hagen Horizonte 2035“...

Auch das ist eine spezielle Art, in Hagen auf die Dinge zu blicken. Machst du nichts, sagen alle, die sind untätig. Erarbeiten wir eine Zukunftsperspektive, sagen alle „Das ist zu weit weg“. Ich glaube, dass wir nicht nur viele Bürger zuletzt in Zukunftsformate eingebunden haben, sondern auch die richtigen Leitplanken entwickelt haben, an denen wir uns in der Zukunft orientieren wollen. Außerdem heißt 2035 nicht, dass wir da erst beginnen. Wir haben längst begonnen.

Dass eben jene Leitplanken und Visionen fehlen, das kritisierte beispielsweise auch immer wieder der Hagener Unternehmerrat...

Den ich schätze, trotzdem bin ich manchmal überrascht. Die Abende, an denen wir gemeinsam engagiert über die Zukunft Hagens diskutiert haben, verliefen immer in einem sehr angenehmen Rahmen. Für mich passt es dann nicht zusammen, wenn etwas zeitversetzt die öffentliche Kritik platziert wird, die ich noch dazu oft als sehr abstrakt empfinde.

Zuletzt sind noch 42 Prozent der Wahlberechtigten in Hagen zur Kommunalwahl gegangen. Tendenz: weiter sinkend. Tragen Politik und Verwaltung Mitschuld an dieser Politikverdrossenheit?

Wir können auf alle Bereiche der Gesellschaft gucken und werden feststellen: So wie es früher war, ist es heute nicht mehr. Als ich in eine Partei in Hagen eintrat, hatte die noch 4500 Mitglieder. Heute sind es vielleicht noch 1000. Dieser Trend betrifft ja auch das Vereinsleben. Wir müssen einfach immer wieder unsere Themen den Bürgern darstellen und sie zum aktiven Mitgestalten einladen. Aber auch das bleibt schwierig. Es gehört schlicht zur Wahrheit dazu, dass zum Beispiel die Teilnehmer an den ISEK-Work­shops, die wir öffentlich veranstaltet haben, nicht die gesamte Hagener Gesellschaft abbilden. Das zu verändern, stellt weitere Herausforderungen für uns dar. Und denen werden wir uns stellen.