Köln. Christina Diehl aus NRW hatte sechs Fehlgeburten. Wie sie es geschafft hat, ihren Kinderwunsch loszulassen – und was sie Betroffenen rät.
Fünf Jahre lang versuchten Christina Diehl und ihr Partner ein Kind zu bekommen. Doch sechs Schwangerschaften endeten in Fehlgeburten. Die Wahlkölnerin schaffte es jedoch, aus ihrem Schicksal Stärke zu gewinnen, hat über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben und hilft heute Menschen, die in ähnlich schwierige Situationen geraten sind.
Liebe Christina, eines vorweg: Sie sind ein zufriedener Mensch, richtig?
Christina Diehl: Absolut. Ich bin jetzt 49 Jahre alt, und ich stelle für mich fest, dass ich so glücklich mit meinem Leben bin – heute noch mehr als früher. Ich genieße es sehr, frei zu sein, selbstbestimmt, flexibel – all das, was ich in der Zeit während meiner Fehlgeburten nicht für möglich hielt.
Wir fangen mal vorne an: Wann haben Sie zum ersten Mal versucht, schwanger zu werden?
Ich war Mitte 30, lebte eine Weile in Köln und war bereits einige Zeit mit meinem Partner liiert. Wir beide haben uns relativ schnell entschlossen, eine Familie zu gründen, und sind unvoreingenommen ans Thema Schwangerschaft rangegangen.
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Wie früh haben Sie beim ersten Mal erfahren, dass Sie schwanger sind?
Soweit ich mich erinnere, war ich bei der ersten Schwangerschaft relativ früh schon bei meiner Ärztin. In der Praxis wurde mir Blut abgenommen und der so genannte HCG-Wert festgestellt, der die Schwangerschaft bestätigte. Es schien alles ganz normal. Auch bei meinem zweiten Termin in der 8. Woche lief alles nach Plan: Ein Herzschlag war zu sehen. Rückblickend gab es für mich in dem Moment gedanklich gar nicht mehr die Möglichkeit, dass jetzt noch was schief laufen könnte.
Ist es aber leider. Wie haben Sie von Ihrer ersten Fehlgeburt erfahren?
In der 11. oder 12. Woche. Ich erinnere mich sehr gut daran: Ich lag voller Vorfreude im Behandlungszimmer. Als Laie kann man das Ultraschallbild ja nicht wirklich lesen, und für mich sah das immer aus wie ein schwarzweißer Eintopf.
Auf jeden Fall passiert erst mal nichts, meine Ärztin sagte nichts, es gab nur Schweigen, Schweigen, Schweigen, mit dem Ultraschall suchen und weiter suchen. Natürlich fragte ich mich irgendwann, ob das normal sei und erhielt dann auch schon die Diagnose. Meine Ärztin sagte: „Es tut mir leid, ich kann hier keinen Herzschlag mehr sehen.“ Ich weiß noch, dass sie mir ihre Hand dabei aufs Knie legte und ich erst mal gar nicht realisieren konnte, was sie da eigentlich gesagt hatte.
Wurden Sie in dem Moment aufgefangen?
Die Ärztin zeigte sich auf eine Art mitfühlend, doch es wurde sehr schnell sehr praktisch. Sie ging zurück zum Schreibtisch, sagte, ich sollte mich jetzt erstmal wieder anziehen. Ich selbst befand mich in einem Schockzustand und von Seiten der Praxis wurde ich eher routiniert abgehandelt: Eine Helferin sagte, sie gebe mir eine Überweisung. Dann wurde ich in einen Extraraum gesetzt, um auf meinen Freund zu warten, den man angerufen hatte. Doch es war der CTG-Raum, die Wände geschmückt mit Babybildern. Ich habe dort dann nur noch geweint.
Nach dieser traumatischen Erfahrung wurden Sie noch mehrmals schwanger – einmal mit gefährlichen Folgen. Was ist passiert?
Beim vierten Mal kam es zu einer Gebärmutterhals-Schwangerschaft, was ein Risiko für sehr starke Blutungen bedeutete, weil dort viele Blutgefäße liegen, die beim Wachsen des Embryos platzen können. Allerdings konnte an der Stelle auch nicht operiert werden, weil auch das zu gefährlich war. Also musste ich drei Wochen im Krankenhaus bleiben und in regelmäßigen Abständen chemotherapeutische Mittel einnehmen, um das Zellmaterial zu vernichten. Während eines Spazierganges im Krankenhausgarten ist es dann doch passiert: Ich merkte plötzlich, wie es untenrum warm wurde und lief. Ich habe sehr viel Blut verloren und meinen Freund im Krankenhaus auch zum ersten und einzigen Mal weinen sehen.
Unerfüllter Kinderwunsch: „Ich war gefangen in der Ausweglosigkeit und Verzweiflung“
Warum wollten Sie trotzdem nicht aufgeben?
Die Wahl besteht ja nicht zwischen „Ich versuche es nochmal und werde schwanger“ und „Ich höre auf und werde dann auch glücklich“. Es macht sich der Gedanke breit, dass man einsam, wertlos und depressiv sein wird, wenn man loslässt. Ich hatte gefühlt nicht die Wahl und war gefangen in der Ausweglosigkeit und Verzweiflung.
Zwei weitere Fehlgeburten folgten. In welchem Moment haben Sie das Thema Kinderwunsch schlussendlich an den Nagel gehängt?
Für mich gab es nicht den einen Moment, das war ein Prozess, und ich finde es immer wichtig zu erwähnen, dass ich mir schon früh therapeutische Hilfe gesucht habe. Gott sei Dank ist es meinem Partner und mir ab einem gewissen Punkt gelungen, die positiven Seiten der Kinderlosigkeit zulassen zu können. Mein Freund gab mir die gesamte Zeit Rückhalt und versicherte mir, dass er nicht unbedingt Vater werden müsse. Dafür bin ich heute sehr dankbar, das nahm mir viel Druck.
Druck ist im Zusammenhang mit Kinderwunsch ein wichtiges Stichwort…
Ich habe mich gefragt, woher dieser Druck kommt, den ich mir immer gemacht habe. Ich bin nicht liebevoll mit mir selbst umgegangen, sondern habe mir selbst immer vermittelt, dass ich nicht hart genug kämpfe. Mit Hilfe der Therapie analysierte ich, woher das kommt und was eigentlich die Gesellschaft damit zu tun.
Und woher kommt der Druck Ihrer Meinung nach?
Ich glaube, da laufen viele Komponenten zusammen. Zum einen gibt es bereits eine Prägung aus der Kindheit, ohne jetzt Eltern da besonders in die Pflicht nehmen zu wollen. Reden wir einfach von einer Generation, in der die klassische Rollenverteilung noch ganz natürlich aussah. Es war einfach so, dass eine Frau auch irgendwann Mutter wurde.
Der zweite Teil sind Glaubenssätze und Phrasen, die man immer wieder hört und liest: Bei Prominenten ist etwa erst das Glück perfekt, wenn Nachwuchs unterwegs ist. Oder die Liebe wird durch ein Kind gekrönt. Gerne gibt das Kind dem Leben überhaupt erst einen Sinn, und Eltern bringen einzig ihrem Kind bedingungslose Liebe entgegen oder empfangen sie von ihm. So bekommen wir sehr gut vermittelt: Ohne Kind erlebst du ganz viel Erstrebenswertes nicht.
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Ändert sich die Gesellschaft da mittlerweile?
Es lockert sich auf jeden Fall. Ich will keiner Mutter absprechen, dass das Muttersein sie erfüllt. Doch lange Zeit wurde es so glorifiziert, dass Mütter auch untereinander das Gefühl hatten, nicht über ihre negativen Erfahrungen sprechen zu dürfen. Heute tauschen sich Menschen endlich immer mehr über die unterschiedlichen Gefühle und auch Lebensmodelle aus. Das finde ich toll.
Hätten Sie sich das damals gewünscht?
Sehr. Ich kannte keine einzige Frau, deren Kinderwunsch nicht erfüllt werden konnte. Daher habe ich beschlossen, dass ich diese Frau sein will, die anderen vorlebt, dass sie nach einem Schicksalsschlag glücklich und erfüllt leben können. Die ihnen zeigt, dass sie ihren Wunsch loslassen dürfen, ohne befürchten zu müssen, dass alles vorbei ist.
Was hat Ihnen am meisten geholfen?
Am meisten half es mir zu reden. Überrascht hat mich, dass es mir besonders gut tat, von Müttern realistische Alltagserzählungen geschildert zu bekommen. Nicht weil ich mich dadurch besser gefühlt habe, sondern weil ich so eine Perspektive finden konnte, die mir gezeigt hat, dass jedes Leben Höhen und Tiefen hat und sich das auch niemals ändern wird.
Sind Sie trotzdem noch manchmal traurig, kein Kind zu haben?
Nein, überhaupt nicht. Ich beschreibe mich heute nicht mehr als kinderlos, sondern als frei.
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