Willingen. Willingen will weg vom Party-Image, wird aber wieder von partywütigen Gästen heimgesucht. Das hat auch Folgen für Anwohner und Touristen.
„Die Leute kommen am Ortsschild vorbei und haben das Gefühl, sie verlassen jetzt die normale Welt“, schildert Bürgermeister Thomas Trachte die Folgen, die das Party-Image Willingens nach sich zieht. Der Wochenendtourismus sei inzwischen mit negativen Begleiterscheinungen verbunden, die weder der Bevölkerung noch den Familien- und Erholungsgästen zuzumuten seien:
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„Dabei sind das Leute, die im täglichen Leben gar nicht asozial sind.“ Dass das schon länger vorhandene Problem sich schlimmer anfühle, führt Trachte auf Veränderungen im gesellschaftlichen Wertesystem zurück: „Das Verhalten vieler Menschen ist insbesondere beim Feiern extensiver; es wird weniger Rücksicht genommen, es gibt mehr Vandalismus und wichtige Benimmregeln in der Öffentlichkeit werden nicht mehr beachtet.“
Ordnungskräfte in Willingen sind stark gefordert
Für die örtlichen Ordnungskräfte sei das extrem fordernd. Sie würden beleidigt und bedroht. Dazu gehören die sieben Hilfspolizisten: Diese Angestellten der Gemeinde gehen dem als Nebentätigkeit nach, sind dafür ausgebildet und haben polizeiliche Befugnisse, mit denen sie gegen Störer vorgehen können. Zwei bis vier von ihnen sind pro Tag im Einsatz, die reguläre Polizei unterstützt. Dazu kommen 15 bis 20 Security-Mitarbeiter. Die haben keine polizeilichen Befugnisse, können aber zum Personenschutz eingreifen und die Hilfspolizisten unterstützen.
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„Dieser Personalbestand reicht nicht ansatzweise“, hält Trachte fest – die teils heftige Kritik an den Ordnungskräften sei deshalb nicht fair. Die Hilfspolizisten müssten den öffentlichen Raum überwachen, Streifen fahren, Störungen beseitigen und auf Anrufe von Privatleuten wie Betrieben reagieren.
Mehr Geld für Hilfskräfte in Willingen
Tourismus-Manager Norbert Lopatta überschlägt, dass ihnen zehntausende Tagesgäste gegenüberständen: „Da setzen Städte Hundertschaften ein.“ Aktuell sind für Hilfspolizei und Security 160.000 Euro im Etat, erläutert Thomas Trachte. Mit 700.000 Euro würden sich 15 hauptamtliche Hilfspolizisten bezahlen lassen: „Das reicht immer noch nicht, würde uns aber in die Lage versetzen, erheblich mehr einzugreifen.“
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Im Haushalt seien diese Gelder nicht vorhanden: „Da sind wir in der Pflicht, Mittel zu finden.“ Auch dann sei Personal allerdings schwierig zu finden. Ein weiterer Punkt: „Selbst wenn wir erfolgreich gegen Störer vorgehen, so hat dies keine dauerhafte Wirkung, weil an dem nächsten Wochenende wieder neue Gäste kommen und alles von vorn beginnt. Das ist auf Dauer sehr anstrengend und demoralisierend.“
Image als Party-Ort hat sich festgesetzt
Familien, Wandern, Biken: Mit diesen Themen wirbt Willingen für Urlaub im Upland, erklärt Norbert Lopatta. Und das nicht umsonst: „Was wir in Willingen haben, soll mir mal anderswo einer zeigen.“ Die Gemeinde könne einen Rahmen und Schwerpunkte setzen. Doch das Image als Party-Ort habe sich festgesetzt, jeder Post in sozialen Medien stärke es: „Das kann man gar nicht kompensieren. Egal mit welchem Aufwand.“
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Der Wochenendtourismus habe einen erheblichen Anteil an der Willinger Wertschöpfung, erklärt Thomas Trachte: „Wir brauchen neben anderen Gästegruppen auch den gepflegten Wochenendgast und möchten gleichzeitig die störenden Gästegruppen vermeiden. Diese Trennung ist aber in der Praxis gar nicht einfach.“
Gemeinde Willingen will Partytouristen nicht
Das Marketingkonzept der Gemeinde soll etwa Familien, Aktiv-, Erholungs- und Gesundheitsurlauber ansprechen, 2021/22 wurde es in Zusammenarbeit einer Fachagentur und Vertretern der heimischen Wirtschaft überarbeitet. Schaffung und Betrieb von Infrastruktur diene diesen Zielen. „Die Gemeinde will diese grölenden, randalierenden und insgesamt störenden Partygäste nicht“, hält Trachte fest. Lopatta ergänzt, dass nicht jedes neue Hotel-Projekt unter Generalverdacht gestellt werden dürfe: „Ich glaube nicht, dass B&B nach Willingen kommt, um Säufer anzuziehen.“
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Wichtig sei die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, von der die Umsetzung abhänge, so Trachte: „Ich denke, wir können unsere Probleme nur gemeinsam und miteinander lösen. Wenn alle in die gleiche Richtung denken und eine Veränderung wollen, wird es garantiert auch entsprechende Ergebnisse geben.“ Eine geschlossene Linie zu entwickeln, sei schwierig: „Aber das soll uns nicht davon abhalten, es zu versuchen“.
Das sagen Anwohner über den Partytourismus in Willingen
Wenn am Freitag die ersten Rollkoffer ertönen, lässt das Grölen nicht lange auf sich warten. Bevor schon im Zug betrunkene Gestalten dann mit der Bierflasche in der Hand vorbei laufen, gehen Anja und Karl-Heinz Urff lieber ins Haus und bleiben das Wochenende über auch da.
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So schildert es das im „Neuen Weg“ lebende Ehepaar. „Das hier ist die Einflugschneise“, sagt Karl-Heinz Urff. Routen zwischen Party-Meile und Seilbahn, Bahnhof und Unterkünften verliefen dort, wie auch in „Zur Hoppecke“, „Zum Kurgarten“ und „Auf dem Gehren“. Seit seiner Geburt 1964 wohnt Karl-Heinz Urff in der Straße: „Sie kommen schon seit ich klein war, im Laufe der Jahre ist es mehr geworden.“ Auch die Beschwerden wüchsen. Am Wochenende um das Festival „Viva Willingen“ sei das Maß übervoll gewesen, die Störungen hätten einen Höhepunkt erreicht, fügt seine Frau hinzu. Von 15 Uhr bis nachts um 3 sei es laut, schildert Karl-Heinz Urff. Betrunkene pinkeln direkt gegenüber des Hauses an die Wand – oder verrichten auf der anderen Seite im Kurgarten nachts ihre Notdurft.
Randale, Vandalismus und mehr
Es bleibe nicht bei Randale und Vandalismus, berichtet Anja Urff: Am Ettelsberg sei sie einmal vom Rad geschubst und getreten worden. Ihr Mann sei fast geschlagen worden, als er Leute ansprach, die eine Fahne vor dem Haus gestohlen hatten. Das sei nicht schlimm ausgegangen, sagt er. Fest stehe aber: „Man kommt schnell in eine brenzlige Situation und alleine machst du nichts.
Am Wochenende bleibst du lieber in der Bude.“ „Ich möchte mal wieder alleine raus gehen können“, sagt Anja Urff. Ihrer Meinung nach sind zu wenig Ordnungskräfte präsent, vor allem nachts. Sie bei Störungen zu erreichen, sei kaum möglich. Dass die Hilfspolizisten und Security-Mitarbeiter nicht jedes Problem angehen können, verübelt Karl-Heinz Urff ihnen nicht: „Was sollen sie auch ausrichten gegen große Gruppen alkoholisierter Männer?“ Er folgert: „Es ist einfach für den Aufmarsch an Leuten viel zu wenig.“
Videoüberwachung im ganzen Ort ist nicht erwünscht
Lösungen seien nicht einfach: Es sei nicht möglich oder wünschenswert, den ganzen Ort per Video zu überwachen. Die geplante Fußgängerbrücke würde wohl etwas Linderung bringen: „Wie viel, das weiß ich nicht“, sagt er aber: Schließlich sei der „Neue Weg“ immer noch die kürzeste Verbindung zu tiefer im Ort gelegenen Kneipen. Das Ehepaar wäre dafür, nachts den Kurgarten abzusperren und von jedem Gast Geld zu nehmen, um die Ordnungskräfte aufzustocken.
Neuen Hotelprojekten stehen sie ablehnend gegenüber – es sei klar, dass da wieder Clubs reinkommen. Für viele sei der Party-Tourismus eine sichere Einnahmequelle. Daran hingen auch Hotels, Geschäfte und Handwerker. Wer daran Geld verdiene, mische auch in der Politik mit. „Warum sollte jemand sagen, wir wollen weniger?“, fragt sich Karl-Heinz Urff. Immerhin sollte sich manch ein Betrieb ehrlich machen, der einfach behaupte: „Das sind nicht unsere Gäste.“ Überlege er, ob er lieber wo anders wohnen würde? „Manchmal schon“, räumt er ein. Guter Rat sei teuer – er hoffe, dass mal alle Seiten an einen Tisch kommen und ernsthaft über das Thema reden. (