Dortmund. Gabie Raven leitet Praxen für Schwangerschaftsabbrüche in Dortmund und den Niederlanden. Warum es Betroffene in Deutschland schwerer haben.
- Gabie Raven hat in den Niederlanden und Dortmund Praxen eröffnet, die sich auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisiert haben – und erhält dafür regelmäßig Drohungen.
- Warum die 62-Jährige es wichtig findet, Abbrüche anzubieten, warum es Frauen in den Niederlanden ihrer Meinung nach leichter als in Deutschland haben und was sich aus ihrer Sicht ändern muss.
- Lesen Sie hier ihr Protokoll:
„Warum ich als Ärztin Schwangerschaftsabbrüche anbiete? Ganz einfach: Weil ich gesehen habe, was passiert, wenn das keiner macht. Als junge Ärztin habe ich in einem Missionskrankenhaus in Sambia gearbeitet. Die Regeln waren so streng, dass wir dort nicht mal mehr Verhütungsmittel anbieten durften. Die schwangeren Frauen hatten dann keine andere Wahl, als zum ,Hexen-Doktor‘ zu gehen. Viele von ihnen sind gestorben.
Ich komme aus den Niederlanden und habe dort zwei Praxen für Schwangerschaftsabbrüche und Verhütung, in Rotterdam und Roermond. Bei uns in Holland ist es ganz normal, dass es extra Kliniken nur für Abbrüche gibt. In Deutschland gibt es das bisher kaum. Das ist auch einer der Gründe, warum ich vor zwei Jahren meine Praxis in Dortmund eröffnet habe.
Dortmunder Ärztin bekommt Drohanrufe
Das hat am Anfang zu vielen Protestaktionen geführt. Jetzt ist es etwas ruhiger geworden, die letzte Demo war kurz vor Weihnachten. Vor meinen Praxen in Holland ist es leider anders, da belästigen fast jede Woche Menschen die schwangeren Frauen, die zu uns kommen.
Was schön ist: Es gibt mittlerweile ein „Buddy“-Programm. Da melden sich Menschen, die schwangere Frauen in die Klinik begleiten, wenn diese nicht alleine gehen, sich aber auch nicht ihren Freunden oder Familie anvertrauen wollen.
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Ich finde es schlimm, dass Frauen, die ungeplant schwanger sind, immer noch so angefeindet werden. Mir als Ärztin geht es da nicht anders: Ich bekomme viele, viele Drohbriefe und -anrufe. Ich solle aufhören, Kinder zu töten. Ich sei eine „Killerin“. Man wirft mir den „Babycaust“ vor. Im Internet findet man sogar Fotos von meinem Haus und eine Beschreibung, wie man zu uns fährt.
Entkriminalisierung umstritten
Sollten Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden? Diese Frage führt derzeit in Deutschland zu vielen Diskussionen. Gegen eine neue Regelung spricht sich etwa die katholische Deutsche Bischofskonferenz aus. „Eine gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs muss sowohl die Grundrechtsposition der Frau als auch die des ungeborenen Lebens in verfassungsrechtlich gebotener Weise berücksichtigen“, heißt es dazu.
Daher hielten die deutschen Bischöfe an einer Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch fest. Wie viele Gegnerinnen und Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen argumentieren sie damit, dass das ungeborene Leben geschützt werden müsse: „Beim vorgeburtlichen Leben handelt es sich von Anfang an um individuelles Leben, das nach christlicher Auffassung Anspruch auf den gleichen Schutz seines Lebens hat und dem die gleiche Würde zukommt.“
Viele Kolleginnen und Kollegen schreiben deshalb nicht auf ihre Website, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Obwohl das ja mittlerweile auch in Deutschland erlaubt ist. Das ist meiner Meinung nach das größte Problem: Für die Betroffenen ist es sehr schwer, eine Praxis für den Abbruch zu finden.
„Besserer Zugang würde viele Spätabbrüche verhindern“
Deutsche Frauen, die ungeplant schwanger sind, werden so schlecht behandelt. Sie stehen vor so vielen Hürden, der Prozess ist so langwierig und aufwändig. Manche werden so lange rumgeschickt, dass es für einen Abbruch in Deutschland schon zu spät ist.
Sie kommen dann nach Holland, weil man hier auch noch später eine Schwangerschaft beenden kann. Ich mache die Spätabbrüche nicht gerne, das können Sie mir glauben. Deshalb habe ich ja auch überhaupt erst die Praxis in Dortmund eröffnet: Wenn der Zugang besser ist, gibt es sehr viel weniger Spätabbrüche.
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Es muss sich noch sehr viel tun. Es ist wichtig, dass das Thema nicht mehr zum Tabu gemacht wird. Schließlich betrifft es so viele. Wir haben schon mal zwei Schwestern behandelt, die nicht wussten, dass die jeweils andere auch bei uns ist.
Zu mir kommen wirklich die unterschiedlichsten Frauen aus den unterschiedlichsten Gründen. Sogar die Gegnerinnen. Sie sagen: ,Ich bin ja eigentlich gegen Schwangerschaftsabbrüche, aber bei mir ist die Situation ja eine ganz andere.‘ Das ist Quatsch.“
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