Olsberg/Hochsauerlandkreis. Sie engagierte sich gegen die rechte Szene im HSK. Zuletzt wurde Christina Hesse aber immer öfter bedroht. Aus Angst verleiß sie das Sauerland.
Die letzten zwei Jahre waren hart für Christina Maria Hesse. Sie waren bestimmt von Angst und Drohungen. Irgendwann verlässt sie nicht mehr ihr kleines Häuschen in Olsberg, in dem sie gelebt hat. Traut sich nicht in die Stadt. Ihre Gesundheit leidet, mental und physisch. Der Grund ist ihr Buch, das die rechte Szene im Sauerland in den Fokus genommen hat. Der Grund sind die Anfeindungen, die sie wegen des Buches erreichen und wegen ihres Einsatzes gegen Rassismus und Antisemitismus. Bis sie entschließt, das Sauerland zu verlassen und woanders neu zu beginnen. Ein Schritt, der nicht feige ist, sondern mutig und entschlossen, sich von Ängsten nicht das eigene Leben diktieren zu lassen.
Ängstlich war Christina Maria Hesse eigentlich nie
Eigentlich war Christina Maria Hesse kein ängstlicher Mensch. „Als Kind, in Vaters Metzgerei, hatte ich Achtung und Respekt vor jedem Bullen, den imposanten, großen Tieren. Keine Angst! Meine Angst von heute ist mit der Angst der Vergangenheit nicht zu vergleichen. Heute habe ich Angst vor Schmerzen, Respektlosigkeit und Missachtung!“ Sie sind plötzlich da, ihre Ängste. Über die letzten Jahre gewachsen. Wegen der Pandemie, wegen der gesellschaftlichen Entwicklung, wegen des Rechtsrucks. Und wegen dem, was sie selbst erlebt hat.
Während der Pandemie rutscht sie in eine rechte Verschwörungsgruppe
Angefangen hat das mit ihrem Buch. Schon vor dem Virus hat Christina Maria Hesse Freundinnen an eine Szene verloren, die gefährlich ist. In ihrem Buch „VORIS – Verschwörung oder Rechtes Denken im Sauerland“ schildert die Sauerländerin ihre Erfahrungen, die sie in der HSK-Szene der Verschwörungstheoretiker machte – schonungslos ehrlich aus ihrer ganz eigenen Perspektive. Es sind 90 Seiten, die zeigen, wie ihre „Seelengruppe“ immer extremer wird. Wie ihre damaligen Freunde in die Rechte Szene abrutschen, gegen Juden hetzen und rassistische Inhalte teilen. Und Corona dann das Übrige tut. Das Buch verändert viel für Christina Maria Hesse. Damals spricht sie mit der WP über die Reaktionen. „Wir sind am nächsten Morgen herausgegangen und das Auto meiner Tochter war mit Eiern beworfen worden.“ Sie erreichen Hassnachrichten. „Verrecke.“ „Stell dich in eine Reihe mit den Kanaken.“ Christina Maria Hesse erzählt das mit einem halben Lachen in der Stimme. „Das ist natürlich einfach Dummheit. Diese Szene zeigt Dummheit.“ Jetzt, zwei Jahre später, klingt ihre Stimme viel ernster. „Ich habe das alles mit meinem Namen gemacht, aber die innere Angst wird größer. Das Buch kam heraus und jemand hat sich an unserem Auto vergriffen. Die Machtlosigkeit dagegen hat mir Angst gemacht, ich konnte nicht mehr herausgehen vor Angst. Wir leben dort.“ Die anonymen Drohungen per Mail oder Social Media ängstigen sie. „Ich habe mich ständig gefragt; ist das ein Nachbar? Kenne ich die? Das heimliche ist schlimm.“
„Wenn alle schweigen, ist das zu wenig“
Die Angst zermürbt und doch macht sie weiter. Steht auf, sagt ihre Meinung. „Wenn alle schweigen, ist das zu wenig. Es ist hart, aber wenn wir schweigen, wiederholt sich die Geschichte.“ Damit meint sie den Rechtsruck in der Gesellschaft, die Wahlerfolge der AFD, den mitunter offen kommunizierten Rassismus und Antisemitismus in den sozialen Netzen. Sie will verstehen, was dahinter steckt. Sucht Erklärungen. „Viele suchen für ihre Probleme einen Schuldigen, auf den sie alles abwälzen können. Das machen schon Kinder. Dazu kommt Gedankenlosigkeit. Die Menschen denken, das Elend von damals ist doch jetzt vorbei.“ Damals, Zweiter Weltkrieg, Judenverfolgung. Christina Maria Hesse fürchtet sich davor, dass eine Partei wieder dieses Gedankengut aufgreift und verbreitet. Erste Anzeichen sieht sie schon. Sie sieht den Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft, der insbesondere auf Social Media verbreitet wird. „Giftig“, sagt sie dazu. Giftig, weil das Netz Anonymität verspricht, in der man für diese Ansichten noch Applaus bekommt und sie so salonfähiger macht. „Nehmen wir doch nur den Fall Aiwanger. Dass das akzeptiert wird und einfach durchgeht, ohne dass Hubert Aiwanger Konsequenzen fürchten muss, das ist keine gute Entwicklung“, sagt Hesse. Hubert Aiwanger, stellvertretender bayerischer Ministerpräsident, hatte als Schüler angeblich ein antisemitisches Flugblatt herausgegeben, sein Amt hat ihn das nach einer Debatte nicht gekostet. Bei den bayerischen Landtagswahlen hat seine Partei indes an Wählern dazugewonnen. „Hätte das Aiwanger sein Amt gekostet, dann wäre das ein eindeutiges Zeichen gewesen, dass wir als Gesellschaft dieses Gedankengut nicht dulden“, sagt Hesse.
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Sie erzählt von rassistischen Erlebnissen – in Olsberg
Christina Maria Hesse erlebt auch in ihrer Realität Rassismus mit. Sie erzählt von einem dunkelhäutigen Paketboten, der in Olsberg abgewiesen worden sei – wegen seiner Hautfarbe. Sie erzählt von einer Geschichte ihres Umzugshelfers, der Kisten zwar hätte tragen, aber nicht auspacken dürfen – wegen seiner Herkunft. Erzählungen, die sie sorgen. Ihr Angst machen. Sie engagiert sich gegen Rechts, schreibt an Bundestagsabgeordnete, macht in Sozialen Netzwerken oder Reden auf Alltagsrassismus aufmerksam. Doch ihre Kraft schwindet.
Sie will sich ihr Leben nicht mehr von Furcht diktieren lassen
Irgendwann ist es genug. Christina Maria Hesse will sich ihr Leben nicht mehr von Furcht diktieren lassen. Will sich nicht isolieren, weil ihre Angst vor Anfeindungen so groß ist. Gemeinsam mit ihrem Mann trifft sie eine mutige Entscheidung. Sie wagt einen Neuanfang, zieht in eine Gemeinschaft im Münsterland. „Ich will nicht aufhören zu kämpfen, aber in Olsberg ist das sinnlos. Mit diesen Menschen komme ich nicht ins Gespräch. Das macht mir Angst.“ Der Umzug ist stressig, wochenlang haben die beiden keine Küche. Das Neue ist ungewiss. Jetzt lebt sie seit einigen Monaten dort – und ist glücklich. „Die Nachbarn sind wundervoll und nett, hier ist viel Natur. Hier können mein Mann und ich leben und arbeiten.“
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Neben ihrem Engagement baut sie sich eine rosafarbene Welt
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Und ihr Einsatz gegen Rechts? „In mir gibt es zwei Seiten. Die Rebellin, die nach vorne geht und anprangert. Und eine Seite, die Schutz braucht und sich eine rosafarbene Welt gebaut hat. Meine Kunstwerke helfen gegen die schweren Geschichten.“ Ihr Mann ist ihr Fels, gibt ihr Kraft und Mut. Zum Weitermachen. „Ich habe Angst davor, persönlich angegriffen zu werden. Ich will meine Gesundheit nicht mehr gefährden. Aber ich habe keine Angst davor, mitzumischen. Das ist das, was wir tun können: Mit Worten etwas bewegen. Zivilcourage zeigen.“