Hochsauerlandkreis. Christina Maria Hesse gerät in eine Szene rechter Verschwörungstheoretikern im HSK. Sie bricht mit ihnen, schreibt ein Buch - und wird bedroht.

Corona und die gesellschaftlichen sowie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie hat sie laut gemacht: Verschwörungstheorien und ihre Vertreter – seit der Corona-Pandemie nennen sie sich Querdenker. Im Sauerland sind sie vertreten, auch im Hochsauerlandkreis hatte die Szene zulauf. Schon vor dem Virus hat Autorin Christina Maria Hesse, Autorin aus Olsberg, Freundinnen in diese Szene verloren. In ihrem Buch „VORIS – Verschwörung oder Rechtes Denken im Sauerland“ schildert die Sauerländerin ihre Erfahrungen, die sie in der HSK-Szene der Verschwörungstheoretiker machte – schonungslos ehrlich aus ihrer ganz eigenen Perspektive und positioniert sich vehement gegen die abstrusen Theorien – auch, wenn ihr das Drohungen und Beleidigungen einbringt.

Sie lernen eine Freundin kennen – alles scheint normal

Die Olsbergerin Christina Maria Hesse lernt Anne bei einem Gesprächskreis in Brilon kennen, ihr Ehemann Uwe Hesse ist dabei. Das Paar lebt in Olsberg, Christian Maria Hesse hat Bücher geschrieben, ist Künstlerin und gestaltet verschiedene Projekte. Mit Anne, deren Namen sie in ihrem Buch geändert hat, verbindet sie das Interesse an den schwierigen Themen im Leben. Wiedergeburt, Kirche, Glauben.

In ihrem Buch schildert die Olsbergerin, wie hart diese Erfahrung für das Paar war. 
In ihrem Buch schildert die Olsbergerin, wie hart diese Erfahrung für das Paar war.  © WP | Jana Naima Schopper

„Wir konnten reden, gerne auch über Jozef Rulof und seine Bücher“, sagt Christina Maria Hesse. Doch Anne, ihre Freundin, beginnt, die Theorien des niederländischen Autors neu zusammenzubauen und mit ihren eigenen Vorstellungen zu vermischen. „Und dann kam QAnon und plötzlich drehte sich der Austausch“, sagt Uwe Hesse. „Es wurde aggressiv“, sagt Christina Maria Hesse.

„Frau Merkel isst Kinderfleisch! Kuru, Kuru!“

Das Paar ist zu dieser Zeit Mitglied einer Gruppe, die sich regelmäßig zum Austausch treffen. „Seelengruppe“, nennt die Autorin das in ihrem Buch. Reden beim Kartoffelbraten mit Freunden – alles ganz harmlos. Doch der Ton wird rauer, die Ansichten kruder. „Trump war plötzlich der Retter“, sagt Uwe Hesse. „Sie glaubten, dass wir in Deutschland zu den privilegierten Ländern gehören und alle anderen sterben müssen“, erzählt Christina Maria Hesse. In ihrem Buch schreibt sie, dass Anne glaubt, dass Menschen in China, Japan oder Afrika nur Roboter seien – ohne Seele oder Bewusstsein. Über Angela Merkel sagt Anne irgendwann einmal: „Frau Merkel hat Kuru! Das ist eine Krankheit, die Kannibalen bekommen. Frau Merkel isst Kinderfleisch! Kuru, Kuru!“ Nach dieser Aussage liegt Christina Maria Hesse die ganze Nacht wach. Anne ist ihre Freundin. Sie und ihr Mann hoffen auf ein Strohfeuer, „es würde sich wieder legen, so dachten und hofften wir.“

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Die Autorin wendet sich an Fachleute, sucht Rat. Ihr Tipp: Beobachten. „Ich ging nur noch als Beobachterin zu diesen Treffen, um zu dokumentieren und meine Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu bringen.“ Auf rund 90 Seiten schildert sie, wie ihre „Seelengruppe“ immer extremer wird. Wie ihre damaligen Freunde in die Rechte Szene abrutschen, gegen Juden hetzen und rassistische Inhalte teilen.

Es fiel dem Ehepaar schwer, sich zu lösen

„Esoterisch interessierte Menschen sind empfänglich für diese Theorien“, sagt Christina Maria Hesse. Uwe Hesse entgegnet:

Ein Buch und seine Reaktionen

Das Buch „VORIS – Verschwörung oder Rechtes Denken im Sauerland“ ist im Dirk-Laker-Verlag erschienen.

Christina Maria Hesse beschreibt, dass die zahlreiche Drohungen und Beleidigungen wegen des Buches erhält. Sie solle lieber AFD wählen, rechtschaffene Arbeit ergreifen oder schlicht anderes Denken lernen. „Ich stehe aber mit meinem vollen Namen für dieses Buch. Ich habe keine Angst.“

Sie bekommt auch viel positives Feedback, durfte schon für mehrere Zeitschriften über das Thema sprechen.

„Wer esoterisch begabt und schlau ist, schafft es aber aus so einer Gruppe raus.“ Er hält kurz inne. „Obwohl auch wir zum Kern dieser Gruppe gehört haben. Uns fiel es schwer, uns zu lösen.“ Und seine Frau ergänzt: „Das waren unsere Freunde.“ Die beiden glauben, dass die Theorien rund um QAnon und co. besonders nicht gesunde Menschen ansprechen – sei es physisch oder mental. „Diese Wahrheiten verheißen den Menschen, dass sie bald wieder gesund werden“, sagt Uwe Hesse. Wie Lina. Eine weitere Freundin in dem Kreis. Am Anfang ist sie still, fast unsicher beschreibt Christina Maria Hesse. „Dann wurde sie immer mehr einkassiert.“ Lina wird extremer, teilt dieselben Inhalte, Positionen. Wie haben die Frauen in dem Kreis sie so sehr mit ihren Theorien überzeugt? „Sie haben den Punkt getroffen. Sie hatte keine richtige Aufgabe. Hat einen Hass auf Ausländer entwickelt, weil sie selbst nichts habe, aber die alles vom Staat bekämen“, sagt Uwe Hesse. „Sie hat sich aus Unsicherheit drangehängt, wie ein Esel der am Halfter folgt.“ „Lina hat Dinge im Internet gesucht, die sie bei Anne gut haben darstellen lassen“, erklärt Christina Maria Hesse. Sie will dazugehören.

Zu aggressiv vertreten die Menschen ihre Meinung

Das Paar aus Olsberg wendet sich von der „Seelengruppe“ ab. Zu extrem, zu aggressiv sind die Menschen dort. „Jeder darf seine Meinung vertreten. Aber zu behaupten man lehne Organspenden ab und dann keine guten Argumente zu bringen sondern sich auf den Gottvater oder andere Theorien zu berufen, das ist fadenscheinig.“ Während Christina Maria Hesses Buch entsteht, kommt das Virus.

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„Und plötzlich plöppten überall diese Theorien auf und die Menschen nennen sich Querdenker. Das ist brandgefährlich“, sagt Uwe Hesse. Corona habe diese Entwicklung rasant beschleunigt. „Jetzt haben diese Menschen eine Bühne, bekommen ihre Zustimmung und ihren Applaus und werden so natürlich immer lauter – und extremer“, erklärt Christina Maria Hesse. Sie ärgert sich fast ein wenig, dass ihr Buch schon fertig gewesen ist, als in Brilon die Montagsdemos der Querdenker vor dem Rathaus begannen und die Verschwörungstheorien immer mehr Raum in der Öffentlichkeit einnahmen.

Christina Maria Hesse und ihr Mann Uwe haben versucht, ihre Freunde einzufangen. Haben argumentiert, geredet, diskutiert. Ohne Erfolg. Die Antwort blieb ein stetes, aggressives Beharren auf der eigenen Weltsicht. Christina Maria Hesse sagt: „Man darf trotzdem nicht aufhören, wir müssen weiter diskutieren.“ Uwe Hesse sagt: „Bekehren kann man sie nicht.“ Ein Dilemma? „Wir haben es geschafft, wenigstens diesen Kreis zu sprengen“, sagt Christina Maria Hesse. Die Gruppe, wie sie existierte, trifft sich nicht mehr.

Was kommt, wenn Corona vorbei ist?

Und jetzt, nach Corona? Wo all das, was die Verschwörungstheoretiker – einen Diktaturstaat zum Beispiel – angekündigt haben, nicht eintrifft? „Ich denke, diese Menschen wenden sich anderen Führern zu, wenn die es gut machen. Sie sehnen sich nach einem schwarz-weißen Weltbild und übernehmen im Zweifel auch andere Ansichten“, vermutet Uwe Hesse. Seine Frau ist sicher: „Unsere Zeit wird sich wandeln, gerade nach den Wahlen. Unser Rechtsstaat ist in Gefahr. Wir müssen die Augen öffnen und Haltung zeigen.“