Paderborn/Hochsauerlandkreis. Der Aufstieg der AFD macht Angst. Professor Dr. Peter Fäßler von der Universität Paderborn sagt, wie gefährlich die Partei wirklich werden kann.
Professor Dr. Peter Fäßler arbeitet in der Fakultät für Kulturwissenschaften, dem Historischen Institut Paderborn und ist Experte für Zeitgeschichte. Im Interview bezieht er Stellung zur Gefahr, die durch den Aufstieg der AFD droht und wie sicher die deutsche Demokratie derzeit ist.
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Die AFD feiert Wahlerfolge und ist größer und präsenter denn je. Woran liegt das, Ihrer Einschätzung nach?
Peter Fäßler: Wir wissen aus Langzeitstudien, dass es schon immer einen Pool von 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung gegeben hat, der empfänglich für Positionen ist, wie sie die AfD vertritt. Diesen Graubereich hat es in dieser Größenordnung schon immer gegeben, und in den letzten Jahren ist er stärker ans Tageslicht gedrungen. Das hat zwei wesentliche Ursachen: Zum einen die Zuwanderung nach Deutschland in den letzten Jahren. Die Migration stellt das nationalstaatliche Ordnungssystem auf die Probe und damit eine tief sitzende Grundvorstellung von unserer Identität. Diese Veränderungen werden von einigen Teilen der Bevölkerung als Bedrohung empfunden. Eine weitere Ursache ist das Repräsentationsdefizit dieser Gruppe. Sie fühlen sich in ihrem Lebensstil oft übersehen bis abgelehnt seitens einer in den Großstädten beheimateten vermeintlichen Meinungsführerschicht (Avantgarde, links-grüne Akademiker u.a.m.).
Muss uns der Wahlerfolg der AFD Angst machen?
Angst lähmt uns psychisch. Im Falle einer persönlichen Bedrohung kann der Wahlerfolg durchaus Ängste hervorrufen. Ich betrachte die Wahlerfolge der AfD weniger mit Angst als vielmehr mit analytischer Sorge. Die AFD kann gefährlich für unser politisches System werden, aber wir leben in einer Demokratie, die mittlerweile über 70 Jahre alt ist und gut funktioniert. Es gibt daher einen beachtlichen Vertrauenskredit in die demokratische Kultur und Stabilität unseres Landes. Gründe für Sorgen gibt es aber durchaus. Sollte die AFD an die Macht kommen, wissen wir nicht, ob sie sich an die demokratischen Spielregeln hält oder versuchen wird, beispielsweise die Gewaltenteilung aufzuweichen. Dies muss man im Auge behalten. Ich sehe aber nicht, dass die AfD Wählerpotenzial für eine relative oder gar absolute Mehrheit hat; mutmaßlich schaffen sie es höchstens auf 20 bis 25 Prozent. Aber auch aus Minderheitspositionen kann man etwas bewegen. Mich sorgt vor allem, dass im Falle einer AfD-Regierung Personen mit Entscheidungsbefugnissen dem Druck nicht standhalten könnten und im Sinne der AfD handeln. Viele hängen ihr Fähnchen in den Wind, so haben wir es auch in den USA beobachtet. Mich entsetzt weniger Trump, sondern vielmehr die Leute hinter ihm, die ihn zuvor verspottet haben und sich nun als glühende Fans bezeichnen. Ich beobachte also den Wahlerfolg der AFD nicht mit Angst, aber mit Sorge.
Meine Protagonistin fürchtet, dass die AFD irgendwann eine Regierung stellen wird, ist das realistisch?
Ja, das ist realistisch. Eine Regierung bzw. Leitung von Verwaltungsbehörden gibt es auf verschiedenen Ebenen, Bund, Land, Kreis und Kommunen. In zwei Bereichen stellt die AFD schon Führungspersonal, in Kommunen und im Kreis. Gleichzeitig wird es politische Handlungsfelder geben, in denen andere Parteien punktuell und temporär mit der AFD kooperieren werden. Damit setzt aber ein Gewöhnungseffekt ein, die AfD wird gewissermaßen salonfähig. Es ist recht realistisch, dass die AFD an Regierungen beteiligt sein wird, dass sie aber den Kanzler stellen wird, halte ich für die nächsten zehn Jahre für unrealistisch.
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Meine Protagonistin fürchtet außerdem einen Rechtsruck in der Gesellschaft. Gibt es diesen und wie gefährlich ist er?
Ich würde nicht von einem Rechtsruck sprechen, aber es gibt eine Erosion der politischen gemäßigten Mitte. Vornehmlich nach rechts, aber auch nach links – hin zu den lauteren Polen. Das halte ich für gefährlich. Es gibt alltägliche Gewalt, wie sie auch Ihre Protagonistin erfahren hat. Und dass die demokratischen Spielregeln eingehalten werden, bezweifle ich auch hier.
Was braucht es in oder für die Gesellschaft, um gegen den Rechtsruck vorzugehen und diesen einzudämmen?
Man muss sich erst einmal fragen, was „rechts“ überhaupt bedeutet. Bedenklich finde ich die oftmals zu beobachtende Praxis, Positionen zu stigmatisieren, die durch das Grundgesetz gedeckt sind. Das sollten wir nicht tun. Die Überlegung beispielsweise, wie wir mit Zuwanderung umgehen und diese umsetzen, ist doch rational und berechtigt. Manche Menschen können Zuwanderung sehr entspannt sehen, für manche Menschen erscheint sie bedrohlicher. Wen machen wir da zum Maßstab einer verbindlichen Bewertung? Wir müssen realisieren und respektieren, dass Zuwanderung für manche Menschen beängstigend sein kann, das macht sie nicht gleich zu „Rechten“ oder „Rassisten“.
Wie schaffen wir es als Gesellschaft, wieder gemäßigtere Töne anzuschlagen und in konstruktivere Debatten einzusteigen?
Wir haben eine überhitzte und erregte Debattenkultur, das ist ein Riesenproblem für unsere Demokratie. Wir müssen zurück zu hinreichender sachlicher Kommunikation, die nicht so schnell aus dem Ruder läuft. Dass das passiert, hat mehrere Gründe: Einer ist unsere digitale, strukturierte Gesellschaft. Social Media sowie die Unmenge an Informationsportalen sorgen dafür, dass Massenkommunikation qualitativ anders ist als in den 80ern. Auch damals wurden harte Bandagen aufgefahren, denken Sie an den Streit um Brandts Ostpolitik, den Aufstieg der Grünen oder die Debatte um den § 218. Aber damals wusste man, wer welche Äußerung macht, man wurde direkt zur Rechenschaft gezogen. Im Netz kann sich jeder noch so ausfällig äußern, ohne unbedingt Konsequenzen tragen zu müssen. Ein weiterer Grund: Die gesellschaftliche Separierung beispielsweise von Arm und Reich, von Metropole und Provinz u.a. Das sind harte Bruchlinien in der Gesellschaft; sie zeichnen sich oftmals bereits im Kindergarten und der Schule ab. Solche Separierungen in der realen Gesellschaft setzen sich in der virtuellen „Netzgesellschaft“ fort, wo Echokammern und Bubbles den demokratischen Austausch erschweren. Letzter Punkt: Gleichzeitig geht es inhaltlich ans Eingemachte. Der Streitpunkt Migration rührt an einen Grundgedanken – wie stellen wir uns unsere Gesellschaft eigentlich vor? Was bedeutet für uns Nationalität? Wer ist „der Deutsche“? Das ist wie ein großes Sozialexperiment. Auch beim Klimawandel geht es um die Existenz künftiger Generationen. Diese Gründe – weitere ließen sich benennen – sorgen dafür, dass wir in eine sehr ungewisse Zukunft blicken. Da liegt es nahe, dass Diskussionen emotional geführt werden.
Haben Sie dafür Lösungsansätze?
Demokratie heißt im Kern friedliche, geregelte Kommunikation. Das bedeutet, wir müssen mit vielen Menschen reden und andere Meinungen gelassener ertragen, auch wenn wir nicht zustimmen. Digital müssen wir unbedingt den Rechtsstaat verstärkt durchsetzen und den digitalen Raum verrechtlichen.
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Wie kann die Politik es schaffen, die AFD-Wähler zurückzuholen?
Die Parteien haben bestimmte Bevölkerungsgruppen aus den Augen verloren. Bei der Linken und der SPD habe ich schon den Eindruck, dass sie Arbeitnehmer geringerer Qualifizierungsstufen aus dem Blick verloren haben. Politiker sind mehrheitlich Akademiker mit entsprechendem Habitus. Nicht-Akademiker haben es deutlich schwerer, in diesem Umfeld akzeptiert zu werden.